Wohnungsbau in Wiesbaden

Vorbeugender Brandschutz im Geschosswohnungsbau

Ein Mix aus Wohnbauten der 1960er, -80er und 90er-Jahre, Gewerbe- und Industriebauten, Einfamilienhäusern und Resten gründerzeitlicher Bebauung prägen den Stadtteil Mainz-Amöneburg, der entgegen seines Namens nicht zu Mainz, sondern zu Wiesbaden gehört. Das gesamte Gebiet wirkt zerrissen und uneinheitlich, eine eindeutige städtebauliche Ordnung ist nicht zu erkennen. Als verbindendes Element wird einzig der Baumbestand entlang der Wiesbadener Landstraße wahrgenommen, die durch das gesamte Viertel verläuft.

Geplant haben das Wohngebäude mit dem geknickten Gebäudevolumen.Christ.Christ. Architekten aus Wiesbaden.
Blick von der begrünten Stellplatzanlage auf die straßenseitige Fassade.
Insgesamt 64 Wohneinheiten (davon 40 geförderte Wohnungen) verteilen sich auf den über 100 Meter langen Baukörper

Ruhepol in heterogenem Stadtgefüge

Nun ist Gebäude hinzugekommen, das aufgrund seiner Größe einen ruhigen Ankerpunkt setzt und inmitten des heterogenen Stadtgefüges Orientierung gibt. Es beherbergt 64 Wohneinheiten (davon 40 geförderte Wohnungen) und wurde von Christ.Christ Architekten aus Wiesbaden geplant. Was von außen wie ein lang gestreckter Baukörper wirkt, besteht eigentlich aus vier aneinandergereihten Mehrfamilienhäusern, die lediglich anhand von Knicken in der Fassade erkennbar sind. Letztere verhindern ein monotones Erscheinungsbild und verleihen dem über 100 Meter langen Bau eine gewisse Plastizität. Um den Baumbestand zu erhalten, platzierten die Architekten das Gebäude leicht von der Straße zurückgesetzt. Der Freiraum dazwischen dient der Unterbringung von Autos, Fahrrädern und Mülltonnen. Bei der Gestaltung der verschiedenen Stellplätze taucht das Motiv der Knicke wieder auf.

Aufgrund des abschüssigen Geländes ist das unterste Geschoss als Souterrain ausgeführt, darüber liegen das Erdgeschoss, zwei Obergeschosse und ein Staffelgeschoss. Darauf verteilen sich Fünf-, Vier- und Dreizimmer-Wohnungen sowie seniorengerechte Zweizimmer-Wohnungen für zwei und eine Person. Sämtliche Wohnräume und Loggien sind nach Südwesten ausgerichtet und liegen auf der straßenabgewandten Seite. Den Souterrainwohnungen sind jeweils Gärten zugeordnet.

Spielstraße und Treffpunkte

An der privaten Erschließungsstraße sind den Treppenhäusern kleine Plätze vorgelagert, die als Orte der Begegnung und des Verweilens konzipiert sind. Dazu kommt ein neuer Spielplatz unter den schattenspendenden Bäumen für alle Kinder des Quartiers. Die wallartige Carport-Anlage schirmt die Freibereiche vor der stark befahrenen Wiesbadener Landstraße ab. Gleichzeitig schützt sie als „Schallschutzwand“ die Bewohner bis zum dritten Stockwerk vor dem Straßenlärm.

Materialität und Farbe

Das Gebäude ist in einem gedämpften Grünton gestrichen. Auf der Ostseite sorgen unregelmäßig über die Fassade verteilte, glatt gefilzte Faschen in einem abgestimmten helleren Grün für Auflockerung. Die in Holzoptik ausgeführten Fensterrahmen bilden einen warmen Kontrast zur grünen Putzfassade. Fallarmmarkisen an den Loggien und Fensterläden an den Stirnseiten verleihen dem Großbau eine gewisse Leichtigkeit. Alle Sicht- und Sonnenschutzelemente sind farblich auf die Fassadenfarbe abgestimmt. Die Brüstungen der Loggien und die Fensterläden sind mit Streckmetall verkleidet, das so angeordnet ist, dass ein Durchblick für die Bewohner nach außen gegeben ist, nicht aber der Einblick von außen. Das gleiche Streckmetall wurde im Bereich der Fahrradabstellplätze und der Mülltonnenanlagen verwendet.

Brandschutzaspekte

Insbesondere im Geschosswohnungsbau ist der Bereich des „vorbeugenden Brandschutzes” (d.h. die Verhütung der Entstehung von Bränden und die Möglichkeiten zur Evakuierung eines Gebäudes) in den Landesbauordnungen festgelegt und sollte bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt gleichberechtigter Bestandteil der Gebäudeplanung sein.

Flucht- und Rettungswege

In den Landesbauordnungen – in diesem Fall die Hessische Landesbauordnung (HBO) – sind die gesetzlichen Anforderungen an Flucht- und Rettungswege festgeschrieben und im Zuge eines Brandschutznachweises darzustellen. Dieser ist im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens vorzulegen und je nach Gebäudeklasse von einem Sachverständigen zu erstellen und gegebenenfalls durch einen Prüfsachverständigen zu prüfen. Die Gebäudeklasse ist hinsichtlich der baurechtlichen Anforderungen maßgeblich. So ist das Wiesbadener Wohngebäude aufgrund der Geschosshöhe und der Anzahl der Nutzungseinheiten in die Gebäudeklasse 4 eingestuft.

