Messenachbericht Cersaie 2019 - Teil I

Die Fliese übernimmt im Bad nicht länger die Rolle als Boden- oder Wandbelag, sondern erfindet sich als Fertigwerkstück wie Duschtasse oder Waschtisch komplett neu, konnte unser Autor Michael Spohr beim Besuch der diesjährigen Cersaie in Bologna feststellen. Außerdem traf er auf die 98-jährige Stilikone Iris Apfel – bzw. auf ihr in Keramik verewigtes Konterfei – und stöberte tatsächlich wieder neue, farbgewaltige Marmorinterpretationen auf.

Weißer Waschtisch: Die Florim-Gruppe hatte sich in ihrer diesjährigen Ausstellungsgalerie ganz der Dekoration und Inneneinrichtung verschrieben und setzte das Konzept der verschiedenen Raumkonzepte elegant um.
Erweckten ansprechende Räume mit unterschiedlichen Badstilen zum Leben: die „Fir-Italia“-Fliesen aus der Terratinta-Gruppe sowie die „Arbi“-Badmöbelstücke in der Präsentation „Voices – the soul of ceramics“ von Lucchesedesign.
Kooperation Küchenhersteller und Fliesenanbieter: Der italienische Küchenbauer Rastelli trat am Messestand von Ceramiche Refin auf, natürlich mit dessen keramischen Platten als Möbelverkleidungen.

Von der Oberfläche in den Raum

Schon immer ist die Cersaie eigentlich eine internationale Fachausstellung nicht nur für Keramikfliesen, sondern auch für die Badezimmer-Ausstattung gewesen. Bis zum letzten Jahr allerdings gab es zwischen den beiden Ausstellungsschwerpunkten eher wenige Verknüpfungen. Zudem überstrahlten die Fliesen die Badausstattungsprodukte stets sowohl quantitativ wie auch qualitativ. Zudem konnte die Cersaie in diesem Segment nicht mit den führenden Messen wie der Frankfurter ISH oder der Mailänder Salone del Bagno mithalten.

Nun aber haben die Fliesenhersteller, nach der Küche, das Bad als strategisches Ziel für ihre Materialien auserkoren – jedoch nicht mehr lediglich als Belag für Wand und Boden. Während in Badezimmern an den Wänden sogar immer weniger Fliesen zum Einsatz kommen, weil hier Putze, Spachteltechniken, feuchtraumgeeignete Tapeten und weitere Materialien mit der Fliese konkurrieren, treten die Fliesen in Form von Fertigwerkstücken in den Wettbewerb mit den traditionellen Sanitärkeramiken. Neben Waschtischen sind komplette Duschanwendungen im Angebot, außerdem neuerdings sogar Duschtassen aus Fliesen, darüber hinaus Möbelverkleidungen, Ablagen und Accessoires. Gleich mehrere Fliesenhersteller haben in diesem Jahr gar komplette separate Badprogramme ins Leben gerufen und/oder sind Kooperationen mit Badausstattern eingegangen.

Fliesen-Komplettbäder

Fondovalle beispielsweise hatte schon 2018 zusammen mit dem italienischen Badmöbel-Anbieter und -Designer Edoné an der Messe Salone del Mobile teilgenommen. Die Zusammenarbeit mit dem Ziel, Badmöbel und Fliesen zu einem umfassenden Konzept der „Badumgebung“ zusammenzuführen, haben die beiden Unternehmen nunmehr auch auf die Cersaie ausgeweitet. Andere Hersteller wie etwa der arabische RAK oder der spanische Porcelanosa haben gleich eigene Sanitärkeramiklinien ins Programm aufgenommen. Bei dem spanischen Anbieter Living Ceramics ebenso wie bei dem italienischen Ceramiche Refin gibt es eine neue Badmöbelserie mit eigenem Katalog. Und Ceramiche Piemme stellte seinen Besuchern mit dem Projekt Tailor Made ebenfalls eine spezielle Badkollektion mit Feinsteinzeug-Waschtischen, -Oberteilen und -Duschwannen vor. Das Unternehmen bietet zudem maßgeschneiderte Lösungen für den Objektbereich an – etwa für die Renovierung von Hotels und öffentlichen Gebäuden sowie für High-End-Wohnprojekte mit luxuriösen, individuell konzipierten Badezimmern.

Die erst 2007 entstandene italienische Terratinta-Gruppe bezeichnet sich bereits als Komplettbadanbieter. Das Unternehmen hat erst in diesem Jahr begonnen, Großplatten anzubieten und musste sich als Spätankömmling in diesem Segment etwas Besonderes ausdenken, um im Markt bestehen zu können. Neben Ablagen und Waschtischen sind dies etwa zugekaufte Sanitärarmaturen. Ebenfalls eine Armaturenkollektion bietet Noken Porcelanosa Bathrooms mit Namen Lignage an.

