Kraftwerk vor dem Fenster
Adaptive Solarfassade kombiniert Stromproduktion mit intelligenter Beschattung
Die Fassade übernimmt im Gebäude als Schnittstelle zwischen
Innen- und Außenraum die Aufgabe, eine behagliche
Innenraumsituation zu gewährleisten und gleichzeitig den
Energiehaushalt des Gebäudes positiv zu beeinflussen. Dabei ist sie
als raumbegrenzendes Bauteil internen und externen Beanspruchungen
ausgesetzt, die sich je nach Jahres- und Tageszeit ändern können.
In der Regel sind Gebäudehüllen aber statisch und können somit
nicht auf diese dynamischen Einflüsse reagieren. Forscherinnen und
Forscher der ETH Zürich entwickelten auf dieser Grundlage ein
intelligentes adaptives Fassadensystem, das in der Lage ist, sich
schwankenden internen und externen Anforderungen
anzupassen.
Gallerie
Stromproduktion und intelligente Beschattung kombiniert
Das unter Leitung von Arno Schlüter, Professor für Architektur und Gebäudesysteme an der ETH, entwickelte Fassadensystem kombiniert Stromproduktion durch gebäudeintegrierte Photovoltaik mit intelligenter Beschattung: Die beweglichen Solarpanels produzieren CO2-neutralen Strom, lassen dabei durch die Änderung ihrer Ausrichtung und Position genau so viel Sonnenlicht in die Räume, wie es Wetter und Raumklima erfordern. Somit lässt sich der Energiehaushalt von Räumen so regulieren, dass sie über das Jahr gesehen mehr Energie produzieren als verbrauchen und damit eine positive Energiebilanz aufweisen.
Pneumatische, bewegliche Fassadenpaneele
Die neuartige Fassade besteht aus einem leichten Seilnetz mit reihenweise angeordneten Solarpanels, die einzeln angesteuert und von einem weichen pneumatischen Element vertikal und horizontal bewegt werden. Diese als weiche Aktuatoren bezeichneten Elemente bilden das Herzstück der Fassade: Durch die Kombination weicher Materialien, die unter Druck ihre Form verändern, und einem festen U-Gelenk können sich die Elemente bei Bedarf versteifen, sodass sie auch einen Sturm überstehen. Zahlreiche Tests und Messungen ergaben, dass die beweglichen Solarpaneele an einem klaren Sommertag rund 50 Prozent mehr Energie als statische Fassadenpaneele erzeugen.
Neben der sauberen Stromerzeugung spielt auch die Beschattung eine wesentliche Rolle. Die Anlage ist in der Lage zu regulieren, wie viel Licht die Fassade durchdringt und wie viel Wärme dadurch im Raum entsteht. Ein lernfähiger Algorithmus steuert die Bewegungen der Paneele so, dass die Stromgewinnung und die Einsparungen bei Heizung und Kühlung zusammen einen möglichst geringen Gesamtenergiebedarf ergeben. Dabei berücksichtigt der Algorithmus auch die augenblickliche Art der Raumnutzung und optimiert das Klima entsprechend.
Variable Bedingungen – viel Energieeinsparpotenzial
Simulationen verschiedener Szenarien im Rahmen der Forschung ergaben weitere vielversprechende Ergebnisse: In Bürogebäuden lässt sich mit der Fassade tendenziell mehr Energie einsparen als in Wohnräumen, in warmen Klimazonen mehr als in kalten, am meisten aber in gemäßigten Zonen wie in Mitteleuropa. Je variabler die Rahmenbedingungen, desto große seien die Vorteile der adaptiven Fassade, so Arno Schlüter. Für einen Büroraum in einer gemäßigten Zone etwa, beispielsweise in Zürich, der nach neuesten Baustandards errichtet wurde, bei dem über das Jahr sowohl Heizung wie Kühlung erforderlich ist, produzierte die Fassade 115 Prozent der Energie, die für ein angenehmes Raumklima benötigt wird. Die Wirkung der adaptiven Fassade wird bald unter realen Bedingungen am Forschungs- und Innovationsgebäudes NEST in Dübendorf gemessen werden können.
Arno Schlüter resümiert: „Wir möchten den Widerspruch zwischen Komfort und Energieeffizienz bei Gebäuden auflösen. Der energieeffizienteste Raum wäre theoretisch nämlich einer ohne Fenster. Es freut uns deshalb zu zeigen, dass wir mit einer intelligenten Schnittstelle zwischen dem Innen- und Aussenraum ein ideales Raumklima und zugleich sogar einen Energie-Überschuss produzieren können.“
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