Wohnen in der Faber Fabrik in Ryslinge
Haus-im-Haus in modularer Bauweise
Im Jahr 2016 stellte die dänische Verkehrs-, Bau- und Entwicklungsbehörde knapp vier Millionen Euro für Musterprojekte bereit, um die Entwicklung modularer Systeme zu fördern. Sie sollten genutzt werden, um in ländlichen Regionen moderne und flexible Mietobjekte in erhaltenswerten historischen Bauwerken zu realisieren. Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von der Aarhus School of Architecture, welche auch die kleine Gemeinde Faaborg-Midtfyn auf der Insel Fyn betreute. Als eines von vier Projekten wurden die ehemalige Faber Fabrik in der kleinen Ortschaft Ryslinge ausgewählt.
Gallerie
Die ländlichen Regionen Dänemarks verfügen über ein reiches, jedoch auch gefährdetes Erbe an historischen Bauwerken – ehemalige Fabriken oder Bahnhofsgebäude bieten ein großes Flächenpotenzial, aber geringen wirtschaftlichen Anreiz für eine Entwicklung zu Wohnzwecken. Ganz im Gegensatz zum Wohnen in der Stadt.
Modulare Bauweise bietet wirtschaftliche Vorteile
Das Kopenhagener Architekturbüro Arcgency wurde mit dem Umbau der Fabrikgebäude beauftragt: Es verfügt über eine jahrelange Erfahrung mit modularer Bauweise und hat sich auf industrielle, vorgefertigte Bauelemente spezialisiert. Werden traditionelle Bautechniken angewendet, ist ein Umbau oft teuer. Die energetische Optimierung, Herausforderungen bei der Anpassung an den Bestand und das Risiko unvorhersehbarer Kosten sind Faktoren, die die Ausgaben im Vergleich zum Neubau erhöhen.
Mit ihrem Haus-im-Haus-Konzept schufen die Architekten eine
Wohnungstypologie mit starker Identität und geringem ökologischen
Fußabdruck. Die Faber Fabrik ist gekennzeichnet durch
bemerkenswerte Raumsequenzen; die Entwicklung des Industriegebäudes
im Laufe der Zeiten ist am Gebäudekörper ablesbar. Anstatt die
Fabrik an die Wohnnutzung anzupassen, sollten die Wohnungen sich
der Fabrik anpassen.
Minimale Renovierung, Prinzip Kern und Schale
Statt alle Oberflächen und Quadratmeter zu erneuern, wurde ein
Großteil des Bestands im gegenwärtigen Zustand belassen. Renoviert
wurde dort, wo es unbedingt nötig war. In den roh belassenen Räumen
wird, losgelöst von der vorhandenen Struktur, eine eigenständige
Holzkonstruktion errichtet. Diese bezeichnen die Architekten als
„Kern”, das Vorhandene als „Schale”. Jede Wohnung verfügt über
einen Kern und eine Schale.
Der Kern bildet den Hauptteil der Wohnung: Er ist kompakt, energieeffizient und aus natürlichen Materialien hergestellt. Er bietet hervorragende Tageslichtbedingungen, ein angenehmes Raumklima und große räumliche Unterschiede. Der Kern besteht aus einer offenen Küche, einem Essbereich, Schlafzimmern und Badezimmer. Die Schale ist ein unbeheizter und nicht wärmegedämmter, flexibler Raum. Abhängig von der Jahreszeit können hier Aktivitäten stattfinden, für die in einer normalen Wohnung kaum Platz ist: beispielsweise eine Nutzung als Atelier, Indoor-Spielplatz oder Werkstatt.
Glaselemente als „transparente Grenze“
Zwischen Kern und Schale bilden Glaselemente, die sich vollständig öffnen lassen, eine Art „transparente Grenze“. So wird die Wohnung als großer, flexibler Raum wahrgenommen. Während der kalten Monate kann die Wand geschlossen werden, der Sichtkontakt bleibt. In der Begegnung zwischen den rohen, unbeheizten Räumen und den neuen Kernen wird das Erbe des Gebäudes vermittelt. Die ursprünglichen Oberflächen mit ihren Gebrauchsspuren und der gewölbten Ziegeldecke bilden einen starken Kontrast zu den prägnanten Holzkonstruktionen – eine Gegenüberstellung, die die Wohnung zu etwas Besonderem macht.
Die Kerne entsprechen einem modularen Raster. Sie bestehen aus Standardmaterialien, haben Standardmaße und rechte Winkel. Sie können errichtet werden, ohne sich auf eine vorhandene Krümmung des Gebäudes beziehen zu müssen. Einige Verbindungen zwischen Kern und Bestand allerdings sind speziell ausgeführt – das kann beispielsweise eine Fensteröffnung sein. Trifft das modulare System auf die unregelmäßigen Wände der bestehenden Fabrik, sind solche Verbindungselemente mithilfe von 3D-Scannern und Robotern gefertigt. Der Scan der vorhandenen Wände wurde zur Erstellung eines 3D-Modells verwendet. Basierend auf diesem Modell wurde z.B. eine maßgeschneiderte Fensterbank von CNC-Robotern entworfen und hergestellt.
Das Konzept folgt der industriellen Logik, große Mengen zu produzieren, um eine kostengünstige Produktion anbieten zu können. Die Vorfertigung ist daher nicht für kleine Projekte geeignet. Für dieses Projekt wurden die Komponenten lokal in einer kleinen Fabrik vor Ort hergestellt; für größere Vorhaben kann das Konzept hochskaliert werden.
Adaptive Wiederverwendung und Rezyklierbarkeit
Ressourcenbewusstsein ist ein zentraler Wert für Arcgency. Bei der Arbeit mit adaptiver Wiederverwendung ist das Büro bemüht, von der vorhandenen Struktur so viel wie möglich zu verwenden. Neues Material, das hinzugefügt wird, muss nachhaltig sein und mechanisch montiert werden können (mit Schrauben usw.), damit es sich zu einem späteren Zeitpunkt zerlegen, wiederverwenden und recyceln lässt.
Der Kern ist komplett aus Holz gebaut. Dies umfasst tragende Konstruktionen, Dämmstoffe, Decken, Wände und Böden. Holz ist nicht nur nachhaltig, es bietet weitere Vorteile:
- Holz kann Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben, dies schafft ein gesundes Raumklima.
- Die Konstruktion ist einfach – der Schreiner ist der Haupthandwerker.
- Holz ist vor Ort und in der Vorfertigung leicht zu verarbeiten.
- Die Wartung ist einfach: Alle Oberflächen sind mechanisch montiert und leicht zu zerlegen; eine Renovierung und Wiederverwendung sind wirtschaftlich gut möglich.
- Das Material definiert eine klare Grenze zwischen Neu und Alt.
Bautafel
Architektur: Arcgency, Kopenhagen
Projektbeteiligte: Arcgency, Kopenhagen in Zusammenarbeit mit Ekolab und der Aarhus school of Architecture (Projektentwicklung); Ekolab, Aarhus (Energieberatung); Henry Jensen, Odense (Tragwerksplanung); Jord Miljø, Kopenhagen (Umweltverträglichkeit); PH Byg Faaborg (Generalunternehmer)
Bauherr: Gemeinde Faaborg-Midtfyn
Fertigstellung: 2020
Standort: Hestehavevej, 5856 Ryslinge, Dänemark
Bildnachweis: Rasmus Hjortshøj - COAST Studio, Kopenhagen