Bulgari Flagship-Store in Bangkok
Schaufenster, Blindfenster und Zierlaibungen
Der Entwurf von Schaufenstern für Juweliere ist eine gestalterische Herausforderung, denn Juwelen sind meist ziemlich kleine Objekte. In einem zu großen Schaufenster verlieren sich die einzelnen Schmuckstücke durch die immensen Unterschiede in der Proportion oder aber müssen durch Anhäufung eine größere Masse formen. Masse allerdings steht im Widerspruch zum Anspruch auf kostbare und einzigartige Exklusivität. Ein zu kleines Schaufenster à la Guckkasten dagegen wird leicht übersehen und kann belanglos aussehen.
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Mega-Schaufenster als Fassade in einem Einkaufszentrum
Bei der Fassade für den dreigeschossigen Flagship-Store des
italienischen Juweliers Bulgari löste das niederländische
Architekturbüro MVRDV diesen Spagat, indem das – relativ kleine –
Fenstermotiv des römischen Stammhauses zu einem asymmetrischen Bild
übereinandergestapelt wurde. Transparente, opake und mit
blickdichten Vorhängen versehene Schaufenster setzen sich zu einem
Mega-Schaufenster zusammen. Das Ergebnis wirkt wie eine opulent
verpackte Schmuckschatulle und zieht tatsächlich wie gewünscht die
Blicke potenzieller Käuferinnen und Käufer auf sich.
Der Flagship-Store befindet sich auf der Beletage der Iconsiam Shoppingmall in Bangkok. Das 10-geschossige Einkaufszentrum wurde ab 2018 in mehreren Bauabschnitten als Teil eines Ensembles aus Hotel- und Wohntürmen, der Dependance eines Museums, Konferenz-, Kino- und Eventsälen, Bootsanleger und Park direkt am Chao Phraya River eröffnet. Mit dem Motto „The Icon of Eternal Prosperity“, übersetzt als „Das Symbol ewigen Wohlstands“, beinhaltet die Mall etwa 500 Geschäfte, 100 Restaurants, begehbare Dachgärten und einen 15 Meter hohen Indoor-Wasserfall mit Multimedia-Effekten. Einige der luxuriösesten Marken sind in einer Abteilung namens Iconluxe separat zusammengefasst. Hier sind die Nachbarn des Bulgari-Flagship-Stores ebenfalls aufwendig gestaltete Verkaufsräume von Marken wie Dolce&Gabbana, Prada, Tiffany, Porsche und Maserati.
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Zierlaibung mit Cavetto-Kehle als Kontur
Die Fassade besteht aus 22 Feldern bei einer Fläche von 234 Quadratmetern. Jedes Feld – unabhängig ob zweiflügelige Eingangstür, Schaufenster oder Blindfenster – ist von einer Laibung aus Messing mit integrierter Lichtfuge gerahmt. Die Kontur der Laibung verweist auf die Laibungen des Bulgari-Stammhauses aus dem Jahr 1905 in der Via dei Condotti nahe der Spanischen Treppe in Rom. Das untere Geschoss des Stammhauses wurde 1934 umgebaut, dabei erhielten die fünf Schaufenster vorgeblendete Laibungen aus dunklem Marmor. Bei den Zier- oder vielmehr Blendlaibungen wurden in der Interpretation einer Cavetto, einer Hohlkehle, die oberen Ecken der Laibung als negative Viertelkreise ausgeschnitten, jedoch nicht dreidimensional, sondern flächig. Diese geometrische Stilisierung eines Ornaments, das sich als plastisches Eckgesims schon in der antiken Architektur der Ägypter, Griechen und Römer findet, entspricht zeitlich wie formal den Prinzipien des Art Déco. Die Kontur mit den beiden aus Viertelkreisen gebildeten negativen Ecken und der gestuften Überhöhung des Architravs wurde zu einem Erkennungsmerkmal der Marke Bulgari, das weltweit in zahlreichen Filialen eingesetzt wird.
Das Team von MVRDV um Jakob van Rijs nimmt diese charakteristische Kontur auf, in dem sie mit filigranen goldglänzenden Messingstegen nachgezeichnet wird. Die Breite der Marmorlaibungen aus der Via dei Condotti wird ebenfalls zitiert, denn die Streifen aus gebürstetem Messing, die sich zurückgesetzt zwischen den Stegen befinden, entsprechen der Breite der Marmorlaibungen im römischen Stammhaus.
