Turn- und Versammlungshalle Römerkastell in Stuttgart
Innendämmung als Teil einer Prallwand-Verkleidung
Unweit des Neckars errichteten die Römer um 100 n. Chr. das Kastell Cannstatt zur Verteidigung ihres Reiches. Mit breiten Gräben und meterstarken Wänden, die eine mindestens 19 Hektar große Siedlung umfassten, diente es ihnen als militärischer Stützpunkt und Handelsplatz gleichermaßen. Später verlor es seine Bedeutung und die Steinhäuser blieben fortan vermutlich ungenutzt. Ab 1904 wurde auf den Überresten des Kastells eine Dragonerkaserne für die Truppen König Wilhelms von Württemberg erbaut, deren Struktur bis heute markant ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die US-Streitkräfte ein und nutzten die Kaserne bis 1993, danach wurde sie zum Kulturdenkmal ernannt und schrittweise erneuert.
Gallerie
In den vergangenen Jahren hat sich das Römerkastell Bad Cannstatt zu einem prosperierenden Stadtquartier im Stuttgarter Norden entwickelt, mit Läden, Wohnungen, Büros und Werkstätten, Proberäumen, Ausstellungsflächen und Gastronomie. Der weiträumige, an vier Seiten gefasste, rechteckige Hof erstreckt sich von Nordost nach Südwest. Eine ehemalige Reithalle, die den Gebäudeabschluss an einem Hofeingang im Südosten bildet, stand lange leer. Ihre Sanierung und den Umbau zur Turn- und Versammlungshalle für benachbarte Schulen planten Ernst² Architekten gemeinsam mit dem Architekten Johannes Vornholt. 2014 wurde der behutsam instand gesetzte, lichte Bau mit einem filigranen stählernen Dachtragwerk eröffnet. Nebenräume wie Umkleiden, Duschen und WCs sind in den südlich angrenzenden ehemaligen Stallanlagen untergebracht. Ein Richtstall zum Vorbereiten der Pferde für die Reitübungen bildete den Übergang zur Halle – heute befindet sich dort das Foyer, das über eine breite Vortreppe an der Südostseite oder barrierefrei vom Hof erreichbar ist.
Sanierungsmaßnahmen/Bauphysik
Während der Nutzung durch die US-Amerikaner wurde der Bestand
maßgeblich verändert: Die Nordwestseite des ehemaligen
Stallgebäudes erhielt große Toröffnungen, Fenster wurden
zugemauert, in die Reithalle eine Zwischendecke eingezogen. Durch
den Einbau einer zweigeschossigen Heizzentrale in den Stallungen
wurden die Gewölbe der originalen Konstruktion zerstört.
Die Gebäudehülle beider Baukörper wurde denkmalgerecht modernisiert, d.h. bauphysikalisch und brandschutztechnisch ertüchtigt. Farb- und Materialsichtigkeit aller Oberflächen wurden in Anlehnung an historische Befunde wiederhergestellt. Um das sorgsam instand gesetzte äußere Erscheinungsbild zu wahren, erfolgten die notwendigen Dämmmaßnahmen auf der Innenseite: Die aus ca. 50 cm massivem Ziegelmauerwerk bestehenden Außenwände erhielten raumseitig eine 8 cm starke Schaumglasdämmung. Diese ist druck- und stoßfest, nicht brennbar sowie unempfindlich gegenüber Durchdringungen und Befestigungen. Zudem ließ sie sich mit der flächenelastischen Prallwandverkleidung in der Turnhalle kombinieren.
