Umbau eines Lagerhauses zum Wohnhaus in Molenbeek

Wärmedämmung und Heizstandards auf dem Prüfstand

Es gibt einige Beispiele für Privathäuser von Architekturschaffenden, die als Versuchslabor neue Erkenntnisse fördern und so die Berufspraxis beeinflussen. Als einer der Büropartner ein Lagerhaus im Brüsseler Stadtteil Molenbeek erwarb, bot sich dem Team von AgwA eine solche Gelegenheit zum Experimentieren. Während der Transformation in ein Einfamilienhaus mit Kunstwerkstatt, wurden bisherige Gewohnheiten im Umgang mit Baumaterialien und Heizenergie gründlich hinterfragt: Könnte eine Antwort auf den Klimanotstand sein, Gebäude etwas weniger zu dämmen? 

Vor dem Umbau: Die Blockrandbebauung ist mit dem Lagerhaus verschhmolzen.
Eine Aufbetonschicht stabilisierte die einsturzgefährdeten Bestandsträger.
Im Inneren sorgen Holzelemente zur Stabilisierung des betagten Skelettbaus.

Weniger Material, mehr Energieeinsparung

2018 saßen die Gründer des belgischen Architekturbüros AgwA zusammen, während ihre Kinder auf den Straßen für den Klimaschutz demonstrierten. Es folgte eine lange Excel-Liste mit dem Ziel, die Auswirkungen des Bauens auf die Umwelt genau zu erfassen. Die Berechnungen des Teams zeigten, dass die graue Energie von Dämmmaßnahmen langfristig die Heizenergievorteile zunichtemacht. Nach vielen Vergleichen – Passivhaus, Neubau, Sanierung – mündeten die Überlegungen schließlich in der Frage: Was wäre, wenn Gebäude nur so wenig wie möglich renoviert würden bei gleichzeitiger Halbierung des zu erwärmenden Volumens? Diese Strategie ließ sich prompt testen beim Umbau einer Lagerhalle, die das neue Wohnhaus für den Büropartner werde sollte.

Neue Wohn- und Arbeitswelt hinter unscheinbarem Garagentor

Ursprünglich stand das Gebäude völlig frei, als es 1900 im noch grünen Molenbeek errichtet wurde, dem damaligen Stadtrand von Brüssel. In den 1950er-Jahren fassten dann nach und nach Reihenhäuser den dreieckigen Straßenblock ein, in dessen Mitte die Halle heute liegt. Ummauerte Hintergärten rückten bis an die Fassaden heran, während das L-förmige Konglomerat bis in die 1970er-Jahre hinein ebenfalls mehrfach erweitert wurde. Schließlich hatten die Baumaßnahmen den Freiraum um das Gebäude ganz vertilgt.

Heute bildet ein Garagentor in einer Reihenhausfassade das ungewöhnliche Entrée zu dem überraschenden Ort. Schiebt sich das weiß gestrichene Blech in der ockerfarbenen Klinkerfassade nach oben und wird dann die Durchfahrt durchschritten, tut sich ein länglicher Hof auf. Eingerahmt von den teils überwucherten Mauern der Nachbargrundstücke wächst unter den freigelegten hellen Trägern ein Garten heran. Zwischen den Pflanzen bewegt sich ein trichterförmiger Weg auf die in das Betongerippe eingesetzte Glasfassade zu. Darüber erscheint das massiv wirkende, weiß verputzte Obergeschoss mit seinen industriell anmutenden Fenstern.

Hinter den raumhohen Holzrahmentüren liegt ein Foyer. Von hier wird die weitläufige Werkstatt im Erdgeschoss erschlossen sowie die darüberliegende Wohnung. Küche, Bad, Elternschlafzimmer und Bibliothek sind im ersten Obergeschoss zu finden. Bei gutem Wetter kann auf der Dachterrasse gespeist werden. Zwei weitere Schlafzimmer sind im massiven Teil des Dachgeschosses zu finden. Hingegen bietet der daran angebaute Wintergarten Licht und Wärme für den Gemüseanbau. Im hintersten Winkel des Grundstücks wurde ein zweiter Hof geschaffen mit einer kleinen Terrasse inmitten des sprießenden Grüns. Die beiden Gärten sind mit einer Vielfalt von Nutzpflanzen und Bäumen bepflanzt.

Sparsamer Materialeinsatz

Die Diagnose des Ingenieurs zu Baubeginn war alarmierend: Die Betonskelettkonstruktion war einsturzgefährdet und es schien unmöglich, sie zu erhalten. Zusätzliche Betonträger einzusetzen kam für die Architekten angesichts der umweltschädlichen Wirkung des Baustoffs nicht in Frage. Was wäre, wenn dem alten Skelett ein Paar Holzbeine gegeben würden? Die Begeisterung für diese Idee erfuhr jedoch schnell einen Dämpfer: Schließlich musste das neue Holztragwerk auf Beton gegründet werden. Aber auch hier fand das Team eine Lösung: Die Holzbalken wurden als Diagonalen an die Fußpunkte der Betonstützen gelehnt, sodass sie die Kräfte in die bestehenden Fundamente leiten. Die unzureichend tragfähigen Betondeckenelemente konnten bleiben.

