Photokatalyse: Antibakterielle und antivirale Oberflächen

In puncto Hygiene gehören keramische Fliesen zu den Materialen, die höchste Anforderungen erfüllen. Sie sind wasserundurchlässig, leicht zu reinigen und zu desinfizieren. Die Merkblätter über allgemeine bauliche und räumliche Voraussetzungen – etwa für Lebensmittelbetriebe – empfehlen daher Fliesen für Böden und Wände. Mit Hilfe sogenannter Abklatschproben werden Oberflächen in der lebensmittelproduzierenden sowie der pharmazeutischen Industrie oder auch in medizinischen Einrichtungen regelmäßig auf eine mögliche Verunreinigung mit Mikroorganismen überwacht. Die Keimbelastung wird mit der Beprobung auf gering belasteten Oberflächen nach deren Reinigung überprüft. Fliesen haben sich hierbei hinsichtlich ihres Hygienestatus als besonders geeignete Oberflächenverkleidungen herausgestellt; vorausgesetzt, sie befinden sich in einwandfreiem Zustand und sind entsprechend verfugt – beispielsweise auf Epoxidharzbasis.

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Mit Hilfe einer besonderen Veredelung sind sie sogar in der Lage, selber aktiv zur Hygiene beizutragen: Fliesen mit photokatalytisch wirkender Oberfläche nämlich können Bakterien, Viren, Pilze und Schimmel abtöten. Damit sind sie in der Lage, an Fassaden, Wänden sowie auf Böden oder Möbeloberflächen außerordentliche Leistungen zu vollbringen.

In die Oberfläche eingebranntes Titandioxid

Bei der Photokatalyse werden chemische Substanzen unter Lichteinfluss umgewandelt. Bereits in den 1970er-Jahren war in Japan der photokatalytische Effekt von Titandioxid erkannt und ein Verfahren zur Beschichtung verschiedener Oberflächen von dem japanischen Sanitärhersteller Toto patentiert worden. Nachdem in Deutschland in den 1990er-Jahren zunächst Sonnenschutzprodukte, Stoffe, Teppichböden, abgepasste Teppiche und weitere Textilien mit photokatalytischen Beschichtungen ausgestattet wurden, gibt es diese auf den Toto-Patenten basierenden Produktausstattungen heute unter anderem auch für Farben, Glas, Dachabdichtungen, Dachziegel, Pflastersteine und keramische Fliesen.

Das Titandioxid wird (in seiner besonders reaktionsfreudigen Anatas-Form) in die Oberfläche glasierter sowie unglasierter Fliesen eingebrannt. Bei der Bestrahlung mit (Sonnen-)Licht einer bestimmten Wellenlänge sorgt es dafür, dass organische Materialien auf der Fliesenoberfläche zersetzt werden; aus der Fliese wird eine antimikrobielle Oberfläche. Außerdem werden Gerüche neutralisiert und Luftschadstoffe zersetzt. Zusätzlich entsteht eine superhydrophile Oberfläche: Wasser bildet auf diesen Oberflächen keine Tröpfchen mehr, sondern eine dünne Schicht, mit der Schmutzpartikel abgeführt werden – was einen selbstreinigenden Effekt zur Folge hat.

Stattet man das Titandioxid zusätzlich mit Fremdatomen wie etwa Silber aus, dann steigert dies zum einen die antimikrobielle Wirkung, da Silberionen Bakterien abtöten und auch weitere Mikroben wie Viren und Pilze lahmlegen. Zum anderen verhilft das Dotieren mit Silber dem Titandioxid dazu, auch bei sehr geringen Lichtstärken aktiv sein zu können. Dementsprechend ausgestattete Fliesen sind daher auch bei LED-Licht photokatalytisch aktiv. Wichtig in dem Zusammenhang ist, dass der Katalysator sich nicht verbraucht und produktlebenslang einen Oxidationsprozess verstärkt, bei dem Sauerstoffradikale die Arbeit erledigen – zumindest gilt dies bei all jenen Fliesen, bei denen das Titandioxid dauerhaft in die Oberfläche eingebrannt wird und die nicht nur damit beschichtet werden. Übrigens ist Titandioxid ein weißes Pigment, welches unter der E-Nummer 171 auch als Lebensmittelzusatz zugelassen ist.