Gebäudeöffnungen
Im Zuge der Sanierung wurden die
zugemauerten Fenster geöffnet, bauzeitige Holzfenster erhaltend
aufgearbeitet und neue notwendige Fensterkonstruktionen nach
historischem Vorbild hergestellt. Die Fenster in der Halle sind als
Kastenfenster ausgeführt, um den Anforderungen des Denkmal- und
Wärmeschutzes sowie der Ballwurfsicherheit zu entsprechen. Außen
erscheinen sie als feine Stahlkonstruktionen mit
Sprossenaufteilung, einfacher Verglasung und offener Anschlussfuge
zur Fensterlaibung, um den Fensterzwischenraum zu belüften. Die
innenseitigen Fenster sind ebenfalls Stahlkonstruktionen, hier aber
mit einer Zweischeiben-Wärmeschutzverglasung bestückt und
ballwurfsicher ausgebildet. Der Sonnenschutz, ein mit PVC
ummanteltes Fiberglasgewebe, ist als Gegenzuganlage in den
Zwischenraum integriert. Die Oberlichter in der Halle sind
thermisch getrennte Aluminiumkonstruktionen mit
Zweischeiben-Wärmeschutzverglasung, die mit geringem Höhenversatz
in die Dachflächen eingebaut sind. Sie sind elektrisch bedienbar,
dienen der Belüftung und als Rauchabzug im Brandfall. Eine
horizontale Lamellenabdeckung in der Farbe der übrigen originalen
Dachelemente kaschiert diese neuen Glasflächen im Dach und dient
gleichzeitig als Sonnenschutz. Die Stahltore aus der Nachkriegszeit
konnten bis auf eines nicht erhalten werden und wurden durch
thermisch getrennte Stahlpaneele ersetzt.
Fassade
Die bossierten Sandsteinblöcke im unteren Fassadenbereich wurden
gereinigt, die einheitliche Materialsichtigkeit des
Natursteinsockels wiederhergestellt. Da sich die ursprünglich
vorhandene, grob gekörnte helle Putzfassade nicht rekonstruieren
ließ, wurde ein ocker-gelblicher Anstrich der 1950er-Jahre gewählt:
Der Außenputz besteht aus einem ca. 2 cm starkem Grundputz (Körnung
2 mm, Schwarzkalk) und einem Kalk-Zementputz als Oberputz (Körnung
2 mm, mit geringem Anteil Riesel 6 mm), waagerecht als Reibeputz
ausgeführt.
Innenraum
Die nachträglich eingefügte Zwischendecke
wurde entfernt, um den einstigen Hallencharakter
wiederherzustellen. Die erhalten gebliebene
Stahlfachwerkkonstruktion ist sichtbar, alle weiteren Dachbauteile
wurden aufgearbeitet. Neue Geräteräume sind als eingestellte Boxen
den Schmalseiten vorangestellt, das Farbkonzept an die historischen
Materialien angelehnt. Die von den Amerikanern eingebaute
Heizzentrale im ehemaligen Richtstall wurde entfernt, stattdessen
eine neue Heizungs- und Lüftungszentrale in dessen Dachgeschoss
aufgestellt und an das Fernwärmenetz angeschlossen. Die
Wärmeverteilung erfolgt in der Halle über eine Fußbodenheizung, die
Nebenräume sind mit Heizkörpern ausgestattet.
Die historischen Baumaterialien sind überall ablesbar: Die
restaurierten Eisenhalter zum Anbinden der Pferde erinnern an die
Stallfunktion, tragende Wände in den Flur- und Aufenthaltsbereichen
zeigen freigelegtes Ziegelmauerwerk. Die Umkleide- und Sanitärräume
sind als eigenständige Baukörper containerartig in die vorhandene
Struktur eingefügt. So bleibt die historische Gebäudekontur
erhalten, und die neuen Raumnutzungen ließen sich thermisch von der
Außenhülle abkoppeln. (us)
Bautafel
Architekten: Ernst 2 Architekten mit Johannes Vornholt, Stuttgart
Projektbeteiligte: Pfefferkorn Ingenieure, Stuttgart (Statik), ihs Ingenieurbüro Dieter Sentz, Ostfildern (HLS); IB Schwarz, Stuttgart (Elektro); IFB Ingenieure, Bad Teinach-Zavelstein (Bauphysik); Rossaro Gipsbau, Aalen (Innenausbau); Foamglas, Hilden (Innendämmung)
Bauherr: Landeshauptstadt Stuttgart
Fertigstellung: 2014
Standort: Rommelstraße 3 A, 70376 Stuttgart-Bad Cannstadt
Bildnachweis: Brigida González, Stuttgart