Hängende Gärten von Semiramis
Kerninnovationen für experimentelle und technisch ausgeklügelte Entwürfe
Der konventionelle Entwurfsprozess beginnt mit einer Idee, aus
der sich Setzung, Form und detaillierte Ausgestaltung entwickeln.
Über die weiteren Planungsphasen hinweg kommen technische,
rechtliche sowie Montage- und Fertigungsvorgaben hinzu, die den
ursprünglichen Entwurf durchaus verändern können. Anpassungen der
Geometrie, bis sie alle geforderten Zielgrößen erfüllen, übernehmen
im klassischen Entwurfsprozess die Planenden in mühevoller
manueller Arbeit. Mit den heutigen Möglichkeiten, die sich aus dem
Einsatz maschinellen Lernens und interaktivem Architekturdesign
ergeben, lässt sich der Planungsweg so umkehren, dass diese
entwurfsentscheidenden Parameter bereits in den ersten Formstudien
mitbedacht und abgebildet werden.
Gallerie
Forschende von Gramazio Kohler Research der ETH Zürich
haben mit diesen Mitteln und in Kooperation mit Müller Illien
Landschaftsarchitekten und Timbatec Semiramis entworfen –
eine 22,5 Meter hohe Holzstruktur, die das Zentrum des neu
entstehenden Tech Cluster in Zug markieren und einen
schattenspendenden, ruhigen Treffpunkt bilden wird. Die
Installation soll zudem zeigen, dass sich naturnahe
Stadtentwicklung und hochtechnologische Entwurfs- und
Fertigungsmethoden keineswegs ausschließen, sondern sich sogar
gegenseitig befeuern können. Die Skulptur besteht aus fünf amorphen
Holztrögen die von insgesamt acht Stahlsäulen getragen werden und
soll als vertikaler städtischer Garten verschiedenen Pflanzen und
Tieren einen neuen Lebensraum bieten.
Interaktiv entwerfen mit maschinellem Lernmodell
Im Rahmen des Projekts entstanden vier Kerninnovationen, allen
voran ein maschinelles Lernmodell für den Entwurf, das in
Zusammenarbeit mit dem Swiss Data Science Center entwickelt worden
ist. Der sogenannte Autoencoder – ein künstliches Neuronales
Netz – wurde so trainiert, dass er sowohl die Form und die
räumliche Anordnung der Schalen als auch die daraus resultierende
Leistung in Bezug auf Sonnen- und Regenschutz sowie bepflanzbare
Fläche abbildet. Damit besteht eine freie und intuitive Methode der
Entwurfsexploration, mit der die Beteiligten neue und unerwartete
Geometrien entwerfen können, ohne diese anschließend manuell auf
die erforderlichen technischen Zielgrößen hin anpassen zu
müssen.
In Zusammenarbeit mit dem Computational Robotics Lab der
ETH Zürich entstand zudem ein interaktives Designtool, das in eine
gängige 3D-Modellierungssoftware integriert wurde und es erlaubt,
mehrere Kriterien parallel zu optimieren. Im Falle von Semiramis
konnte die komplexe Geometrie der facettierten Holzschalen nach
Belieben geändert werden; die Software sorgte währenddessen bei
jeder Änderung dafür, dass die einzelnen Holzplatten eben bleiben,
ihre Größe einen vorgegebenen Maximalwert nicht überschreitet und
zugleich die strukturelle Tragfähigkeit verbessert wird.
Kollaborative Roboterfertigung
Auch für Fertigung und Montage nutzten die Forschenden digitale
Methoden. Die Fertigung erfolgte mithilfe von vier Roboterarmen,
die sich auf einem an der Decke montierten Portalsystem aus zwei
linearen Achsen im rechten Winkel befinden. Die Arme können sich
auf ihrer jeweiligen Achse hin und her bewegen und so die
Holzplatten präzise an vordefinierte Zielpositionen bringen. Ein
Algorithmus berechnet dabei die Bewegungen der Roboter so, dass es
zu keinen Kollisionen kommt.
Diesen Multi-Roboter-Montageprozess entwickelte man am
Robotic Fabrication Laboratory der ETH Zürich in
Zusammenarbeit mit Intrinsic, dem Roboter-Softwareunternehmen von
Alphabet. Der Prozess ist kollaborativ: Während die Roboter das
schwere Heben und präzise Positionieren der Platten übernehmen, ist
der Mensch für die Aufgaben verantwortlich, die viel Geschick
erfordern, wie beispielsweise das Verleimen der Platten. Für die
Erhaltung der Baustandards bei der Umsetzung zog man das
Generalunternehmen Erne hinzu.
Die fertige Skulptur markiert seit diesem Jahr den Eingang des
neuen Tech Clusters in Zug. Mit integrierten Strom- und
Wasserinstallationen versorgt sich der Garten selbst und soll auch
explizit nicht von Menschen betreten werden. Die Natur soll hier
komplett ungestört wachsen – ohne jegliche Steuerung oder
Beeinflussung von außen.
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