Living Breakwaters vor Staten Island
Wider die Wellen
Küstengebiete sind von den Folgen der Klimakrise besonders betroffen. Der steigende Meeresspiegel und die zunehmende Frequenz an zerstörerischen Stürmen bedrohen die beliebten Siedlungsgebiete. Im Oktober 2012 entfaltete Hurricane Sandy entlang der Küste von New York City verheerende Kräfte, Nachbarschaften wurden überflutet, Gebäude zerstört, das Stromnetz brach zusammen, mehr als vierzig Menschen starben. Staten Island traf es besonders hart, da die Insel am Ende der New Yorker Bucht liegt, die wie ein Filter die zerstörerische Kraft des Wassers bündelte und dadurch verstärkte. In der Folge schrieb der Bundesstaat den Wettbewerb Rebuild by Design aus, um die Stadt besser auf die zukünftigen Herausforderungen der Klimakrise vorzubereiten. Das New Yorker Landschaftsarchitekturbüro SCAPE um Kate Orff schlug die Living Breakwaters vor: Acht freistehende Wellenbrecher sollen das Risiko einer solchen Zerstörung verringern, Ökosysteme wiederherstellen und die Beziehung der Menschen zu ihrer natürlichen Umwelt stärken.
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Küstenbefestigungen sind im Wasser verankerte Schutzinfrastrukturen und sind dementsprechend meist massive Betonkonstruktionen, da sie Wellen brechen und den großen Kräften des Wassers standhalten müssen. Dieser Funktion entsprechend unterbrechen sie oft den natürlichen Wasserkreislauf in Küstenregionen. Sie schützen so zwar Menschen an Land, stellen aber für nicht-menschliche Meeresbewohner*innen ein Problem dar. Orffs Living Breakwaters wollen beides: Menschen schützen und Tieren zugleich einen neuen, altbekannten Lebensraum zurückgeben. Der Entwurf von SCAPE ist zukunftsweisend und zugleich auch als Rekonstruktionsprojekt zu verstehen.
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Risikoreduktion und Landrückgewinnung
Die Wellenbrecher sind als poröse, mehrschichtige Strukturen konzipiert, die zwar die Kraft der Wellen reduzieren, aber den natürlichen Wasserkreislauf der Küste nicht völlig unterbrechen. So verhindern sie zwar keine zukünftigen Überflutungen, aber mildern deren Folgen ab, um die potenzielle Zerstörung durch künftige Wirbelstürme auf Staten Island zu minimieren. Hierfür entwarfen Orff und ihr Team Felsformationen als neue Riffe, die Unterwasser vor der Küste versenkt wurden. Diese Riffe dämpfen die Kraft der Wellen und verhindern zugleich eine weitere Erosion des Küstengebiets, indem sie Sedimentablagerungen fördern.
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Hybride Barriere: Gezeitenbecken
Die Wellenbrecher schaffen neue Lebensräume für Austern, Hummer und Jungfische. Orff und ihr Team entwarfen hierfür Gezeitenbecken aus ökologisch angepasstem Beton: Dank eines reduzierten pH-Werts soll das Eindringen von alkalischen Substanzen aus dem Beton in das Wasser verhindert werden. Die Planenden platzierten die einzelnen Betonbecken so zwischen den Steinformationen, dass sie sich bei Flut mit Wasser füllen und Fischen, Austern und andere Meerestieren einen neuen Lebensraum bieten. Die Living Breakwaters sind also keine herkömmlich harte Infrastruktur, sondern eine porös gestaltete Oberfläche, die vom Meer und den in ihm lebenden Tieren angeeignet werden kann.
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Austern als „Co-Designer“
Den Austern kommen in diesem Projekt eine besondere Bedeutung zu. Als „Co-Designer“ sollen sie die Form und Weiterentwicklung des künstlichen Riffs mitgestalten. Orff entwickelte mit ihrem Team einen weiteren „künstlichen Stein“ aus pH-reduziertem Beton mit einem seitlichen Gitter zu einem Hohlraum. Diese Steine sind unter Wasser in orthogonalen Seitenarmen der Living Breakwaters verbaut. Dort dienen sie als Anzuchtorte für Austern, die sich in den Hohlräumen der Steine vermehren und so den Wellenbrecher natürlich verdichten. Da Austern auch das Wasser reinigen, spielen sie für das ökologische Gleichgewicht eine wichtige Rolle. Darüber hinaus prägten sie früher auch das soziale und ökonomische Gefüge der Nachbarschaft. Vor der Küste von Staten Island lagen einst zahlreiche Austernbänke, die Grundlage für eine damals florierende lokale Fischerei. Austern dienten als wichtige Nahrungsquellen und Exportprodukt, das nicht nur nach New York City, sondern bis nach Europa verschifft wurde. So entstand ein neuer Industriezweig, der Arbeitsplätze schuf und die Stadtentwicklung förderte.
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Jetzt sollen die Austern als wesentliches Element einer neuen regenerativen Infrastruktur zurück an die Küste von Staten Island kehren. Orffs Hoffnung ist, dass das Projekt ein neues Verständnis für die natürliche, schützende Umwelt weckt und zu mehr Wertschätzung und einem sensibleren Umgang führt. 2023 gewann das Projekt den Obel Award, einen Architekturpreis für innovative, sozial verantwortliche und zukunftsorientierte Projekte, die Menschen und Umwelt positiv verändern. -hs
Bautafel
Architektur: SCAPE, New York
Projektbeteiligte: COWI (Entwurfsteam); Arcadis (Entwurfsteam); SeArc Ecological Marine Consulting (Entwurfsteam); WSP (Entwurfsteam); MFS Engineers (Entwurfsteam); Prudent Engineering (Entwurfsteam); Billion Oyster Project (Dialogformat); Weeks Marine (Bauunternehmen); Ramboll (Baumanagement); Baird (Baumanagement); AKRF (Umweltprüfung und -genehmigung)
Bauherrschaft: NYS Homes and Community Renewal’s Office of Resilient Homes and Communities
Standort: vor der Küste von Staten Island, New York, USA
Fertigstellung: 2023
Bildnachweis: SCAPE & Ty Cole (Fotos); Baird (Fotos); Billion Oyster Project (Fotos); SCAPE (Planmaterial)
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