Außerdem erhalten blieben die vorhandenen, raumbegrenzenden Wände. Wiederverwendet wurden neben den Ziegeln des Bestands die Dach- und Terrassenplatten. Die Geländer und Fliesen wurden bei Arbeiten an anderen Projekten des Büros gewonnen. An einigen Stellen kommen neue Elemente zum Einsatz: Im Erdgeschoss wurden raumhohe Holzrahmenfenster und -türen in das Betonskelett eingesetzt. Sie schirmen die Werkstatt von den neu entstandenen Höfen ab, ebenso wie von dem Foyer, von dem aus eine neue robuste Holztreppe in die Wohnbereiche führt. Die Böden der Obergeschosse bestehen aus nebeneinanderliegenden schmalen Holzbalken. Das ursprüngliche Satteldach wurde teilweise abgebrochen und durch das Gewächshaus ersetzt, das die Konturen der erhaltenen Dachhälfte fortführt und den Holzfußboden vor Regen schützt.

Beheizter Kern in großzügiger Struktur

Die rot markierte Schicht in den Grundrissen verrät, dass nur die Werkstatt und der Wohnbereich im zentralen Gebäudeteil sowie die beiden Schlafräume unter dem Dach nachträglich gedämmt wurden. Entsprechend halbierte sich das beheizte Volumen. Für die Heizanlage wurde eine Luft/Luft-Wärmepumpe gewählt, die in Verbindung mit einem genossenschaftlichen Ökostromanbieter betrieben wird.

Hinter den Eingriffen stecken Überlegungen zum Verhältnis von Gebäudenutzungen und ihren klimatischen Anforderungen. Das gegenüber dem großzügigen Platzangebot des Bestands bescheidene Raumprogramm führt dazu, dass je nach Jahreszeit nur zwei kleine beheizte Bereiche in der großen Struktur bewohnt werden. Zugleich dienen die um diesen Kern angelagerten Räume und das Gewächshaus als klimatische Pufferzonen. Diese Synergie aus einer vielfältigen, saisonal dynamischen Gebäudenutzung und den bauphysikalischen Effekten von unbeheizten Bereichen stellt die heute verbreiteten Wärmedämm- und Heizstandards in Frage. Früher seien diese unterschiedlichen Klimazonen üblich gewesen in Häusern, sagen die Architekten. Mittlerweile sind solche Wohnformen in Städten allerdings selten zu finden.

Dämmstoffe: Hanfbeton und Steinwolle
Die Außenwände der Wohn- und Aufenthaltsräume im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss erhielten eine innenseitige Dämmung aus 15 cm dicken, mit einem Anstrich versehenen Hanfbetonblöcken mit einer Wärmeleitfähigkeit von 0,071 W/mK. Den Architekturschaffenden zufolge verfügt die lokal produzierte Hanfisolierung über eine der niedrigsten CO2-Bilanzen verglichen mit anderen Dämmstoffen.

Über der bestehenden Deckenplatte des ersten Obergeschosses sorgt nun eine zwischen 4 und 10 cm dicke Aufbetonschicht für ein leichtes Gefälle. Darüber liegen 16 cm starke glasvlieskaschierte Steinwollplatten mit einer Wärmeleitfähigkeit von 0,04 W/mK und einem Wärmedurchgangskoeffizienten von 0,24 W/m²K. Eine wurzelfeste Abdichtung trennt die Dämmung von den lose auf Noppen verlegten, wiederverwendeten Betonbodenplatten der Dachterrasse. Wo keine Bodenplatten verlegt wurden, bieten Vegetationsmatten für extensive Dachbegrünung und eine 4 cm starke Substratschicht einen Nährboden für Gräser. Die 23 cm starke Zwischensparrendämmung des Satteldachs besteht ebenfalls aus Steinwolle. Innenseitig wurden eine Dampfsperre und Holzlatten aufgebracht, auf denen Gipskartonplatten den raumseitigen Abschluss bilden. -ml

Bautafel

Architektur: AgwA, Brüssel
Projektbeteiligte: JZH & Partners, Brüssel (Statik); Rockwool, Wijnegem (Rhinoxx Steinwollplatten); IsoHemp, Fernelmont (Hanfbetonblöcke)
Bauherr/in: Harold Fallon, Evelia Macal 
Fertigstellung: 2020
Standort: Molenbeek-Saint-Jean, Brüssel, Belgien
Bildnachweis: Séverin Malaud, Brüssel (Fotos); AgwA, Brüssel (Pläne)

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Welcher Effizienzklasse ein Gebäude zugeordnet ist, ist in seinem Energieausweis ersichtlich.

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