Geschäfts- und Bürohaus 1.000 Trees in Schanghai
Gebirge mit Bäumen
Am Ufer eines breiten mäandernden Flusses erheben sich zwei mit Bäumen bewachsene, felsengraue Hügel vor weiteren Gebirgskuppen, das Panorama ist hinterfangen vom bewölkten Himmel – dieses Bild bietet sich vom Nordufer des Suzhou auf die gegenüberliegende Seite. Was wie die Beschreibung einer idyllischen Landschaftsszene klingt, ist das Bauprojekt 1.000 Trees mitten in der dicht bebauten 24-Millionen-Metropole Schanghai. Fenster und Türen spielen bei dem Entwurf von Heatherwick Studio eine wesentliche Rolle für den Erhalt des menschlichen Maßstabs und für die Verschmelzung von Innen und Außen mit öffentlicher Aufenthaltsqualität.
Gallerie
Mehlfabrik, Brache, Konversion und Entwurfskonzepte
Auf dem mehr als 60.000 m² großen Areal am Fluss Suzhou befand sich zuvor eine der landesweit größten Mehlfabriken mit Lagerhäusern. Für Fabriken war die Lage optimal bezüglich Produktion und Verschiffung der Waren, denn der Suzhou mündet nur wenige Biegungen weiter in den Huangpo und dann ins ostchinesische Meer. Nach einer enormen Wachstumsphase der Metropolregion Schanghai und der Schließung der Fabrik befand sich hier eine unzugängliche Brache mitten in der Stadt. Der Bezirk Putuo ist heute einer von neun Stadtteilen der unmittelbaren Kernstadt (Puxi) und hat etwa 1,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Der weitere städtebauliche Kontext ist ebenfalls bemerkenswert. Auf dem Nachbargrundstück, einer ehemaligen Baumwollfabrik, entstand durch Konversion der alten Hallen das M50 Arts District genannte Areal. Hier haben sich inzwischen mehr als 100 Studios und Galerien für zeitgenössische Kunst angesiedelt. Der Ort gilt als ein Schmelztiegel in der Kunstszene.
Ein in Hong Kong ansässiger Investor kaufte das Grundstück der stillgelegten Mehlfabrik, um dort ein Einkaufszentrum mit weiteren Nutzungen wie Büros, Gastronomie und Hotel zu errichten. Ein erster Entwurf wurde als zu konventionell verworfen, woraufhin das Londoner Heatherwick Studio den Auftrag erhielt. Anstatt der üblichen gesichtslosen und steril wirkenden Kommerzmonolithen wurde ausdrücklich die Schaffung eines besonderen urbanen Ortes mit Respekt vor dem menschlichen Maßstab und mit lebendiger Öffentlichkeit gefordert.
Landschaftsskulptur mit zwei künstlichen Hügeln
Die Transformation in eine Art Landschaftsskulptur durch Heatherwick Studio verknüpft Architektur und Natur, indem sich zwei begrünte felsengleiche Gebäude aus einem neu angelegten Park erheben. Bei der Konzeptentwicklung wurde vor allem mit Modellen, Piktogrammen und Mockups experimentiert, um den Spagat zwischen singulärer Gestaltung, den Qualitäten des Ortes in der Flussbiegung und den umgebenden eng stehenden Wohnhochhäusern zu vollbringen. Diese sorgfältige morphologische Untersuchung führte auch zu der Entscheidung, nicht einen massiven Monolithen, sondern zwei Bauteile zu errichten. Als Vorteil im Bauablauf konnten so zwei Bauabschnitte nacheinander realisiert werden – unter Einbeziehung der vorherigen Erfahrungen.
Der erste westliche Bauteil ragt acht Geschosse auf und bietet
Platz hauptsächlich für die Shopping-Mall mit einem hohen Atrium im
Inneren. Das östliche Volumen ist mit 18 Geschossen wesentlich
höher, denn hier türmen sich oberhalb der Geschäfte die Büros und
ein Hotel. Die Haupteingänge liegen pragmatisch in der niedrigen,
talgleichen Mitte. Einzelne Relikte der Mehlfabrik sind als museale
Bausteine integriert, ebenso wie ein Amphitheater und eine 900
Meter lange Promenade in einen öffentlichen Uferpark. Drei
gemeinsame Untergeschosse mit Tiefgaragen verbinden die beiden
Baukörper. Die Bruttogeschoßfläche beträgt insgesamt rund 320.000
m².
Terrassen, Fenstertüren, Panoramaausblicke
Die unterschiedlichen Neigungen der Volumen lösen sich in abgetreppte Stufen auf, vergleichbar mit einem Weinberg. Die Tragstruktur basiert auf einem Raster von neun Metern, das jedoch um 45 Grad gedreht ist. Dadurch entsteht bei der Nord-, West- und Ostfassade eine dreidimensionale Zick-Zack-Faltung mit vielen Terrassen als Freisitzen. Der Verzicht auf eine glatte Kontur maximiert die Anzahl der Fensterflächen. So entstehen viele unterschiedliche Panoramablicke auf den Fluss und auf die Stadtsilhouette. Raumhohe stehende Fenstertüren mit Oberlichtern erschließen die Terrassen. Die Architekturschaffenden legten dabei besonderen Wert darauf, dass jede Nutzungseinheit, ob Läden, Büros, Hotelzimmer, Kita und Infinitypool des Fitnessclubs, Zugang nach draußen auf eine Terrasse hat. So sind nicht nur Innen- und Außenräume miteinander verbunden, sondern das ansonsten sehr große Volumen erhält eine ablesbare Maßstäblichkeit und menschliche Proportionierung.
