Botanischer Garten in Taiyuan
Parametrische Werkzeuge für parabolische Kuppeln
Im chinesischen Taiyuan, ungefähr 500 km südwestlich von Peking, haben Delugan Meissl Associated Architects einen bestehenden Landschaftspark um drei außergewöhnliche Gewächshäuser, zwei Museen, ein Restaurant sowie ein Forschungszentrum samt Bibliothek ergänzt. Das umgestaltete Gelände, ein ehemaliges Kohleabbaugebiet im Nordosten Chinas, soll nach Bauherrenwunsch den Besucherinnen und Besuchern des Parks zukünftig naturnahe Ökosysteme auf anschauliche Weise näherbringen. Eingebettet in eine künstliche Seenlandschaft prägen die modernen Bauten aus Glas, Beton und vor allem Holz die Silhouette des Botanischen Gartens der Millionenmetropole Taiyuan.
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Zusammenspiel gestalterischer Gegensätze
Das Wiener Architekturbüro setzte mit seinem Entwurf für das Ensemble auf insgesamt 182 ha Fläche ein korrespondierendes Zusammenspiel der Gegensätze um – in Habitus, Konstruktion und Material. In der Gesamtheit fügen sich diese zu einer stimmigen Struktur zusammen. Gemeinsamer Nenner von Teehaus und den drei Gewächshäusern ist der Einsatz von Holz als gestaltgebender und statisch-konstruktiver Werkstoff – was einen Paradigmenwechsel in der regionalen Holzbaukultur markiert: Aus Sorge vor Bränden kommen bei chinesischen Neubauprojekten in der Regel vorrangig Stahl und Beton zum Einsatz. Dem gegenüber bilden das introvertierte Bonsaimuseum sowie und das weit auskragende Dach des Empfangsgebäudes samt Naturkundemuseum mit ihrer Materialität aus Beton und Stein einen gestalterischen Kontrapunkt zur Holzdominanz von Kuppelbauten und Restaurantgebäude.
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Holzdachkonstruktionen nach traditionellem chinesischem Vorbild
Die Holzdachkonstruktion im Teehaus interpretiert alte chinesische Holzdächer neu und sorgt für eine dynamische und vielschichtige Anmutung des Raumes. Die Konstruktion überspannt den verglasten Baukörper und öffnet sich als weit auskragendes Flugdach in Richtung Wasser. Die drei Gewächshäuser sind hingegen als Gitterschalen-Kuppelkonstruktionen in Brettschichtholz (BSH) ausgeführt – und bilden das Herzstück des Parks. Die größte der Kuppeln hat eine Spannweite von über 90 m und eine lichte Höhe von mehr als 30 m. Unter jeder Kuppel herrscht dabei ein anderes Mikroklima. Zwei der Kuppeln sind für tropische sowie Wüstenpflanzen konzipiert, die dritte für eine aquatische Umgebung.
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Alle drei parabolischen Gitterschalen – die innen an die Form von Muschelschalen erinnern – bestehen aus Brettschichtholzbindern, die in zwei oder drei sich kreuzenden Schichten angeordnet sind. Jedes der insgesamt 2.400 Elemente ist ein Unikat, viele davon sind doppelt gekrümmt; daher erleichterte der hohe Vorfertigungsgrad die Herstellung der Vielzahl individueller Holzträgerelemente. Sämtliche Holzkonstruktionen wurden von StructureCraft aus Kanada entwickelt. Ausgefacht sind die Kuppeln mit doppelt gekrümmten Glasscheiben, von denen sich einige zur natürlichen Belüftung öffnen lassen.
