Wohnbebauung Aubinger Allee in München-Freiham
Schallschutz durch Kastenfenster und verglaste Loggien
Kastenfenster sind eine jahrhundertealte Fenstertypologie und finden sich unter anderem in mittelalterlichen Fachwerkhäusern. Nun wurde das baukonstruktive und bauphysikalische Prinzip von Kastenfenstern bei neu errichteten Wohnungen als effektiv wirksamer Schallschutz neu interpretiert.
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München-Freiham
München gilt als eine der teuersten Städte Deutschlands mit
einem gravierenden Problem bezüglich bezahlbarer Wohnungen. Im
Internet kursieren Berichte über Menschen, die trotz festen
Einkommens provisorisch in Wohnwagen auf Campingplätzen logieren
oder tagtäglich mehrere Stunden aus dem Umland in die Stadt und
wieder zurück pendeln müssen. Als Reaktion auf die Wohnungsnot in
Verbindung mit einer dramatischen Teuerungskrise wurden mehrere
Entwicklungskonzepte und städtebauliche Wettbewerbe initiiert, etwa
in Freiham auf einem landwirtschaftlichen Gutsgelände ganz im
Westen von München. Der neue Stadtteil, dessen Planung bereits in
den 1960er-Jahren begann, ist für etwa 25.000 Bewohner vorgesehen.
Neben den dringend benötigten Wohnungen umfasst die Infrastruktur
neue Straßen mit einem Autobahnanschluss, eine S-Bahn-Station,
Schulen, Kitas, eine Bibliothek, weitere kulturelle sowie
gesundheitliche Einrichtungen, Einzelhandel, Gewerbe und einen
Landschaftspark. Auf Grundlage mehrerer Bebauungspläne, in
verschiedenen Realisierungsabschnitten und Baufeldern entstehen
seit den 1990er-Jahren bis zu 11.000 Wohnungen. Der sogenannte
Vollausbau soll im Jahr 2037 erreicht sein. Demographisch entsteht
hier eine nagelneue Kleinstadt mit Tendenz zu einer
Mittelstadt.
Wohnhaus-Ensemble an der Aubinger Allee
Das Münchner Architekturbüro Felix und Jonas entwarf als Ergebnis eines Wettbewerbs 125 Wohnungen mit ein bis fünf Zimmern, darunter 5% barrierefreie, nach dem Modell des staatlichen Wohnungsbauförderungsprogramms EOF (Einkommensorientierte Förderung). Des Weiteren beinhaltet das Projekt eine Kita für 100 Kinder, einen Nachbarschaftstreff und eine Tiefgarage. Die Wohnungen einschließlich der weiteren Nutzungen verteilen sich auf ein Ensemble aus drei Gebäuden entlang der Aubinger Allee als eine der neuen Hauptstraßen. Über die Aubinger Allee hinweg bietet sich nach Westen zwar ein weiter Blick über Felder und Baumgruppen, die Autobahn A99 mit dem Abzweig Germering-Nord ist jedoch nur knapp 800 Meter entfernt.
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Schallschutz als Gesundheitsvorsorge
Angesichts einer derart ambitionierten wie geschäftigen Bautätigkeit ist es so nachvollziehbar wie angemessen, dass bei den Wohnungen Kriterien respektive Obergrenzen für Schallschutz gemäß DIN 4109 Schallschutz im Hochbau festgeschrieben wurden. Eine permanente Lärmbelästigung durch Straßen-, Schienen-, Luftverkehr, Bauarbeiten oder ähnlichen Umgebungslärm hat die WHO als gesundheitsschädlich eingestuft und im Oktober 2018 dazu Leitlinien verabschiedet (siehe Surftipps). Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass u.a. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, Tinnitus und Gehörschäden aus täglichem und nächtlichem Umgebungslärm resultieren. Außerdem wird eine Einschränkung der Lebensqualität konstatiert.
