Kratzanfälligkeit von Glas im Bauwesen

Wie sich Kratzer auf herkömmliche Kalk-Natronsilikatgläser auswirken, haben Wissenschaftler am Institut für Statik und Konstruktion der Technischen Universität Darmstadt untersucht. Auf Grundlage bruchmechanischer Betrachtungen und eines umfangreichen Versuchskonzeptes prüften sie sowohl thermisch entspannte als auch thermisch bzw. chemisch vorgespannte Glasarten. Dabei differenzierten die Forscher zwischen einer optischen und einer statisch wirksamen Kratzanfälligkeit: Während erstere die Sichtbarkeit eines Kratzers beschreibt, bezieht sich letztere auf die Reduzierung der Glasfestigkeit

Rasterelektronenmikroskopaufnahme einer Kratzspur auf Glas mit Kennzeichnung der wesentlichen Rissarten
Schematische Darstellung des charakteristischen Risssystems auf Kalk-Natronsilikatglas unterhalb einer Kratzspur

Es konnte gezeigt werden, dass aus einem spitzen Kontakt wie etwa durch ein Sandkorn resultierende Kratzspuren auf Glas im Bauwesen unterhalb der eigentlichen Kratzspur, also dem Kontaktbereich zwischen Eindringkörper und Glasoberfläche, in der Regel ein typisches Risssystem aufweisen. Es besteht aus parallel zur Glasoberfläche wachsenden Lateralrissen, die eine Verbreiterung der Kratzspur bewirken und somit die makroskopische Sichtbarkeit eines Oberflächendefektes deutlich erhöhen. Gleichzeitig entstehen Tiefen- und Radialrisse, die senkrecht zur Glasoberfläche vordringen und eine Herabsetzung der Festigkeit bewirken.

Neben den wesentlichen Einflussparametern auf die Ausbildung und das Wachstum der Risse konnte gezeigt werden, dass insbesondere Letzteres für Lateralrisse zeitabhängig aufgrund subkritischer Risswachstumseffekte auch nach dem eigentlichen Kontaktvorgang erfolgt. Für im Bauwesen üblicherweise vorherrschende atmosphärische Umgebungsbedingungen weist thermisch vorgespanntes Glas im Vergleich zu thermisch entspanntem Floatglas eine leicht höhere optische Kratzanfälligkeit auf; unter feuchten Umgebungsbedingungen konnte dieser Unterschied kaum beobachtet werden.

Hinsichtlich der statisch wirksamen Kratzanfälligkeit wurde für thermisch vorgespannte Gläser beobachtet, dass trotz identischer Vorschädigung die effektive Biegefestigkeit mit zunehmender Oberflächendruckspannung infolge des thermischen Vorspannprozesses steigt, respektive die Risslänge abnimmt. Weiterführend konnte für auf Gläsern im Bauwesen zu beobachtende Schadensmuster gezeigt werden, dass insbesondere für thermisch entspanntes Floatglas die charakteristische Festigkeit, die in den Produktnormen definiert ist, teilweise deutlich unterschritten wird. Zur Einschätzung der verbleibenden Materialfestigkeit wurde diesbezüglich ein Bewertungskatalog für übliche Oberflächenbeschädigungen erstellt. Kratzer haben bei thermisch entspanntem Floatglas also einen ungünstigeren Einfluss auf die Materialfestigkeit als bei thermisch vorgespanntem Glas.

Anhand abschließender Betrachtungen zur Sanierung von Kratzern auf Glasoberflächen konnte gezeigt werden, dass abrasive Polierverfahren zur Reduzierung der Sichtbarkeit von Oberflächendefekten auf statisch nicht wirksamen Glaselementen durchaus geeignet sind. Allerdings werden durch derartige Verfahren weitere (nicht sichtbare) Oberflächendefekte auf der Glasoberfläche erzeugt, sodass von einer zusätzlichen Reduzierung der Glasfestigkeit ausgegangen werden muss.

Für die lokale Anwendung stark verdünnter Flusssäure konnte hingegen eine gegensätzliche Wirkung beobachtet werden: Während durch das Ätzen die makroskopische Sichtbarkeit teilweise ansteigt, wird der festigkeitsmindernde Einfluss des Oberflächendefektes erheblich minimiert. Aufgrund des hohen Gefährdungspotenzials, das von der Flusssäure ausgeht, ist letztgenannte Sanierungsmethode allerdings nicht ohne weiteres von Laborversuchen auf die Anwendung am Bauteil übertragbar.

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