Mehrfamilienhäuser in Wiesbaden
Konstruktiver Schallschutz gegen Verkehrslärm
Nach wie vor gilt das frei stehende Einfamilienhaus als eine besonders attraktive Wohnform. Die damit verbundene Zersiedelung führt jedoch zu einer starken Verkehrsbelastung, zu Infrastruktur- und Mobilitätsproblemen sowie einer weiteren Zerstörung der Naturlandschaft. Um diese Nachteile zu kompensieren, ist qualitätvolle Verdichtung eine zentrale Strategie. In diesem Sinne entstand eine Wohnanlage im Wiesbadener Randbezirk Schierstein, deren Nutzer auf wichtige Elemente des Einfamilienhauses wie Garten und Garage nicht verzichten müssen. Die Planer vom Architekturbüro Christ.Christ entwarfen zwei viergeschossige Gebäuderiegel, die sich mit etwas Abstand parallel zur östlichen, stark befahrenen Schönaustraße erstrecken. Die beinahe identischen Mehrfamilienhäuser umfassen je acht Wohnungen. Dem leichten Gefälle entsprechend sind die Wohneinheiten gestaffelt, das Dach folgt mit sanfter Neigung dem Geländeverlauf. Ausladende Vorbauten bilden eine Pufferzone gegenüber der Durchgangsstraße und überdachen eine Parkfläche im Erdgeschoss. So erscheint das Ensemble den Vorüberfahrenden wie abgehoben und erhält schwebenden Charakter.
Gallerie
Die Erschließung mit dem Auto erfolgt von der Schönaustraße, fußläufig sind die Häuser von der ruhigen Christian-Morgenstern-Straße im Westen erreichbar, vorbei an zwei Wohnbauten ähnlichen Umfangs. Im deutlich verkürzten Erdgeschoss befinden sich zwei Eingangsbereiche, Abstellräume, Haustechnik und Fahrradstellplätze. Die Wohnungen im ersten Obergeschoss sind als eine Art Bungalows konzipiert, die oberen Stockwerke beherbergen Maisonettes. Sie alle verfügen über große, vorgelagerte Dachgärten und -terrassen, die mit Sträuchen und Bäumen bepflanzt sind und freien Ausblick in die Landschaft zulassen. Um verdichtetes Wohnen im Grünen zu ermöglichen, entwickelten die Planer einen tiefen Pflanztrog als Brüstungselement. Dieser reduziert den Einblick der Nachbarn zwischen den Geschossen und sorgt durch Begrünung für Sichtschutz auf gleicher Ebene. Außerdem bildet er eine Schallschutzwand. So sind die Terrassen ein attraktiver Erholungsraum trotz der nahen Durchgangsstraße. In den offenen Garagen sind die Deckenunterseiten in acht Farbtönen gestaltet, die sich in den dazugehörigen Treppenhäusern wiederfinden und individuelle Adressen bilden.
Bauphysik
Das Grundstück, auf dem zuvor Garagen
standen, wird auch heute ebenerdig in erster Linie als Parkplatz
genutzt – die Wohnungen wurden darüber errichtet. So ließen sich
zum einen die Baukosten für Erdarbeiten und die Errichtung einer
Tiefgarage sparen, zum anderen die Belastung durch Außenlärm
reduzieren. Alleine dadurch konnte der maximal zulässige Wert für
die Belastung durch Verkehrslärm auf Balkonen und Terrassen jedoch
nicht eingehalten werden. Die durchschnittliche tägliche
Verkehrsstärke (DTV) der Kreisstraße betrug immerhin 9.300 Kfz/24h
– der ermittelte resultierende Emissionspegel Lm,E für
die Tageszeit lag bei 60,6 dB(A). Maßgebend für die zulässigen
Maximalwerte ist die DIN 18005: Schallschutz im Städtebau,
bei deren Überschreitung die 16.
Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV) herangezogen werden
kann. Um auf den privaten Balkonen und Terrassen tagsüber eine
adäquate Aufenthaltsqualität zu gewährleisten, wurde ein
konstruktiver Schallschutz durch Brüstungswände vorgesehen. Dafür
wurden in Zusammenarbeit mit dem Wiesbadener Ingenieurbüro ITA
mehrere Varianten mit unterschiedlich hohen Brüstungen verglichen.
Die Planer entschieden sich letztlich für ein Bauteil, das
Brüstung, Pflanztrog und Abstellraum in einem ist. Anhand
computergestützter Simulationen ließ sich durch akustische
Vergleiche (Abb. 27,28) eine Lärmminderung auf 54-55 dB(A)
erzielen – bei gestalterisch wie funktional akzeptablen
Brüstungshöhen von 1,75 Metern im ersten und 1,50 Metern im zweiten
Obergeschoss.
Die Mehrfamilienhäuser wurden 2018 mit der Johann Wilhelm-Lehr-Plakette ausgezeichnet, einem Architekturpreis des Bundes Deutscher Architeketen (BDA), der nur alle fünf Jahre vergeben wird.
Bautafel
Architekten: Christ.Christ. associated architects, Wiesbaden
Projektbeteiligte: Roger Christ, Sascha Daum (Mitarbeiter Architekturbüro); Kolja Baier (Bauleitung GWW Wiesbaden); Ingenieurgesellschaft für technische Akustik ITA, Wiesbaden (Schallschutz); bs² – Andreas Schulz, Ingelheim (Brandschutz); Schmitt + Thielmann, Wiesbaden (Statik); Brömer & Sohn, Wiesbaden (Generalunternehmer)
Bauherr: GWW Wiesbadener Wohnbaugesellschaft, Wiesbaden
Fertigstellung: 2017
Standort: Christian-Morgenstern-Straße 1a+b, 7a+b, 65201 Wiesbaden
Bildnachweis: Thomas Herrmann Photography, Stuttgart; Christ.Christ. associated architects, Wiesbaden; ITA, Wiesbaden