Kornversuchsspeicher in Berlin

Sanierung und Revitalisierung eines Industriedenkmals

Bei einem Spaziergang entlang des Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal in der Europacity, einem aufstrebenden Wohn- und Gewerbequartier nördlich des Berliner Hauptbahnhofs, fällt die markante, rotbraune Klinkerfassade des ehemaligen Kornversuchsspeichers schon aus der Ferne ins Auge. Das denkmalgeschützte Industriebauwerk aus dem 19. Jahrhundert wurde durch das Berliner Büro AFF Architekten behutsam instandgesetzt und für eine zeitgemäße Nutzung umgestaltet. 

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Mehr als ein Speicher

Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Backsteinbau 1898 auf dem damaligen Gelände des Hamburger- und Lehrter Güterbahnhofs errichtet, um mögliche Getreidelagerungsmethoden zur Sicherung der Lebensmittelversorgung zu erproben. Nach etwa zwanzig Jahren Betrieb erfolgte im Jahr 1915 eine Erweiterung des Speichers (BT1) durch einen Anbau (BT2), welcher als Stahlbetonstockwerkrahmenbau konstruiert und mit Klinkersteinen ausgefacht wurde. Dieser neue Teil des Kornversuchsspeichers diente der vergleichenden Untersuchung der Schüttbodenspeicherung sowie moderner Maschinentechniken. 

Im Zuge der Erweiterung wurde die ursprüngliche innere Holzkonstruktion des Speichers (BT1) durch ein Stahlbetonskelett ersetzt. Da die Kombination von Trichterspeicherdecken und der Stahlbetonskelettbauweise zu dieser Zeit eine Innovation im Bauwesen darstellte, gilt das Bauwerk heute aus denkmalpflegerischer Sicht als wichtiges Zeugnis der anfänglichen Betonbautechnik in Deutschland. 

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Baudenkmal trifft auf Zeitgeist

Die Sanierung und Umgestaltung des Kornversuchsspeichers ist Teil des gesamten Europacity-Projekts. Das Büro AFF Architekten gewann den Wettbewerb mit seinem Konzept, das Speicherbauwerk in seine ursprüngliche Kubatur mit Laternendach zurückzuversetzen und es für Büronutzungen anzupassen. Der Umbau definiert sich vor allem über den partiellen Rückbau der Betontragkonstruktionen, wenig prägnante bauliche Interventionen sowie die Aufstockung des Dachgeschosses.

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Aufstockung mit großflächigem Schiebetürsystem

Bei der Konstruktion des Dachgeschosses orientieren sich die Architekt*innen an der ursprünglichen Firsthöhe des Kornversuchsspeichers und lehnen die Form der Aufstockung an Laternendächer historischer Speicherbauwerke an. Die Klinkerfassade des Dachaufbaus greift den Mauerwerksverband der Fassade auf, interpretiert ihn jedoch mit reliefartigen Vor- und Rücksprüngen neu. Zwei großzügige Dachterrassen flankieren die Längsseiten der Dachaufstockung.

An jeder Seite lassen zwei neun bzw. elf Meter breite, dreifachverglaste Schiebetürsysteme mit jeweils drei verschiebbaren Flügeln viel Tageslicht in die Dachgeschossräume und bieten den Nutzer*innen einen weiten Blick über die Europacity und den Schifffahrtskanal. Obwohl allein jedes Schiebelement rund 700 kg wiegt, lassen sie sich in den flächenbündig eingelassenen Lauf- und Führungsschienen aus Edelstahl leichtgängig auf- und zuschieben. Die Führungsschienen haben ebenso wie die 34 mm breiten Profile eine rotbraune Pulverbeschichtung und verschmelzen somit optisch mit der Klinkerfassade. Im Erdgeschoss sorgt eine weitere Schiebetür für den nahtlosen Übergang zwischen Gastronomiefläche und Außenbereich. Diese kann auf einer zweispurigen, vollständig in den Boden eingelassenen Laufschiene vollständig in die raumseitige Wandtasche eingefahren werden.

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Sanierungs- und Umbaumaßnahmen

Aufgrund langen Leerstands, Verwitterung und unzureichender Betonüberdeckung zeigten die Bauteile des Kornversuchsspeichers unterschiedliche Sanierungsbedarfsgrade. Die historische Klinkerfassade im Blockverband von BT1 wurde aufgearbeitet, gereinigt und an wenigen Stellen ergänzt. Zudem erfolgte die Innendämmung bisher nicht isolierter Bauteile. Die Speicherfenster wurden in Abstimmung mit der Denkmalpflege restauriert oder ersetzt. Die Betonstruktur erfuhr eine aufwändige Sanierung, da insbesondere die Außenstützen von BT2 nicht mehr tragfähig waren. Im Zuge der Sanierungsarbeiten wurden diese verstärkt und neu betoniert, wobei bestehende Klinkerausfachungen zunächst entfernt und dann wiederverwendet wurden. Einige der ursprünglichen Klinkerausfachungen wurden durch großflächige Fenster bzw. Schiebetüren ersetzt. Auf diese Weise wird nicht nur mehr Tageslicht in den Innenraum gelassen, sondern auch die Ausbildung von Balkonen an der nördlichen Stirnseite des Gebäudes ermöglicht.

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Um moderne Büro- und Arbeitsräume mit der nötigen Raumhöhe zu schaffen, wurde in jedem zweiten Geschoss von BT2 ein Teil der Decke entfernt. Durch diesen konstruktiven Eingriff wird nun auch die eindrucksvolle Untersicht auf die historische Schüttendecke erlebbar. Eingezogene Stahlkonstruktionen bilden Galerieebenen aus, die den Raum in qualitätsvolle Arbeitsbereiche auf zwei Ebenen gliedern. 

Die neue Erschließungsspange wurde an der Nahtstelle von BT1 und BT2 platziert und umfasst ein Treppenhaus, einen Aufzug, Nebenräume und Sanitäranlagen auf jeder Etage. In jedem zweiten Geschoss sind die Ebenen beider Bauteile miteinander verbunden. 

Das Nutzungskonzept

Der sanierte Baukörper bietet eine Gesamtnutzfläche von 2.371 m2. Das Erdgeschoss eignet sich für gastronomische sowie kulturelle Nutzungen, während die oberen sechs Geschosse als moderne Büroflächen konzipiert wurden. Trotz dieser Transformation für moderne Zwecke, konnte der Industriecharme des ehemaligen Kornversuchsspeichers bewahrt werden. -sms

Bautafel

Architektur: AFF Architekten (Instandsetzung)
Projektbeteiligte:  ISKP Ingenieure, Berlin (Tragwerksplanung); Passau Ingenieure, Berlin (TGA-Planung); Capattistaubach Urbane Landschaften, Berlin (Landschaftsarchitektur); ISRW – Institut für Schalltechnik, Raumakustik, Wärmeschutz, Berlin (Bauphysik); CRP Bauingenieure, Berlin (Brandschutz); Solarlux, Melle (Hersteller Schiebetüren, eingesetzte Produkte cero III im Dachgeschoss und cero II mit Wandtasche im Erdgeschoss)
Bauherr*in: Adler Group, Berlin
Standort: Hedwig-Porschütz-Straße 20, 10557 Berlin, Deutschland
Fertigstellung: 2023
Bildnachweis: Daniel Sumesgutner für Solarlux

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Schiebefenster

Sei es horizontal, vertikal oder in Dachschrägen: Während der Bewegung bleibt der Flügel parallel zur Wandebene; im geöffneten Zustand ragt er nicht in den Raum hinein.

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