Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades
Natürliche Farbwiedergabe dank LED-Beleuchtung
Nach Stationen in der Schweiz und in Frankreich gelangte der Romancier Thomas Mann, der Deutschland nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verlassen musste, 1938 in die USA. Zunächst an der Princeton University in New Jersey tätig, ließ sich der Schriftsteller schließlich in Pacific Palisades, am Rande von Los Angeles, nieder, wo er in Nachbarschaft anderer prominenter Migranten – darunter Bertolt Brecht, Max Reinhardt und Theodor W. Adorno – lebte. Das Wohnhaus am San Remo Drive, 1941 nach Plänen des aus Berlin stammenden Architekten Julius Ralph Davidson entstanden, wurde 2018 nach der Wiederherstellung des Ursprungszustandes sowie nutzungsspezifischer Anpassungen durch die Arbeitsgemeinschaft rebuild.ing / H2Sarchitekten sowie die Berliner LenzWerk Holding als Residenzhaus wiedereröffnet.
Gallerie
Moderate Moderne am Pazifik
Das Haus, ganz im Stil einer moderaten kalifornischen Moderne gehalten, nimmt nur einen Teil des großzügigen Grundstücks ein. So führt von Westen her ein driveway auf den langgestreckten Bau zu, an dessen Stirnseite sich die Garage befindet. Von einem gedeckten Gang an der Nordseite des Hauses gesäumt, schlossen im ursprünglichen Zustand an das Zimmer der Bediensteten und die Küche die sonnendurchfluteten Ess- und Wohnräume an. Nebst dem Haupttreppenhaus, das am Ende des Korridors an das Wohnzimmer grenzt, führt eine zweite Stiege geradewegs in das einstige Schlafzimmer des Autors. Umgeben von Technikräumen separierte sie, einem Puffer gleich, die Repräsentationsbereiche vom Arbeitsplatz des Nobelpreisträgers. Die besondere Bedeutung dieses studiolo wird indessen nicht nur durch seine Position am Ende der Raumsequenz betont, sondern auch durch den Knick des Baukörpers, der nach Südosten aus der Hauptachse schert.
Vom Künstlerhaus zum Debattenort
Nachdem Katia und Thomas Mann Anfang der 1950er-Jahre die USA verließen und an den Zürichsee zogen, sollte Thomas Mann die Villa am San Remo Drive nicht wieder sehen: Verkauft an ein Anwaltspaar, wurde das Haus umgebaut und im Garten ein Pool angelegt. Als das Gebäude 2016 abermals veräußert wurde, befand es sich in einem desolaten Zustand. Auf Betreiben zahlreicher Kulturschaffender durch die Bundesregierung angekauft, wurde das Haus in eine Begegnungs- und Veranstaltungsstätte umgewandelt. Wie auch das einstige Domizil von Lion und Martha Feuchtwanger, das bereits seit 1995 Stipendiaten beherbergt, wird die Residenz seither vom Verein Villa Aurora und Thomas Mann House betreut. Eröffnet im Sommer 2018, dient das Haus jeweils fünf Intellektuellen, „die sich in ihren Vorhaben mit grundlegenden Fragen unserer Zeit beschäftigen“, als temporäre Wohn- und Arbeitsstätte.
Sonnenhell auch in der Nacht
Um den neuen Aufgaben gerecht zu werden, wurde der Bau, wo möglich, in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt und, wo erforderlich, den neuen Anforderungen angepasst. Statt dabei das bürgerliche Interieur zu rekonstruieren, das der Innenarchitekt Paul Huldschinsky – ein weiterer Berliner im kalifornischen Exil – für die Familie Mann ersonnen hatte, kreierte das Büro LenzWerk ein Einrichtungskonzept, in dem vielmehr der „offene Geist des Hauses“ zum Ausdruck kommen soll. Während beim Mobiliar vielfach auf Entwürfe zurückgegriffen wurde, die in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückreichen, nimmt sich das Beleuchtungskonzept unumwunden zeitgenössisch aus. So wurden unter der Decke blendfreie Strahler montiert, die eine Grundbeleuchtung gewährleisten. Statt aber die Innenräume gleichmäßig zu illuminieren, schaffen ihre umgrenzten Lichtkegel eine differenzierte Raumstimmung. Ergänzt werden die Strahler durch Stehleuchten, die auch nach Einbruch der Dämmerung einen Eindruck vom kalifornischen Sonnenschein vermitteln: Dazu wurden LEDs mit einem CRI (color rendering index) von 97 gewählt. Der in der Regel als Ra angegebene allgemeine Farbwiedergabeindex verrät den Spektralfarbenumfang eines Leuchtmittels; je näher dieser Index dem Referenzwert des Sonnenlichts (Ra = 100) kommt, desto natürlicher werden die Farben wiedergegeben. –ar
Bautafel
Architektur: Julius Ralph Davidson, Los Angeles; Arbeitsgemeinschaft rebuild.ing / H2Sarchitekten
Projektbeteiligte: LenzWerk, Berlin (Innenarchitektur, Einrichtung und Lichtplanung); rebuild.ing, Reilingen (Ingenieurplanung); Walter Knoll, Herrenberg; Thonet, Frankenberg; Vitra, Birsfelden (Mobiliar); Occhio, München (Lampen)
Bauherrschaft: Villa Aurora und Thomas Mann House (VATMH) e.V., Pacific Palisades, Vereinigte Staaten
Fertigstellung: 1942/2018
Standort: 1550 North San Remo Drive, Pacific Palisades, CA 90272, Vereinigte Staaten
Bildnachweis: Occhio/ Robert Sprang, Egling; VATMH/ Mike Kelley, Los Angeles