Fliesenhersteller mit patentierten Verfahren

Seit einigen Jahren setzen Fliesenhersteller wie die Deutsche Steinzeug die hygienische Fliese bei mehr als 30 ihrer Kollektionen ein, neuerdings unter der Bezeichnung Hytect. Ursprünglich bediente sich der Hersteller genauso wie etwa Laminam aus Italien des Hydrotect-Verfahrens mit einer Toto-Lizenz, entwickelte seine Oberflächenveredelung nach eigenen Angaben aber weiter. Einziger Hersteller mit eigenen europaweit gültigen Patenten ist die italienische Iris-Ceramica-Gruppe, die ein unabhängiges Verfahren erfunden hat, bei dem Silber dotiertes Titandioxid im Mikronbereich (1 Mikron = 1.000 Nano) bei 680 Grad Celsius in einem zweiten Brand in ihre Fliesen eingebrannt wird. Die sogenannten Active-Kollektionen aller Marken der Gruppe werden hierdurch für ihr Produktleben zu einer selbstdesinfizierenden Oberfläche. Der photokatalytische Effekt sorgt nicht nur nachweislich dafür, dass selbst die gefährlichsten Krankenhauskeime (MRSA) innerhalb weniger Stunden zerstört werden, sondern auch umhüllte Viren wie etwa das SARS-CoV2-Virus. Dem Hersteller ist es gelungen, in Zusammenarbeit mit der Universität Mailand den Nachweis der antiviralen Wirksamkeit zu führen: Bereits nach vier Stunden Kontaktzeit und UV-Bestrahlung waren die Coronaviren um mehr als 94 Prozent unschädlich gemacht worden.

Bei den Active-Fliesen kommen drei weitere Wirkkomplexe hinzu: erstens der Abbau von Schadstoffen wie beispielsweise NOx in der Außenluft und Formaldeyd in der Innenraumluft, zweitens der Abbau unangenehmer Gerüche etwa beim Einsatz der Fliesen in Toilettenanlagen und drittens eine Easy-to-Clean-Eigenschaft, die im Außenbereich bei Fassaden sogar selbstreinigend wirkt. Für sämtliche Effekte liegen weltweit gültige ISO-Zertifikate vor, so dass die Wirksamkeit wissenschaftlich gesichert ist.

Insbesondere der Schadstoffabbau macht photokatalytisch wirksame Fliesen und Platten auch unter Umweltschutzaspekten besonders interessant: Diese sind in der Lage, ihren bei der Produktion gefüllten Schadstoffrucksack – etwa hinsichtlich Stickoxiden – während der Lebenszeit nicht nur komplett loszuwerden, sondern danach sogar die Umwelt zu entlasten.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung durch Viren und antibiotikaresistente Erreger ist es von hohem Wert, dass die Anzahl der Produkthersteller und darunter auch der Fliesenhersteller kontinuierlich wächst, die ihre Fliesen photokatalytisch wirksam ausstatten.

Das Wichtigste in Kürze:

Wann funktioniert die Photokatalyse?
Immer dann, wenn Licht in Verbindung mit Luft und Feuchtigkeit vorhanden ist. Sauerstoff fungiert als Oxidationsmittel (Wirkstoff) mit Licht (Photo) als Energielieferant und Titandioxid als Auslöser der Reaktion (Katalysator).

Welche Schadstoffe bauen photokatalytische Fliesen ab?
Außen an der Fassade in erster Linie Stickoxide (NOx), die in unschädliches Nitrat verwandelt werden. Innen insbesondere VOC (flüchtige organische Verbindungen wie bspw. Kohlenwasserstoffe). Formaldehyd etwa wird in CO2 und H2O aufgespalten.

Wie funktioniert die Luftreinigung?
Die Schadstoffe – ebenso wie die Geruchsmoleküle – werden mit dem Luftstrom an den Oberflächen entlanggeführt oder fallen durch die Schwerkraft darauf. Sie werden zu unschädlichen Stoffen wie Kohlendioxid, Wasser und Nitraten abgebaut.

Wie funktioniert die Zerstörung von Pilzsporen, Bakterien und Viren?
Die beim photokatalytischen Prozess entstehenden Sauerstoffradikale zerschießen die Zellmembran von Bakterien und anderen Mikroben. Auch Viren werden entsprechend zersetzt.

Warum wird die Oberfläche leichter zu reinigen beziehungsweise im Außenbereich sogar selbstreinigend?
Photokatalytisch aktive Oberflächen sind besonders hydrophil: Wasser bildet auf ihnen keine Tropfen, sondern verläuft zu einem feinen Film, der Schmutzpartikel unterspült und diese damit durch Regen oder Reinigung abspülen lässt.

Wie lange wirkt die photokatalytische Oberfläche?
Im Prinzip ewig – zumindest bei in die Oberfläche fest eingebranntem Titandioxid. Der Katalysator verbraucht sich nicht, sondern regt die erforderliche Reaktion nur an. Beschichtungen mit Titandioxid hingegen können mechanisch abgetragen werden, etwa durch Scheuermittel.

Gibt es wissenschaftliche Nachweise für die Wirksamkeit?
Die photokatalytische Wirksamkeit von Titandioxid ist seit langem bekannt, hinreichend untersucht und belegt. Es existieren eine Reihe von Iso-Zertifikaten und Patenten hierzu.

Autor: Michael Spohr, Essen
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