Kastenfenster als Prinzip und Lösung
Die entwurfliche wie bauphysikalisch-konstruktive Herausforderung bestand darin, die Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer sowie Freisitze wie die Loggien einerseits vor Schall am Tag und in der Nacht zu schützen, gleichzeitig aber auch Ausblicke und vor allem Lüftungsmöglichkeiten zu schaffen.
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Die Entscheidung fiel auf einen alternierenden Wechsel aus raumhohen stehenden Fenstern und Loggien. An allen Seiten des Ensembles wurden dreifach verglaste Holz-Aluminium-Fenster eingesetzt. Bei den besonders lärmbelasteten 133 Fenstern entlang der Aubinger Allee machte das Architekturbüro jedoch einen Kunstgriff, indem es auf ein über Jahrhunderte bewährtes Prinzip zurückgriff, nämlich auf das des Kastenfensters, und dieses neu interpretierte. Historische Kastenfenster sind aus zwei parallelen Fensterebenen in einem meist hölzernen Laibungskasten zusammengesetzt. Zwischen den Ebenen bildet sich eine Luftschicht, die wie ein Luftposter als Wärme- wie Schalldämmung wirkt.
Der Kasten, der die beiden Fensterebenen zusammenfügt, ist in der neuen Fassung eine wärmegedämmte Aluminiumkonstruktion und wird von außen vor das Holz-Aluminium-Fenster gesetzt. Die äußere Ebene ist kein weiteres „normales“ Fenster, sondern besteht aus drei schlanken vertikalen Glasscheiben. Die gläsernen Dreh-Schiebe-Flügeln sind als Sonderkonstruktion einer handelsüblichen Balkonverglasung abgeleitet. Eine VSG-Scheibe dient als Brüstung und Absturzsicherung.
Sowohl das innere Fensterelement als auch die äußeren Flügelscheiben lassen sich nach innen öffnen respektive drehen und schieben. So kann entweder das Fensterpaket für Stoßlüftung oder Reinigung komplett geöffnet werden oder nur der innere raumhohe Flügel, wobei die äußeren Flügel sich zu Schlitzen schieben und andrehen lassen. Das Kastenfenster hat zusätzlich einen Fensterfalzlüfter, der beispielsweise eine Nachtlüftung als schallgedämmten Luftwechsel ohne Fensteröffnung ermöglicht. Als Test und zur Veranschaulichung wurde ein Mockup gebaut.
Bei den Loggien wurde analog verfahren, in dem sie ebenfalls
verglast wurden. Auf einer gläsernen Brüstung sitzt das gleiche
gläserne Schiebe-Dreh-System wie bei den Kastenfenstern, jedoch
angesichts der Größe der Loggien mit einer höheren Anzahl und
breiteren Flügeln. Die dreifach-verglasten Fenster haben einen
Schalldämmwert von Rw,F = 45 dB(A), das Dreh-Schiebe-System einen
Wert von Rw,F = 22 db(A) (Zertifikate des Instituts für
schalltechnische Produktoptimierung SG-Bauakustik in Mülheim a. d.
Ruhr). Die neue Kastenfensterkonstruktion erreicht eine
Pegelreduzierung zur Einhaltung der Vorgaben zur Nachtlüftung um
ca. 5 db(A), also um Rw,F= 39 dB. Damit wurde der bau- und
planungsrechtlich geforderte Schallschutz erfüllt.
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Bautafel
Architektur: Felix + Jonas Architekten, München
Projektbeteiligte: Solarlux, Melle (Schiebe-Dreh-Elemente, Sonderkonstruktion SL 25 und Glasbrüstungen: SL Plus) Hummelsberger Stahl- und Metallbau Schlosserei, Mühldorf am Inn (Metallbau), terra.nova Landschaftsarchitektur, München (Außenanlagen)
Bauherr: GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München
Fertigstellung: 2021
Standort: Aubinger Allee, München
Bildnachweis: Bauhaus-Filmwerkstatt und Peter Kuczia, alle über Solarlux
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