Bunkerumbau in Berlin
Kunstsammlung im ehemaligen Hochbunker
Als extrem massive Stahlbetonkonstruktion wurde der Berliner Luftschutzbunker 1942 für die Reichsbahn errichtet, er sollte Passagieren und Reisenden vom nahegelegenen Bahnhof Friedrichstraße Schutz bieten.
Gallerie
Das heute denkmalgeschützte Gebäude geht auf eine Musterplanung von Karl Bonatz zurück, es war rein funktional strukturiert und verfügte über ca. 3.000 Sitzplätze auf fünf Etagen. Die innere Struktur ist achsensymmetrisch aufgebaut und von 1,80 m dicken Außenwänden und einer 3,00 m starken Stahlbetondecke umhüllt. Als Solitär an einer Straßenecke in Berlin-Mitte erbaut, wirken vier klassizistisch inspirierte, rohe Betonfassaden mit fein gegliederten Details weit in den Stadtraum hinein. Auf jeder der vier Seiten befinden sich zwei Zugänge, die wiederum mit dazugehörenden, ineinander geschachtelten vier Doppeltreppenanlagen ausgestattet wurden. Sie gewährleisteten die Erschließung des Bunkers für eine große Anzahl von Menschen in kürzester Zeit.
Nach dem Weltkrieg wurde das Gebäude umgebaut und diente zum Teil als Gemüselager. Mitte der neunziger Jahre nutzte erst ein Berliner Club die Räumlichkeiten als Veranstaltungsort mit "besonderer Atmosphäre" und später wurden sie temporär als Ausstellungsflächen genutzt. 2003 erwarb Christian Boros den Bunker. Gemeinsam mit dem Berliner Architekturbüro Realarchitektur begannen darauf die Planungen für einen Ort, an dem er mit seiner Familie in einem räumlichen Zusammenhang mit seiner Kunstsammlung wohnen und leben wollte. Die vorhandenen Räume im Inneren des Bunkers schienen in ihrer vorgefundenen Einfachheit zur Bespielung mit der Sammlung zeitgenössischer Kunst des Bauherrn überaus geeignet. Auf allen fünf Geschossen erschloss ein durchgehender Rundgang je acht Kojen und einen Kranz von kleineren Räumen. Das durch die strenge Symmetrie und Gleichartigkeit aller Räume erzeugte Gefühl der Orientierungslosigkeit scheint dem Wunsche des Bauherren und der Architekten entsprochen zu haben.
Modernisierung
Anbauten, Mauern und Zäune wurden entfernt, das Gebäude wieder
freigestellt. Die Fassaden des Bunkers sind gesäubert und in enger
Abstimmung mit der Berliner Denkmalpflege konstruktiv instand
gesetzt worden. Die Materialität des Bauwerkes mit allen
wesentlichen Herstellungs-, Kriegs und Gebrauchsspuren bleibt im
Stadtraum präsent. Die acht Eingänge wurden wieder hergerichtet.
Der Zugang zur Sammlung erfolgt zukünftig von der Reinhardtstrasse,
die Wohnung wird über den parkseitigen Zugang von der
Albrechtstraße im Westen erschlossen. In einer mehrmonatigen
Arbeitsphase sind aus der drei Meter starken Dachdecke des Bunkers
etwa 150 Kubikmeter Stahlbeton gestemmt worden. Durch die so
entstandene Öffnung werden die neuen Wohnräume über eine rohe
Stahlkonstruktion erschlossen. Diese Konstruktion beinhaltet eine
mit Streckmetall verkleidete Treppen- und Aufzugsanlage, die offen
in einem über alle Geschosse reichenden Raum steht.
Sammlungsräume
Die Räume im Inneren verfügen über eine sehr geringe Höhe von 2,00 - max. 2.30 Meter. Mit Hilfe von Diamantsägen sind deshalb gezielt Decken und Wänden entfernt worden. Die dadurch miteinander verbundenen und verschachtelten Räume verknüpfen alle Geschosse. Der beschriebene Rundgang bleibt jedoch erhalten. In enger Zusammenarbeit mit den vertretenen Künstlern ist eine spezifische Bespielung der Räume geplant. Neben dem Einzug der Kunstwerke in die bereits fertig gestellten, neutralen Räume, den sogenannten "white cubes", sind auch räumliche und strukturelle Wechselwirkungen zwischen Kunstwerken und Bauwerk geplant. Durch die visuellen Verbindungen der Geschosse können die Objekte aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen werden. Außerdem erleichtern die vielen Blickachsen eine Orientierung im Gebäude. Die Wände wurden nur teilweise geputzt. Verschiedene Bearbeitungstechniken und Oberflächenqualitäten des Betons – Schalungen und Fertigteile, Schnitte, Stemmen – bleiben sichtbar. Ebenso erhalten blieben im ganzen Haus die Spuren der langen Nutzungsgeschichte.
Wohnräume
Der Bunker erhielt ein Geschoss als Aufstockung, in dem sich die
Wohnräume des Sammlers befinden. Für die Planung dieser Räume
wurden vorhandene Materialien und räumliche Motive des Hochbunkers
interpretiert. Das neue Geschoss ist von einer gleichartigen, aber
in mehrere Schichten aufgelösten Fassade umhüllt. Sie besteht aus
Vorhängen, einer Stahlglasfassade und einem Bronzegewebe und gibt
einen ungestörten Blick über die umgebende Stadtlandschaft frei.
Die Stahlglasfassade ist tragend ausgebildet.
Ein im Grundriss quadratisches Stahlbetondach mit 26 Metern
Seitenlänge, abgeleitet von den innenräumlichen Abmessungen des
Bunkers, lastet mit einer Ausnahme stützenfrei auf den Wänden und
der Fassade. Die gesamte Wohnung wird von einem offenen,
„fließenden“ Wohnbereich durchmessen. In dessen Zentrum befindet
sich ein galerieartiger Raum, mit dem die Sammlung nach oben bis in
die Wohnung weitergeführt wird. Die Wohnräume sind durch die 3,75 m
hohen rohen Stahlbetonwände und die ebenfalls rohe Stahlbetondecke
geprägt und werden allseitig von Terrassen und intensiv bepflanzten
Gärten umschlossen. Im Süden und im Westen springt die Glasfassade
weit hinter die Dachkante zurück, an der verschiebbare
Bronzegewebeelemente aufgehängt wurden. Sie dienen als Schutz der
überdachten Außenräume.
Bautafel
Architekten: Realarchitektur, Jens Casper Architekt BDA, Petra Petersson Architektin BDA, Andrew Strickland Architekt SIA, Berlin
Projektbeteiligte: Wolfgang List, Bernadette Krejs, Karin Maria Derix, Dorina Siewert (Mitarbeiter); A+O Berlin Architektur + Organisation, Berlin (Kostenkontrolle und Mitwirkung bis LP6, Ausschreibung); Thomas Heesing, Berlin (Bauleitung); Ingenieurbüro Herbert Fink, Berlin (Tragwerksplanung); Timo Herrmann, bbz Landschaftsarchitekten, Berlin (Außenanlagenplanung)
Bauherr: Christian Boros und Karen Lohmann
Fertigstellung: 2008
Standort: Reinhardtstraße 20, 10117 Berlin
Bildnachweis: Christian Boros, Berlin (1 und 2); Hanns Joosten, Berlin (3); Realarchitektur, Berlin (4 - 8)