Unter dem Namen Olos konzipierte die zur Concorde-Gruppe gehörende Marke Caesar ein umfassendes Steinzeugplatten-Projekt um die Verwendung von Keramikplatten in der vielfältigen Welt des Interior Designs zu fördern. Hierzu zählen bei Caesar Möbelelemente wie Arbeitsplatten, Bad- und Küchenmöbel, Einrichtungsgegenstände und maßgeschneiderte Sets für die Innenraum-Gestaltung. Das griechische Wort olos bedeutet alles und soll laut Hersteller ein Gefühl der Gesamtheit vermitteln, das mehr als die Summe seiner Teile ist.

Während RAK sich mit seinem Cloud-Konzept sogar in einer der Hallen der Badausstatter präsentierte, zeigten viele Hersteller nur einzelne Sanitärobjekte, zumeist Waschtische, auf ihren angestammten Standplätzen. Auch Duschen, teilweise mit eigenen Duschboards, konnten die Besucher an vielen Messeständen besichtigen. Wer hingegen noch Küchenarbeitsplatten präsentierte, hatte diese zumeist um Tische, Schränke und weitere Küchenmöbel ergänzt – allesamt mit keramischen Oberflächen. Da sich Tische aller Art mit Keramikplatte als pflegeleichter Allrounder geradezu aufdrängen, nehmen diese mittlerweile auch einen immer größeren Raum bei den Cersaie-Präsentationen ein. So richtig innovativ zeigten sich diejenigen unter den Ausstellern, die ihre Fliesen und Platten zu Wohnmöbeln für den Innen- wie den Außenbereich weiterverarbeitet haben. Mit Oikos betrat zudem erstmals ein Hersteller von Türen und Eingangsarchitekturen die Cersaie. Oikos hat sich seit seiner Gründung vor dreißig Jahren vom reinen Konzept der Leistungseffizienz von Sicherheitstüren langsam in Richtung Design und Ästhetik entwickelt.

Aber noch einmal zurück zum neuen Badschwerpunkt: Den 458 Keramikfliesen-Ausstellern (einer mehr als im Vorjahr) standen in diesem Jahr 214 Badausstattungs-Aussteller (plus 30 gegenüber 2018) gegenüber. Ein besonderes Highlight stellte die Sonderausstellung Famous Bathrooms dar, gewidmet den Bädern 32 historischer Persönlichkeiten.

Bei der Preisverleihung des ADI Ceramics & Bathroom Design Award zeigte sich in diesem Jahr erstmals die zunehmende Bedeutung des Umweltgedankens. Einen der drei Preise im Segment keramische Fliesen nämlich gewann Corneli mit dem Iride-System zur Wiederverwendung von Marmorproduktionsabfällen, aus denen das Unternehmen nachhaltige Objekte fertigt. Eine aus Sicht der Jury innovative Betonoptik namens Map Red-Overcome von Leonardo sowie schmale Fliesenstreifen von Fittile, die unter der Bezeichnung Fuggo eine mosaikartige Unterteilung andeuten, waren die beiden weiteren Preisträger. Bei den Preisen für den besten Messestand siegten Fiandre (in der Kategorie Interior), Mosaico+ (Kategorie Minimal), Stylgraph (Kategorie Research) und Flaminia (Kategorie Entertainment).

Inspiration Stilikone

Eine besondere Erwähnung erfuhr die Target-Gruppe mit ihren Fuoriformato-Produkten, die wir bereits im letzten Jahr lobend erwähnt hatten. Die Jury des Design-Preises honorierte den kombinierten Einsatz digitaler Dekoration und manueller Bildintervention, die der Keramikproduktion einen originellen Ausdrucksweg eröffnet. Originell war auch der von einem Portrait der Stilikone Iris Apfel dominierte Messestand von Target. Das als Dienstleistungsunternehmen für andere Fliesenanbieter, zum Beispiel mit Keramikdekorationen, gegründete Unternehmen hatte sich im vergangenen Jahr als Keramikatelier neu aufgestellt und damit begonnen, eigene Kreationen zu vermarkten. In diesem Jahr stand die von Iris Apfel inspirierte Fliesenlinie Icon im Fokus. Sie besteht aus neun beliebig zu kombinierenden Motiven im Format 20 × 20 cm, die Grafiken mit kontrastierenden Farben und prächtigen Metallic-Akzenten kombinieren.

Ebenfalls ein echter Hingucker waren die Messestände der Imola-Gruppe, von 41zero42, Petra Antiqua sowie von Londonart. Während es sich bei letztgenannter Firma um einen Tapetenhersteller mit opulenten Bildwänden und bei der davor erwähnten um einen Natursteinanbieter mit außerordentlichen Oberflächenbearbeitungen handelt, zeigte 41zero42 keramische Fliesen: Die floralen Dekore der neuen, kalt glasierten und nur sechs Millimeter dünnen Wandfliesen-Serie Paper41 Lux etwa erzielen eine beeindruckende Tiefe. Bei Imola schließlich sorgten vier neue Ausführungen der Kollektion The Room für einen Knalleffekt. Insbesondere der dem gleichnamigen, sehr seltenen schwarz-weißen Marmor aus den nördlichen Pyrenäen Frankreichs nachempfundene Grand Antique stellte wegen seiner ausgeprägten Kontraste einen Blickfang dar. Schwarze und weiße Flecken dieser Ausprägung weist kein anderer natürlicher Marmor auf.

