Geschosswohnungsbau Rozemaai in Antwerpen
Umwandlung von Zeilenbauten der Siebziger Jahre
Mit Großsiedlungen, die während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwiegend als sozialer Wohnungsbau entstanden, müssen sich viele europäische Städte gegenwärtig näher befassen. Sind eine Sanierung bzw. ein Umbau möglich? Wie lassen sich die oftmals stigmatisierten und tristen Quartiere aufwerten? Die beiden achtgeschossigen Zeilenbauten als Teil der Siedlung Rozemaai im Norden von Antwerpen erscheinen nach ihrem Umbau durch Atelier Kempe Thill aus Rotterdam wie verwandelt. Die heruntergekommenen Plattenbauten mit Laubengängen in grauem Sichtbeton, die sich zum Drogenumschlagplatz von Ekeren entwickelt hatten, erfuhren eine Umgestaltung in helle, gläserne und räumlich differenzierte Wohngebäude.
Gallerie
Im Osten durch den beeindruckenden Landschaftspark Oude landen begrenzt, führt an der Siedlung im Südwesten eine Autobahn vorbei und trennt sie vom Gewerbegebiet am Hafen. Der Stadtplan für die in den 1970er- und 80er-Jahren errichtete Siedlung Rozemaai basierte auf den CIAM-Grundsätzen. Nicht nur äußerlich waren die Zeilen-, Reihen- und Punktbauten sanierungsbedürftig, auch der Wärme-, Schall- und Feuchteschutz war nach heutigen Gesichtspunkten ungenügend. Gegen einen Komplettabriss entschied man sich nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen: Der Bestandsschutz wäre verloren gegangen, die ursprünglich achtgeschossigen Häuser hätten durch maximal vierstöckige Neubauten ersetzt werden dürfen.
Rückbau bis auf die Betonstruktur
Den im Jahr 2011 ausgelobten Architekturwettbewerb, der eine Transformation von zunächst zwei Wohngebäuden zum Ziel hatte, konnten die Planer von Kempe Thill mit einem radikalen Ansatz für sich entscheiden. Um das Ensemble in die Umgebung besser zu integrieren und fußläufige Barrieren aufzuheben, wurden Zwischengebäude wie Garagen entfernt. Abgerissen wurden auch die vorhandenen Treppen- und Aufzugsanlagen: Für die zeitgemäße Umorganisation der Wohneinheiten waren sie ungeeignet; zudem zergliederten sie die Baukörper wenig funktional. Die Fassaden- und Brüstungselemente wurden ebenfalls rückgebaut, um Sichtbezüge in die Landschaft zu stärken. Was blieb, war die Grundstruktur aus Beton als Basis für einen gestalterisch wie konstruktiv anspruchsvollen Wiederaufbau.
Ziel der Revitalisierung war es, die Grundprinzipien der Moderne herauszuarbeiten und neu zu interpretieren – Licht, Raum und Grün waren zentrale Themen. Zunächst wurden die vertikale wie auch horizontale Erschließung neu organisiert: Jeweils an den Kopfseiten der Gebäude wurden neue Treppen und Aufzüge plaziert. So ließen sich die Längsfassaden zur Erschließungsstraße bzw. Parklandschaft freihalten und die Eingänge markant und gut sichtbar positionieren. Gläserne Brüstungen an den Laubengängen und große Verglasungen eröffnen freie Sichtbezüge.
Vorgesetzte Balkone, flexible Grundrisse und viel
Licht
Für eine Neugliederung der Grundrisse wurden
zahlreiche große Öffnungen in die Betonschotten der
Plattenkonstruktion gesägt. An der Ostseite wurde eine Balkonanlage
als „zweite Fassade” ergänzt. Um an der Westseite mit den
Laubengängen eine gewisse Privatsphäre zu schaffen, wurden hier
horizontale Fenster zu den Küchenbereichen platziert. Im
Erdgeschoss befinden sich große Familienwohnungen mit Eingängen,
die nach Osten orientiert sind, während die Freibereiche nach
Westen weisen. Insgesamt erreichte man durch die Umplanung eine
hohe Flexibilität der Grundrisse, viel Platz und reichlich
Tageslicht.