Die in dunklem Anthrazit lackierten Profile und Sprossen der Fenster und Türen heben sich vor Natursteinverkleidungen in horizontal alternierenden Graunuancen ab. Dieses Farbkonzept soll Assoziationen an Klippen, Vorsprünge und Spalten einer felsigen Bergwand wecken.
Exoskelett und grüne Schicht
Das Stützenraster zeichnet sich als Exoskelett ab: Die Stützen im Bereich der Fassade sind nicht wie sonst üblich innen, sondern außen angeordnet. Sie zeigen dabei unterschiedlich dimensionierte Höhen je nach ihrer Lage in der terrassierten Fassade. Ähnlich wie Pilzstützen weiten sich die Köpfe zu einem Hohlraum auf. Diese Hohlräume der Stützen dienen als große Pflanztröge. Der Name des Projekts, 1.000 Trees, verweist auf die 1.000 Bäume in der Fassade. Zusätzlich zu den Bäumen sind weitere etwa 200.000 Pflanzen als eine biodiverse und regionaltypische Mischung vorgesehen. Gräser, Sträucher, Stauden, rankende und kletternde, aber auch immergrüne sowie blühende Pflanzen sollen im Laufe der Zeit zu einer dichten grünen Schicht wachsen, die sich positiv regulierend auf das subtropisch-feuchte Klima mit oftmals hoher Smog-Belastung auswirken soll.
Das Prinzip von Stahlbetonstützen, die sich oben in der Anmutung
von Blüten aufblättern und kelchartige Pflanzgefäße bilden, hat
Heatherwick Studio in New York bei der künstlichen Insel Little Island im Hudson bereits erfolgreich
erprobt. Sowohl in New York als auch in Schanghai umfasst das
Material- und Farbkonzept grauen Stahlbeton, rötlichen Cortenstahl,
üppige grüne Pflanzen vor dem Hintergrund reflektierender
Wasseroberflächen und dem Himmel.
Blindfenster und Laibungen
Die Südfassade von 1.000 Trees ist anders als die drei
terrassierten Ansichten des Neubaus: Sie ähnelt einem Steilhang.
Hier ist eine überdimensionale Bilderwand als eine Erweiterung des
angrenzenden M50-Kunstareals entstanden. Das konstruktive Raster
bildet eine Gefüge aus unterschiedlich breiten und hohen Rechtecken
für raumhohe Fenster. Besonders die Blindfenster sind hier
gestaltprägend, denn sie sind wortwörtlich die Leinwand für
großformatige Street Art. Die Laibungen aus Stahl sind dabei
tatsächlich Rahmen für die Arbeiten von bisher 17 Kunstschaffenden,
die eigens von einem Kurator ausgewählt wurden. Das größte Wandbild
(=Mural) befindet sich jedoch im Inneren, und zwar im Atrium des
westlichen Gebäudes. Gläserne Aufzüge gleiten an einem 40 m hohen
Mural hinauf und hinab, das gefiederte Wesen zeigt.
-sj
Bautafel
Architektur: Heatherwick Studio, London
Projektbeteiligte: MLA Architects Ltd, Hong Kong (Executive und Local Architect); Shanghai Construction No. 1 Co. Ltd, Shanghai (Bauunternehmen); Shanghai Liaosheng Curtain Wall Engineering, Shanghai (Fassade); EFC Engineering Co. Ltd, Wah Heng Glass and Aluminium Products Ltd, Shanghai (Fassadenberatung); Shanghai Jia Yuan Landscape Engineering Co. Ltd, Shanghai (Landschaftsbau); URBIS (Beratung Landschaft); ARUP & SIADR (Tragwerk); Speirs and Major, LEOX Design Partnership (Lichtplanung); Shanghai Dong Ni Architectural Decoration Co. Ltd (Innenausbau); Paul Dezio in Zusammenarbeit mit Captive Media (Kuratierung Kunst); Vhils, Dezio, Cantwo, Titifreak, Vandal, Caratoes, Daleast, Antz, Askewone, Tristan Eaton, Satr, Suiko, Demsky, Xeme, Wais, Jayson Atienza (Künstler und Künstlerinnen)
Bauherr/in: Tian An China Investments Company Limited, Hong Kong, China
Fertigstellung: 2022
Standort: 600 Moganshan Road, Putuo, Schanghai, China
Bildnachweis: Qingyan Zhu, Shanghai, über Heatherwick Studio, London; Heatherwick Studio, London