Rathaus in Uppsala

Akzentuierte Nahtstellen aus Isolierglas

Die Universitätsstadt Uppsala – Schwedens viertgrößte Stadt – verfügte seit den 60er-Jahren über einen unvollendeten Rathausbau: Während der spätmodernistische Entwurf von Erik und Tore Ahlsén ursprünglich vier fünfstöckige Gebäude vorsah, die sich um einen zentralen Innenhof gruppieren, scheiterte die Fertigstellung des Baus jedoch im Jahr 1964 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten. Zu diesem Zeitpunkt war lediglich ein L-förmiger Baukörper bis zur Nutzbarkeit fertiggestellt; der geplante zentrale Innenhof verblieb als unscheinbarer und formloser Raum. Sämtliche Versuche der Stadtverwaltung, das Bauvorhanben in den vergangenen fünf Jahrzehnten fortzusetzen, blieben erfolglos. Dadurch konnte das ursprüngliche Ziel, alle städtischen Abteilungen und Ämter in einem Bau zu beherbergen, nicht erreicht werden. Versammlungen mussten in Ermangelung eines Versammlungssaals im benachbarten Konzerthaus stattfinden. Kurzum: das Rathaus von Uppsala wurde nie zu dem Ort, der es eigentlich werden sollte.

Der ursprünglich als Innenhof geplante Raum wurde nun als großflächig überdachtes und verglastes Atrium ausgebildet.
Während der Gebäudebestand eine Natursteinfassade aufweist, ist die neue Gebäudestruktur mit einer großflächig verglasten Elementfassade abgeschlossen.
Die Nahtstelle zwischen Alt- und Neubau ist durch ein verbindendes Glasband gekennzeichnet. Konzeptionell haben sich die Planenden von der japanischen Kintsugi-Kunst inspirieren lassen.

Fertigstellung nach über 50 Jahren

Erst mit der Auslobung eines internationalen Wettbewerbs im Jahr 2016, aus dem die Planungsgemeinschaft aus Henning Larsen, SLA und Tyrens hervorgegangen war, wurden die Planungen neu entfacht. Mit der Weiterplanung beauftragt, galt es für die Planungsgemeinschaft in der ersten Planungsphase zunächst, die Anforderungen aus dem geografischen und kulturellen Kontext vollständig zu erfassen sowie die Vergangenheit und zukünftige Nutzbarkeit des bestehenden Gebäudes zu erforschen. Aus dieser Auseinandersetzung entstand die konzeptionelle Idee, auf der die Erweiterung aufbaut: Wie bei der japanischen Kintsugi-Kunst, bei der Keramik mit Gold repariert wird, sollte Alt- und Neubau mittels sichtbarer und bewusst betonter Fügestellen miteinander verbunden werden. 


Zeitgemäßer Rathausbau 

Basieren auf den Überlegungen entstand ein lichtdurchflutetes und energieeffizientes Gebäude mit einer nutzbaren Gesamtfläche von 25.000 Quadratmetern; neu hinzugekommen sind 14.000 Quadratmeter Fläche. Nach dem Umbau fungiert das Rathaus als frei zugänglicher und offener Raum für die Bürgerinnen und Bürger. Der ursprünglich als Innenhof  geplante Raum wurde zu einem 1.500 Quadratmeter großen Atrium, das mit einem auffälligen, kuppelförmigen Glasdach überdeckt ist. Dank der zwei Haupteingänge kann das Atrium auch als Passage genutzt werden. Hier befinden sich öffentliche Nutzungen und Plätze, die zum Verweilen einladen, darunter ein Café und ein Restaurant, Geschäfte sowie Ausstellungsräume. In das Atrium eingestellt ist zudem ein strahlend weißer Baukörper, in dem sich die Ratskammern und der Versammlungssaal befinden. In den Geschossen darüber verteilen sich Büroräumlichkeiten um das Atrium herum.

Architektonisches Kintsugi: Akzentuierte Schnittstellen

Bewusst entschieden sich die Planenden dagegen, die Verbindung zwischen altem und neuem Gebäudeteil zu kaschieren. Vielmehr ist die Nahtstelle durch ein Glasband aus Isolierglas sichtbar gekennzeichnet. Während alte Gebäudebereiche mit einer Natursteinfassade und Lochfenstern aus Holz versehen sind, sind neue Gebäudeabschnitte mit einer festverglaste Elementfassade abgeschlossen. Aufgrund der raumhohen Glasformate wurden die Isolierverglasungen absturzsichernd ausgebildet.

Filigrane Glasdachkonstruktion des Atriums

Das charakteristische Glasdach weist ein Gesamtgewicht von ca. 700 Tonnen auf und überspannt das gesamte Atrium. Aufgrund des geringen Stiches der Konstruktion musste zur Sicherstellung der Stabilität des Dachtragwerkes eine fischbauchförmige Unterspannung ausgeführt werden. Das Haupttragwerk besteht aus rechteckigen Stahlprofilen, die vor Ort mit vorgefertigten Systemknoten verschweißt wurden. Dank des dreieckigen Grundrasters konnte auf gekrümmte Stahlprofile und gebogene Verglasungen verzichtet werden.

Die Isolierverglasungen sind über eine Aufsatzkonstruktion auf dem Stahltragwerk linienförmig gelagert. Um eine Entwässerung der in Teilbereichen sehr flachen Dachfläche sicherzustellen, erfolgte die Lagerung der Scheiben gegenüber Sogbeanspruchung mittels Eindrehhalter. Falzbereiche zwischen benachbarten Isolierverglasungen sind gegenüber atmosphärischen Einwirkungen nach außen mit einer Wetterversiegelung aus Silikon abgedichtet. Anpressleisten und punktförmige Klemmhalter konnten aufgrund einer statisch wirksamen Randverbundklebung vermieden werden. Die Isolierverglasungen sind zu Reinigungs- und Wartungszwecken betretbar ausgebildet.

Bautafel

Architektur: Henning Larsen, Kopenhagen
Projektbeteiligte: Tyréns, Stockholm (Fachplanung/Engineering); SLA, Kopenhagen (Landschaftsarchitektur); Bjørn Bygg, Lysaker (Generalunternehmer); Metalltech, Seriate (Streckmetall)
Bauherr/in: Uppsala Municipality Arenas and Properties
Fertigstellung: 2021
Standort: Stadshusgatan 2, 75321 Uppsala, Schweden
Bildnachweis: Einar Aslaksen; Henning Larsen

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