Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin

Glasblasen im Bücherhimmel

Als die Staatsbibliothek zu Berlin im Jahr 1914 eröffnet wurde, galt sie als die größte wissenschaftliche Universalbibliothek der Welt. Heute ist sie auf zwei Standorte in der Stadt verteilt und mit über elf Millionen Büchern immerhin noch die größte im deutschsprachigen Raum. Zu ihren Beständen gehören zahlreiche Unikate, die zum nationalen Erbe und zum Weltkulturerbe gehören. Im Haus an der Potsdamer Straße im ehemaligen Westteil Berlins wird die Literatur der Moderne archiviert, das Haus Unter den Linden ist der Literatur bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vorbehalten. Letzteres wurde zwischen 1903 und 1914 nach Plänen von Hofbaumeister Ernst von Ihne direkt neben der Humboldt-Universität errichtet. Es erstreckt sich über acht Innenhöfe und beinhaltet Magazine, Büros, Werkstätten, Lesesäle und Repräsentationsräume. Im Zentrum befand sich der mit einer Kuppel bekrönte Lesesaal. Er war größer als der Berliner Dom und wies einen oktogonalen Grundriss auf.

Treppenaufgang in den Lesesaal
Kunstinstallation an der Decke des Allgemeinen Lesesaals
Insgesamt 3,5 Millionen Bücher umfasst der Bestand der Bibliothek

Dann kam der Zweite Weltkrieg und mit ihm ein Bombenhagel, der große Teile des Gebäudes, vor allem aber den Lesesaal weitgehend zerstörte. Nach Kriegsende zunächst notdürftig instandgesetzt, wurde er 1965 gesprengt. Später wurde das Haus in die zentrale Denkmalliste der DDR aufgenommen und noch kurz vor der Wende mit vier Magazintürmen anstelle des Lesesaals erweitert. Nach 1990 kam der Beschluss, die Bücherbestände der beiden bis dahin selbstständigen wissenschaftlichen Universalbibliotheken in Ost- und West-Berlin institutionell zusammenzuführen. Die dafür erforderlichen Um-, Ausbau- und Sanierungsmaßnahmen hatten einen Wettbewerb zur Folge, den das Architekturbüro HG Merz im Jahr 2000 gewann. Der Entwurf sah einen klaren, kubischen Baukörper inmitten der historischen Bausubstanz vor. Nachdem die vier Magazintürme abgerissen waren, begann man mit den Baumaßnahmen, deren komplette Fertigstellung für 2016 vorgesehen ist. Der erste Bauabschnitt der Grundinstandsetzung sowie die Erweiterung sind jetzt abgeschlossen. Diese umfasst zwei neue Lesesäle sowie neue Tresor- und Freihandmagazine. Im kleineren der beiden Säle, dem zurückhaltend gestalteten Rara-Lesesaal mit seinen 48 Arbeitsplätzen, sind Alt- und Neubau vorbildlich miteinander verzahnt.

Herzstück der Bibliothek ist allerdings der als Glasquader ausgeführte Allgemeine Lesesaal. Mit 36 Metern Höhe, 35 Metern Breite und 30 Metern Länge, schlägt er die Brücke zur Gegenwart und gibt der Bibliothek ihr geistiges Zentrum zurück – kein Kuppellesesaal, wie er 1943 im Bombenhagel ausbrannte, sondern ein kubischer Lichtkörper auf einem Sockel aus Bücherwänden. Er bietet 265 Arbeitsplätze und ist inhaltlich darauf ausgerichtet, Forschungen zu unterstützen, die sich Fragen der Vormoderne bis zum Wechsel 19. zum 20. Jahrhundert widmen. Gerahmt wird der Saal von Bücherregalen, die sich über drei Etagen stapeln. Wie die Tresen, Tische und Treppenbrüstungen bestehen ihre Oberflächen aus verschieden gefärbtem Pappelholzfurnier. Hinter den Regalen führen schmale Treppen in den „Bücherhimmel“ auf der obersten Ebene des Saals. Hier angelangt, sehen die Besucher die verformten Glaselemente des aufgesetzten Quaders und können auf der anderen Seite den Blick in den Lesesaal genießen.

Glas
Die Außenhülle des Erweiterungsbaus besteht aus einer zweischaligen Glasfassade. Die äußeren Scheiben bestehen aus im Schwerkraftbiegeverfahren thermisch verformten und zu ESG-H vorgespannten Gläsern mit Abmessungen von 3,00 x 0,95 m in einer Dicke von 8 mm. Statt glatt, weisen ihre Oberflächen eine blasenartige Struktur auf, die der Fassade ein lebendiges Erscheinungsbild verleiht. Die Scheiben sind vierseitig verklebt, wobei statisch nur eine zweiseitige Lagerung angenommen wurde. Aufgrund der lastabtragenden Verklebung handelt es sich um eine Structural-Sealant-Glazing (SSG) Fassade. Sogkräfte und Eigengewicht werden aber über mechanische Klemmhalter (Sicherung) abgetragen. Die thermische Trennung zwischen innen und außen erfolgt durch eine 2-fach Isolierverglasung mit ebenfalls thermisch verformten Glasscheiben (ESG-H, 8 mm) auf der Außenseite und einem Verbundsicherheitsglas aus 2 x 4 mm Floatglas. Die Glasfassade übernimmt eine absturzsichernde Funktion. Zwischen äußerer und innerer Fassade befindet sich ein Wartungsgang.

Die Dachverglasung (Überkopfverglasung) des Glasquaders ist ebenfalls zweischalig ausgebildet: Auf der Außenseite befindet sich eine zu Reinigungszwecken betretbare Einfachverglasung (VSG aus 2 x 12 mm TVG). Gefolgt von einem Sonnenschutzsystem übernimmt auch hier ein 2-fach Isolierglas (8 mm ESG-H, 16 mm SZR, VSG aus 2 x 8 mm Floatglas) die thermische Trennung.

Sämtliche Isoliergläser wurden mit einer Warmen Kante ausgebildet und sind mit einer Low-E Beschichtung versehen. Die Abstandshalter bestehen aus Edelstahl.

Bautafel

Architekten: HG Merz, Berlin/Stuttgart (Entwurf Sanierung/Ergänzung); BAL Büro am Lützowplatz, Berlin (Ausführungsplanung und Objektüberwachung); Ernst von Ihne, Berlin (Altbau 1914)
Projektbeteiligte: CRP Bauingenieure, Berlin und Werner Sobek, Stuttgart (Tragwerksplanung); GSL - Glas Statik Konstruktion, Haltern am See (Tragwersplanung Glas und Z.i.E. für thermisch verformtes Fassadenglas); Jo Schöpfer, Berlin (künstlerische Gestaltung Glas); MBM Metallbau, Dresden (Ausführung Fassade); Iglass Maierhofer Glastechnik, Marein im Mürztal (Glashersteller); Institut für Tageslichttechnik, Stuttgart (Tageslichtsteuerung); Kress & Adams, Köln (Kunstlichtplanung); Jung, Schalksmühle (Beleuchtungssteuerung und Schalter)
Bauherr: Stiftung Preußischer Kulturbesitz (vertreten durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung)
Fertigstellung:  2012, Eröffnung 2016 (geplant)
Standort: Staatsbibliothek zu Berlin, Unter den Linden 8, 10117 Berlin, Eingang: Dorotheenstraße 27
Bildnachweis: Staatsbibliothek zu Berlin; HG Merz Architekten; Kati Türschmann, Berlin

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