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Asymmetrisches Muster aus gestapelten Fenstern
Die Fensteröffnungen mitsamt den Laibungen sind so eng neben- und übereinander angeordnet, dass keine Wandfläche übrig bleibt. So entsteht ein asymmetrisches und plastisches Muster aus Fensterflächen unterschiedlichen Formats, aus den hervortretenden Linien der Laibungsstege, den zurückgesetzten Laibungsstreifen und – durch die Überlappungen – verschiedenen negativen Viertelkreisen.
Mit der Idee, Versatzstücke älterer Architekturen übereinanderzustapeln, hatte bereits der italienische Zeichner und Architekt Giovanni Battista Piranesi experimentiert. Seine Zeichnungen und Radierungen aus dem 18. Jahrhundert zeigen nicht nur antike Ruinen, sondern auch Architektur-Fantasien aus Puzzlesteinen, beispielsweise unterschiedliche und dann übereinandergestellte Portale als Fassade für eine Therme in Rom.
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Schaufenster, Vitrinen, Blindfenster, blickdichte
Vorhänge
Die Fenster auf der Eingangsebene sind die Schaufenster, in denen der Schmuck in einem Bild-im-Bild-Prinzip oder hier vielmehr in einem Rahmen-in-Rahmen-Verfahren präsentiert wird. Vitrinen auf Augenhöhe bilden dabei die kleinsten inneren Felder. Der visuelle Kontrast zwischen groß und klein, vorne und hinten, Linie und Fläche wird durch farbige Tafeln mit weiteren charakteristischen Motiven von Bulgari wie Schlangen, Sternen und Blüten betont. Die Fensterfelder auf der mittleren Ebene sind als Blindfenster aus opakem farbigen Glas gefertigt. Einige der Fenster auf der oberen Ebene sind ebenfalls Blindfenster, andere lassen sich mit Vorhängen blickdicht schließen.
Diese drei Arten von Fenstern resultieren aus der inneren Organisation des Juweliergeschäfts. Eine zweiflügelige gläserne Eingangstür dient als einladende Öffnung zum Verkaufsraum, der von Vitrinen unterteilt wird. Die Vitrinensockel verweisen mit den Materialien Messing und Marmor wieder auf die Fassade und die römische Tradition. Von diesem visuell offenen Verkaufsraum sind mehrere Kabinette abgetrennt. Als nicht einsehbare Separees bieten sie Kundinnen und Kunden bei der Auswahl und dem Probieren der Juwelen Diskretion. Ein für VIP-Gäste reserviertes Separee trägt den Namen Elizabeth Taylor Lounge als Hommage an die Schauspielerin, die während der Dreharbeiten zum Film Cleopatra (1963) oft und gern bei Bulgari in Rom einkaufen ging. Nebenräume sind ebenfalls mit Blindfenstern geschlossen.
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Farben, Beleuchtung, Spiegeleffekt
Farblich dominiert gold-glänzend poliertes oder gebürstetes
Messing. Eine umlaufende verdeckte Lichtfuge akzentuiert dabei die
Konturen der Laibung und lässt das opake Glas der Blindfenster in
warmen, hellen Creme-, Gelb- und Orange-Nuancen schimmern. Die
reliefartige Kombination aus goldenen Linien und farbigen Flächen
soll dabei Assoziationen an mit Gold gefasste farbige Edelsteine
wie Rubellit, Rosenquarz, Citrin oder Turmalin wecken. Da die Decke
des Einkaufszentrums im Bereich der Luxus-Marken mit Blattgold
verkleidet ist, entsteht im Deckenbereich eine
Ton-in-Ton-Spiegelung, die den Leuchteffekt der Fassade noch
verstärkt. -sj
Bautafel
Architektur: MVRDV, Rotterdam; Jacob van Rijs, Fokke Moerel, Aser Giménez Ortega, Simone Costa, Elien Deceuninck, Rico van de Gevel, Junxiang Zhang (Team)
Projektbeteiligte: Redwood Interior PTE LTD, Singapur (Ausführende Firma); ABT bv, Velp/NL, E.H.J. ten Brincke (Beratende Ingenieure)
Bauherr/in: Bulgari, Rom
Fertigstellung: 2020
Standort: Unit LM08, M Floor, Iconsiam Shopping Center, 680 Khlong Ton Sai, Bangkok 10600
Bildnachweis: Ketsiree Wongwan, Bangkok, über MVRDV; Andrea Prado CC BY 4.0 über Wikimedia Commons; Giovanni Battista Piranesi über National Gallery of Art Washington DC, USA, Wolfgang Ratjen Collection Nr. 2007.111.25, Public Domain