Reichstagspräsidentenpalais in Berlin

Transparentes Raumstabwerk über dem Innenhof

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Berliner Reichstag entstand zwischen 1899 und 1904 das Reichstagspräsidentenpalais nach Plänen des Architekten Paul Wallot. Mit Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes von Bonn nach Berlin wurde es Ende der 1990er Jahre nach einem Entwurf des Kölner Architektenbüros Thomas van den Valentyn umgebaut und ist heute Teil des vom Deutschen Bundestag genutzten Gebäudekomplexes Jakob-Kaiser-Haus.

Außenansicht des Daches, m Hintergrund ist die Kuppel des Deutschen Bundestages zu erkennen
Unteransicht der Dachkonstruktion über dem Innenhof des Berliner Reichstagspräsidentenpalais
Innenansicht

2009 hat der Innenhof des Gebäudes eine neuartige gläserne Überdachung in Form eines transparenten Raumstabwerkes erhalten. Bei dieser zylindrisch gebogenen Dachkonstruktion werden keine Horizontalkräfte in das unterstützende Mauerwerk einleitet. Erstmals sind die sonst üblichen Druckstäbe des Obergurtes durch axial belastete Glasscheiben ersetzt und damit dauerhaft am Lastabtrag beteiligt.

Der schiefwinklig trapezförmige Grundriss des Daches besteht aus zwei Elementen: Den Giebelelementen auf der Ost- und Westseite und dem tonnenförmigen mittleren Teil. Die Giebelelemente schließen die Stirnseiten zwischen dem neu entstandenen Bogentragwerk und dem umlaufenden Mauerwerk ab. Die Spannweiten der insgesamt zehn Bögen aus Stahl und Glas liegen zwischen 11,7 und 13,5 m, der Stich variiert zwischen 0,75 und 1,8 m. Jeder Bogen besitzt elf Felder; dabei wurde die Länge der inneren Felder auf ein einheitliches Maß von 1,26 m festgelegt.

Glas
Auf dem Kopf der Pfosten zwischen Ober- und Untergurt sind Stahlplatten montiert, auf denen gefräste Obergurtknoten aus Edelstahl mit Abdeckkappen befestigt wurden. Aufgrund der axialen Druckeinleitung in die punktförmig gelagerten Glasscheiben wurde der Lagerung der Elemente besondere Aufmerksamkeit gewidmet und im Rahmen der notwendigen Zustimmung im Einzelfall (ZiE) anhand von Versuchen das Kurz- und Langzeitkriechverhalten der Klotzungsmaterialien ausführlich bestimmt.

Des Weiteren wurden insgesamt sechs Beulversuche an ESG-H (heißgelagerten) Einzelscheiben, jeweils für die ungünstigste Belastung in Scheibenlängs- und in Scheibenquerrichtung gemacht. Die ESG-Heißlagerung ist ein Testverfahren, bei dem die Scheibe erhitzt wird, quasi als Vorwegnahme der späteren Einbausituation in der Fassade, jedoch in verschärfter Form. Bruchgefährdete Scheiben werden dabei aussortiert.

Am längsten Bogensegment mit einer Spannweite von 13,5 m wurden Resttragfähigkeitsversuche unter einer Last von etwa 12 Tonnen durchgeführt. Dies entspricht einer äquivalenten flächigen Belastung von 490 kg/m². Für ein festgelegtes Sicherheitsniveau mit dreifacher Eigen- und Ausbaulast sowie dreifacher Schneelast und Schneesackanhäufung wurden die Versuche erfolgreich abgeschlossen. Rechnerisch wurde der Scheibenausfall als außergewöhnlicher Lastfall nach DIN 1055-100 nachgewiesen.

Die Glasscheiben bestehen aus Mehrscheiben-Isolierglas mit einem Aufbau von 8 mm ESG, 16 mm SZR und einem VSG bestehend aus 19 mm ESG-H, 3,04 mm PVB und 8 mm TVG. Das Regelformat beträgt 1,80 x 1,26 m. Die komplette Axialbelastung wird ausschließlich über die 19 mm dicke ESG-H Scheibe abgetragen. Um den Lastabtrag auf diese eine Scheibe zu konzentrieren, sind die Ecken des Mehrscheiben-Isolierglases im Bereich der Lasteinleitung um etwa 2 cm ausgeklinkt.

Bautafel

Architekten: Winfried Brenne Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: GWT-TUD, Dresden (Tragwerksplanung Glasdach); Institut für Baukonstruktion, Technische Universität Dresden (Bauteilprüfung und Überwachung); MBM Metallbau Dresden (Metallbau und Glasdach); Thiele Glas, Falkenhain (Glasveredelung); Pauli und Sohn, Waldbröl (Knotenpunkte); Glaswerkstätten Frank Ahne, Pirna (Glasmontage); Jens Schneider, Weiterstadt (Gutachten Glaskonstruktion)
Bauherr: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Berlin
Fertigstellung: 2009
Standort: Friedrich-Ebert-Platz, Berlin

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Absturzsichernde Verglasungen, wie hier an einer Glasbrücke benötigen dann ein ZiE, wenn sie nicht durch ein abP beurteilt werden können.

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Nachweise und Normen

Zustimmung im Einzelfall und vorhabenbezogene Bauartgenehmigung

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