Trotz der enormen Ausmaße erscheinen die Gebäude transformiert, aus der Vergangenheit des rauen Brutalismus in ein mehrschichtiges, leichtes Erscheinungsbild. Die Erdgeschosszone wurde als gläserner Sockel mit bis zu 5,60 Meter hohen Jumboglasscheiben in Verbindung mit stranggepressten profilierten Aluminiumplatten ausgebildet. Die Gläser sind zum Teil mattiert, um die notwendige Privatsphäre zu gewährleisten. In den Obergeschossen reflektieren die Glaselemente im Zusammenspiel mit bronzefarbenen Aluminiumwellplatten das umgebende Licht und erzeugen eine lebendige, wechselhafte Fassade.
Mehr Wohnqualität und Schallschutz, eliminieren von Wärmebrücken
Die Wohngebäude wiesen vor
dem Umbau die für Plattenbauten der Siebziger und Achtziger Jahre
typischen Baumängel und Schwachstellen auf. Die Grundrisse waren
klein und nach heutigem Maßstab wenig funktional, die Defizite
hinsichtlich Wärme-, Feuchte und Schallschutz groß, es gab
zahlreiche Wärmebrücken. Ziel der Sanierungsmaßnahmen waren ein
zeitgemäßer Wärmeschutz, die Erhöhung der Wohnqualität durch
verbesserten Schallschutz und das Eliminieren von Wärmebrücken.
Dafür wurden zunächst die von innen nach außen laufenden Betonbauteile thermisch getrennt, wozu teilweise ein Rückbau erforderlich war. Neue Betonbauteile wie Laubengänge, Wandscheiben oder die Balkonanlage wurden mit Dämmung an den Anschlussstellen versehen, die Stirnseiten von alten Betonwänden mit Dämmung ummantelt oder mit neuen Betonscheiben aufgedoppelt und eine Zwischendämmung montiert.
Fassade zum Laubengang als Holzrahmenkonstruktion
Neu hinzugefügte Wandelemente wie die geschlossenen Fassadenbereiche der Wohnungen zu den Laubengängen wurden als Holzrahmenkonstruktion umgesetzt. Deren Aufbau ist von außen nach innen wie folgt: gewalzte Fassadenplatte aus Aluminium (gewellt, d = 1 mm), belüfteter Zwischenraum mit Nadelholzlattung (d = 25 mm), wasserabweisende dampfoffene Folie, eine doppelte OSB-Beplankung (d = 2 x 18 mm, feuchtigkeitsbeständig), beidseitig mit dazwischenliegender Dämmschicht aus Steinwolle (d = 160 mm) und einer Dampfsperrfolie auf der Innenseite. Mit diesem Wandaufbau konnten die Architekten einen U-Wert von < 0,32 W/m²K und einen Schalldämmwert > 32 dB erreichen. Die Glasfassaden sind mit Aluminiumprofilen ausgeführt, die eine Zweifach-Isolier- und Sonnenschutzverglasung halten. Deren U-Wert ist < 1,1 W/m²K, der Schalldämmwert Rw > 34 dB.
Um einen möglichst hohen Schallschutz zu erzielen, wurden für
neue Massivbauteile vorwiegend Beton und Kalksandstein eingesetzt.
Diese haben eine hohe Rohdichte und damit gute
Schalldämmeigenschaften.
Bautafel
Architekten: Atelier Kempe Thill, Rotterdam
Projektbeteiligte: RE-ST architecten, Antwerpen (Bauleitung); LAND landschapsarchitecten, Antwerpen (Landschaftsarchitektur); BAS bvba, Leuven (Tragwerksplanung); SB Heedfeld, Riemst (Gebäudetechnik); Brebuild, Antwerpen (Generalunternehmer)
Bauherr: Woonhaven Antwerpen
Fertigstellung: 2019
Standort: Jef Van Hoofstraat 2 t/m 32, Karel Candaelstraat 2, BE 2030 Antwerpen
Bildnachweis: Ulrich Schwarz, Berlin