Erfrischend anders trat Saxa Gres auf, das in diesem Jahr auf die Messe zurückkehrte – und das nicht nur, weil die Standbesucher italienisches Eis serviert bekamen. Das erst 2015 gegründete Unternehmen war im vergangenen Jahr mit dem überraschenden Kauf der italienischen Traditionsmarke Tagina aufgefallen. Die Eisvitrine war auf einem offenen Platz im Messestand platziert, der mit den neuen, 6,5 Zentimeter dicken Pflastersteinen Grestone gestaltet war. Diese gibt es in den Formaten 10 x 10, 10 x 20 und 20 x 20 cm. Die Outdoor-Fliesen der neuen Kollektion mit den Formaten 20 x 40, 40 x 60 und 60 x 60 cm sind immer noch 5 cm stark. Die Kollektion besteht aus einem Feinsteinzeugmix, der bis zu dreißig Prozent inerte Materialien aus Siedlungsabfällen enthält. Saxa Gres wird daraus künftig auch Stadtmöbel herstellen: Panchine, tavolini, cestini per la spazzatura, aiuole in gres porcellanato, che possono essere personalizzati in base alle esigenze di arredo di ogni realtà.Bänke, Tische, Müllbehälter und Blumenbeetbegrenzungen.

In negativer Hinsicht den Vogel abgeschossen hat die spanische Roca-Gruppe, die den Frontbereich ihres Messestandes unter dem Titel „A Partner with perspective“ mit perspektivisch wirkenden Fliesenanordnungen dekoriert hatte, die auf ein schwarzes Loch zuliefen.

Marmor, so weit das Auge reicht

Hinsichtlich der Fliesenoptiken haben Natursteininterpretationen weiterhin die Nase vorn. Der Hype der Marmoranmutungen scheint kein Ende nehmen zu wollen. Und wenn es in der Natur keine Vorlage mehr gibt, die schrill genug ist, wird einfach ein neuer bunter Marmor digitaltechnisch erfunden, wie beispielsweise eine knallblaue Variante an den Messeständen der Fincibec-Gruppe. Andere Hersteller wie etwa Fiandre zeigten Naturstein-Exponate zu den neuesten Fliesenkollektionen, um nachzuweisen, dass optisch kein Unterschied mehr wahrnehmbar ist. Fiandre gelingt dies dank perfekter Polierergebnisse, die den Großplatten des Unternehmens der Iris Ceramica-Gruppe eine Brillanz und Tiefe verleihen, wie sie ansonsten wirklich nur beim Naturprodukt möglich ist. Immer häufiger zu sehen ist auch das sogenannte Bookmatching. Hierbei werden nebeneinander aus dem Block geschnittene Platten aufgeklappt angeordnet wie ein offenes Buch. Diese beim Naturstein sehr exklusive spiegelbildliche Darstellung haben die Keramikhersteller ebenfalls perfekt nachgestellt.

Hin und wieder allerdings scheinen Designstudios entweder gleichzeitig auf dieselbe Idee zu kommen oder eine Idee mehrfach zu verkaufen. Anders wäre es kaum erklärbar, warum an manchen Messeständen nahezu identische Neuheiten präsentiert wurden. Beispiele hierfür sind Fliesenkopien des grün schimmernden brasilianischen Granits Amazonite – oder auch eines ebenfalls grünlichen und besonders wertvollen asiatischen Marmors, der durch Feldspat neben Grün in Weiß, Grau und Schwarz sehr ausdrucksstark gezeichnet ist.

Weitere Steine, die in Keramik interpretiert werden, sind Quarzite unterschiedlicher Art, Kalksteine in verschiedenen Farben, Travertine und Onyxe. Neben den „Steinen“ haben die bereits Terrazzo-Optiken weiter Boden gut gemacht. Das Stracciatella-Muster liegt im Trend und wird immer kontrastreicher und die Einschlüsse immer vielfältiger in der Größe. Ein gutes Beispiel hierfür ist Fioranese mit zwei neuen Terrazzoanmutungen: Während die Serie Ghiaia farbige Einstreuungen – mal auf dunklem, mal auf hellem Hintergrund – wagt, treibt Terrazzo MaxiMini wie der Name schon sagt, die Größe der Einstreuungen in beide Richtungen auf die Spitze. Dem Schwesterunternehmen Coem gelingt hingegen mit Wide Gres 260 eine ruhige, authentisch wirkende Betonwerksteinerscheinung.

Die Zeit der hölzernen Fliesen scheint – zumindest vorläufig – vorbei zu sein, auch wenn sich hier und da noch einige Holzoptik-Neuheiten auf die Stände verirrt hatten. Eine dieser Holzanmutungen verdient es dennoch, an dieser Stelle vorgestellt zu werden: und zwar Timewood von Sant’Agostino. Eben diese neue Serie wartet zudem mit einer Betonanmutung auf, die seinesgleichen sucht. Damit ist der italienische Hersteller wie häufig recht weit vorn in der detailgetreuen Ausprägung einer neuen Kollektion.

Text: Michael Spohr, Essen

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