halten, The Empty House – Verwaltungsbauten
Ausgabe 1/2021
Die von Prof. Dr. Andreas Putz, Professur für Neuere
Baudenkmalpflege an der TU München herausgegebene Publikationsreihe
halten, Beiträge zum neueren Bauerbe beschäftigt sich mit
Architektur als materiellem Bestand und kulturellem wie
technisch-ökonomischem Erbe, präsentiert Arbeiten von Studierenden
zu diesem Themenkomplex und veröffentlicht Fachaufsätze zu
Bauforschung und Industriearchäologie. Angeregt werden soll eine
Diskussion über Wertschätzung oder oft fehlende Anerkennung,
„Gefallen“ oder „Abneigung“, Herausforderungen, unterschätzte
Qualität und Möglichkeiten im Umgang mit der Architektur der
1950er, 60er und 70er-Jahre.
Gallerie
Verwaltungsgebäude Osram und der Deckel Maschinenfabrik
Ausgangspunkt für die Ausgabe 1/2021 ist der 2018 vollzogene Abriss des Osram Verwaltungsgebäudes in München, 1963-1965 von Walter Henn und Dieter Ströbel entworfen und realisiert. Das sechsgeschossige Gebäude mit den Abmessungen 50 x 50 m stand unter Denkmalschutz, doch angeblich war die Fassade irreparabel geschädigt. Das Gebäude wurde zuvor u.a. als provisorische Unterkunft für geflüchtete Menschen genutzt.
Diesem Verlust wird ein anderes Münchner Verwaltungsgebäude
gegenübergestellt, und zwar das der Deckel Maschinenfabrik,
ebenfalls von Walter Henn 1955 bis 1960 entworfen und realisiert,
allerdings als Teil eines Masterplans mit weiteren Bauten wie einer
Fabrikationshalle. Dieses Gebäude sollte zwar nicht abgerissen
werden, doch 2018 standen Umbauten von Gebäudetechnik und
Innenausstattung sowie weitere Umplanungen des ehemaligen
Fabrikareals zu Wohnungen an – allerhöchste Zeit für die
Studierenden, hier zu fotografieren, zu dokumentieren, Abbruch und
vermeintlichen Müll zu sammeln und zukünftige Nutzungen zu
entwerfen. Das Studienprojekt führte zum Event „The Adventure of
the Empty House“ mit Klang- und Multimedia-Installationen auf
den ehemaligen Büroetagen. Die Corona-Pandemie verzögerte die
Fertigstellung der Publikation.
Dokumentation und Untersuchung der
Aluminium-Glas-Fassaden
Doch nun liegt eine umso spannendere Dokumentation der vielfältigen und vor allem akribischen Untersuchungen vor, die zu in der Tat höchst anregenden Entwürfen wie beispielsweise einer Aufstockung oder einer Nutzung als open space führten. Beeindruckend ist auch das Nebeneinandersetzen historischer und aktueller Fotografien mit Materialcollagen und künstlerischen Interventionen.
Die Aluminium-Glas-Fassade beider Bauten wird in Raster,
Gliederung, Proportionierung von Glas- respektive Fenster- und
Aluminiumfeldern, Betonung und Gestaltung der Eingangstüren
innerhalb des Rasters, Vordächern, mit Varianten in Pfosten-Riegel-
sowie Rahmen-Konstruktionen, mit – heute Probleme verursachenden –
Anschlüssen an das Betonskelett, mit Abdeckleisten, Alu-Lamellen,
Verschraubungen, Materialien wie beispielsweise
Thermopane-Verglasung, Probleme und Wechsel von Festverglasungen zu
Öffnungsflügeln und weiteren Details zu Oberflächen und Farben
genauestens untersucht.
US-amerikanische Vorbilder
1959 sponserte die Aluminiumzentrale auf Vorschlag des Unternehmens Josef Gartner aus Gundelfingen eine Exkursion im Sinne einer Weiterbildungsreise für westdeutsche Architekten in die USA, um diese mit den technologisch fortgeschrittenen Aluminium- und Glas-Konstruktionen an Hochhäusern in New York, Chicago, Pittsburgh und Portland vertraut zu machen. Allein das Gruppenfoto der überaus korrekt gekleideten Herren Architekten vor der Lufthansa Super Constellation auf dem Rollfeld von New York Idlewild (heute JFK International Airport) ist ein einzigartiges soziokulturelles Zeitdokument.
Der Vergleich der beiden Münchner Gebäude mit den US-amerikanischen Vorbildern zeigt somit nachweisbare Verwandtschaftsverhältnisse mit ikonischen Bauten wie dem Equitable Building von Pietro Belluschi, Pittsburgh 1948, dem Lever House von SOM, New York 1952, oder dem ebenfalls von SOM geplanten Inland Steel Building, Chicago 1957. Folgerichtig werden auch das Mannesmann Hochhaus von Paul Schneider-Esleben, Düsseldorf 1958, und das Dreischeibenhaus/Thyssen-Hochhaus von HPP mit Eller, Moser, Walter, Düsseldorf 1960, in den Kanon mit einbezogen.
Ausblick
Das Semesterthema führte zu weiteren Forschungsprojekten und Publikationen wie beispielsweise einem Findbuch zu den mehr als 1.300 von Josef Gartner gebauten Aluminium-Glas-Fassaden in Deutschland im Zeitraum 1955 bis 1985. Es gibt also noch viel Erbe zu entdecken und zu diskutieren. -sj
Verlagsinfo
Die Publikationsreihe halten, Beiträge zum neueren Bauerbe aus dem Geymüller Verlag für Architektur, Aachen erschien bisher unregelmäßig, geplant ist zweimal pro Jahr. Die Ausgabe 01/2021 mit dem Titel The Empty House (ISSN: 2628-6165, ISBN: 978-3-943164-61-9) enthält Beiträge von Christian Behrer, Andreas Putz, Burkhard Körner, Katarzyna Juszczyszyn, Christian Raabe, Miriam Weywara, Verena Philipp, Romy Schmied, Leonie Kopp, Jonatan Anders, Rouven Grom, Vilma Pflaum. Sie umfasst 112 Seiten, kostet 15 EUR und ist wie weitere Ausgaben über den Verlag erhältlich (siehe Surftipps).