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Hoher Vorfertigungsgrad für optimierte Konstruktionen
Da die Holzbaukompetenz in China für die Umsetzung von Bauwerken dieser Komplexität nicht ausreiche, entschieden sich die Beteiligten dafür, die Leimholzelemente in Österreich vorzufertigen. Aufgrund der parabolischen Kuppelform weisen alle Träger Krümmungen mit verschiedenen Radien auf. Die Tragelemente wurden daher in Abhängigkeit von Breite und Radius in Gruppen eingeteilt. Dadurch konnten die Holzlamellen einer Gruppe auf nur einer Vorrichtung mit identischem Radius gepresst und verleimt werden. In diese vorverleimten Schichtholz-Rohlinge frästen CNC-Maschinen dann die doppelte Krümmung ein.
Beteiligt an der Vorfertigung waren zwei österreichische Hersteller von Leimholzbindern, die die Geometrien der Kuppeln aus der Parametrik-Software in Fertigungsdaten für die CNC-Fräsmaschinen übersetzten. Anschließend wurden die fertigen Holzbalken mithilfe eines Packalgorithmus entsprechend der Reihenfolge ihrer Vor-Ort-Montage in Versandcontainern verpackt und nach China verschifft. Dort angekommen, wurden die Einzelelemente jeder Gitterschale in einer trockenen Umgebung in Baustellennähe vormontiert und anschließend per LKW und Kran an ihren entsprechenden Platz im Bauwerk gebracht.
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Parametrische Entwurfsmethoden für das Schalentragwerk
Die komplexe Geometrie ist von der Konzeption über den Entwurf, bis hin zur Generierung der CNC-Maschinendaten für den Holzabbund sowie der Verpackung der Elemente mithilfe eines Algorithmus mit digitalen Hilfsmitteln umgesetzt worden. Auf der Basis zuvor eingegebener Konstruktionsparameter konnte mittels parametrischer Werkzeuge eine angemessene Konstruktionsweise der Dächer ermittelt werden. Mittels parametrischer Strukturanalysen und Algorithmen konnten die Paraboloidformen strukturell so optimiert werden, dass der Verschnitt bei den doppelt gekrümmten Brettschichtholzteilen möglichst minimal blieb, während zugleich die statischen Anforderungen erfüllt werden konnten. Dadurch konnten außerdem die Geometrien der Holzverbindungen und die Positionen der Schraublöcher automatisch festgelegt werden.
Die digitalen Planungsmethoden waren außerdem hinsichtlich eines reibungslosen Datenaustauschs zwischen den internationalen Projektbeteiligten von Vorteil: das Architekturbüro, die zwei Abbund-Hersteller arbeiteten in Österreich, die Holzbaukonstruktion entstand in Kanada. Hinzu kamen lokale Partnerschaften und weitere internationale Projektbeteiligte und Lieferanten. Eine modellbasierte Zusammenarbeit, die neben Konstruktionsdaten auch die notwendigen technischen und bauphysikalischen Eigenschaften berücksichtigte, war dabei Basis für den Projekterfolg und eine möglichst reibungsarme Umsetzung dank hoher Vorfertigung.
Bautafel
Architektur: Delugan Meissl Associated Architects DMAA , Wien
Projektbeteiligte: Institute of Shanghai Architectural Design & Research (Ausführungsplanung); StructureCraft, Abbotsford (Tragwerksplanung Holzkonstruktionen); Bollinger + Grohmann, Wien (Tragwerksplanung; Fassadenplanung; Wettbewerbskonzept Holzkonstruktionen); Energy Design Cody Consulting, Graz (Energieplanung); Beijing BLDJ Landscape Architecture Institute, Peking (Landschaftsarchitektur); Valentien+Valentien Landschaftsarchitekten und Stadtplaner, Weßling (Landschaftsarchitektur Gewächshäuser)
Eingesetzte Software: u.a. Rhinoceros und Grashopper (parametrischer Entwurf Gitterschalen)
Bauherr/in: Botanical Garden, Taiyuan
Standort: Jinyuan District, Taiyuan City, China
Fertigstellung: 2021
Bildnachweis: StructureCraft, Abbotsford; CreatAR, Shanghai; Delugan Meissl Associated Architect, Wien