Nach HBO sind – und dies auch unabhängig von der Gebäudeklasse – zwei voneinander unabhängige Rettungswege sicherzustellen. Im Geschosswohnungsbau wird der erste Rettungsweg üblicherweise über das notwendige Treppenhaus gewährleistet, der zweite Rettungsweg meistens über Anleitermöglichkeiten der Feuerwehr an Fenstern, Balkonen oder Dachterrassen. Öffnungen, über die ein notwendiger Rettungsweg führt, haben ein lichtes Öffnungsmaß (Fertigmaß) von mindestens 0,90 x 1,20 m (Breite x Höhe) und eine Brüstungshöhe von maximal 1,20 m. Im Regelfall erfolgt dies über Aufstellflächen der Feuerwehr bzw. eines Hubrettungsfahrzeugs auf der Straße direkt vor dem Gebäude, um von dort im Brandfall Bewohner über die Fenster zu retten.

Da das Wohngebäude jedoch abgerückt von der Wiesbadener Landstraße errichtet worden ist und der Bereich zwischen Stellplatzanlage und Gebäude nicht ausreichend dimensioniert war sowie auch keine Mindestradien für die Einsatzfahrzeuge hergestellt werden konnten, musste eine Rettungsmöglichkeit an der Rückseite der Wohnungen über die Balkone realisiert werden. Hierzu wurde eine Umfahrung für die Feuerwehrfahrzeuge geschaffen, die hinsichtlich der geforderten Dimensionierungen ausgelegt wurde (siehe Bild 22): Mindestradien zur An- und Abfahrt, Breite von Zufahrt und Aufstellfläche, Tragfähigkeit des Untergrunds für die Last durch die Rettungsfahrzeuge sowie eine entsprechende Beschilderung.

Anforderungen an den Feuerwiderstand der Bauteile

Hinsichtlich der Feuerwiderstandsfähigkeit der verwendeten Baustoffe und -teile stellen die Landesbauordnungen Mindestanforderungen. Unterschied die HBO von 2011 (somit gültig zum Zeitpunkt der Baugenehmigung) in einer Anlage tabellarisch noch zwischen den entsprechenden Bauteilen, ist in der Neufassung von 2018 diese Tabelle entfallen. In Ermangelung rechtssicherer Alternativen wird sie jedoch nach wie vor als Orientierung und Planungsempfehlung verwendet. Infolgedessen wurden die Wohnungstüren zu den notwendigen (Flucht-) Treppenräumen gemäß der Anforderungen Punkt 7.5.3 der Anlage 1 zur HBO 2011 als dicht- und selbstschließende Türen ausgeführt (siehe Bild 21). Die Umfassungswände der Treppenräume sind wiederum gemäß Punkt 7.1 mit der Anforderung F60-A+M* errichtet.

* F 60 =  Feuerwiderstandsklasse des jeweiligen Bauteils nach seiner Feuerwiderstandsdauer in Minuten (hochfeuerhemmend)
A = Nichtbrennbare Baustoffe (A1) und nichtbrennbare Baustoffe mit brennbaren Bestandteilen (A2)
M = Widerstandsfähig gegen zusätzliche mechanische Belastung

Bautafel

Architekten: Christ.Christ. associated architects, Wiesbaden
Projektbeteiligte: Schmitt + Thielmann Ingenieurgesellschaft, Wiesbaden (Tragwerksplanung); Wolf Engineering, Oberlahr (HLS-Planung); Ingenieurbüro Badie, Niedernhausen (Elektro-Planung); Büro Kamphausen (Freiraumplanung); bs² Ingenieurleistungen für Bauwesen, Ingelheim am Rhein (Brandschutz); Brömer + Sohn, Wiesbaden (Generaulunternehmer)
Bauherr: GWW Wiesbadener Wohnbaugesellschaft, Wiesbaden
Fertigstellung: 2019
Standort: Wiesbadener Landstraße 19-25, 65203 Wiesbaden
Bildnachweis: Thomas Herrmann Photography, Stuttgart


Fachwissen zum Thema

Zur Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit, den Brand-, Schall-, Wärme- und Erschütterungsschutz sind nach § 66 der Musterbauordnung (MBO) geprüfte bautechnische Nachweise erforderlich.

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Grundlagen

Brandschutznachweis

Flucht- und Rettungswege sollten so breit sein, dass sie den Erfordernissen aufgrund der körperlichen Konstitution der Nutzer gerecht werden.

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Flucht-/​Rettungswege

Dimensionierung von Flucht- und Rettungswegen

Notwendige Treppen und notwendige Treppenräume bilden zusammen das System der vertikalen Flucht- und Rettungswege.

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Flucht-/​Rettungswege

Treppen und Treppenräume

Die Zu- oder Durchfahrten müssen zu den vor und hinter den Gebäuden gelegenen Grundstücksteilen und Bewegungsflächen führen, wenn sie aus Gründen des Feuerwehreinsatzes erforderlich sind.

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Flucht-/​Rettungswege

Zugänge, Zu- und Durchfahrten zu Grundstücken

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