Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt

Digital bedruckte Glasfassade mit Szenen der friedlichen Revolution in Thüringen

Bis zum Ende der DDR stand die Andreasstraße in der Erfurter Innenstadt synonym für Unrecht und Unterdrückung. Hier befanden sich die Bezirksverwaltung und eine Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Beide waren in einem Gebäudekomplex untergebracht, der zwischen 1874 und 79 errichtet worden war. Seitdem diente das Gefängnis den wechselnden politischen Systemen als Untersuchungshaftanstalt. Die Staatssicherheit inhaftierte darin bis 1989 mehr als 5.000 Menschen aus politischen Gründen, danach übernahm es die Bundesrepublik. Im Jahr 2002 war endgültig Schluss mit dem Einsperren. Eine Zeit lang wurde das Gebäude als Lager für MfS-Akten genutzt, zehn Jahre später öffnete es als Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße.

Das Fassadenbild zeigt Szenen der friedlichen Revolution im Stil einer Graphic Novel
Mit seiner schwarz-verspiegelten und bedruckten Glasfassade hebt sich der schnörkellose Neubau deutlich von den Bestandsgebäuden ab
Der Gebäudekomplex mit Gericht und angeschlossener Haftanstalt wurde zwischen 1874 und 79 errichtet

Nach Sanierung und Umbau durch das Architekturbüro Stadermann aus Hausen hat sich die ehemalige Stasi-U-Haft in ein Multifunktionsgebäude mit Büros und Gedenkstätte verwandelt. Die Planer gliederten das Ensemble in insgesamt drei Nutzungsbereiche: Im ehemaligen Verwaltungshaus entlang der Andreasstraße sind auf drei Geschossen Büromieteinheiten entstanden, im früheren Kommandantenhaus befinden sich heute auf zwei Etagen Verwaltungsräume für den Freistaat Thüringen. Im Westflügel des Hauptgebäudes, dem ehemaligen Zellenhaus, erstreckt sich über drei Geschosse die Gedenk- und Bildungsstätte. Sie erinnert an Unterdrückung und Widerstand während der SED-Diktatur in Thüringen zwischen 1949 und 1989.

Während die Haftzellen im Hauptgebäude in einem authentischen Zustand erhalten blieben, entstanden in der Bildungseinrichtung zeitgemäße Ausstellungsflächen und Seminarräume. Neue und ergänzende Bauteile, Erschließungen sowie die notwendigen konstruktiven und technischen Einbauten wurden von den Architekten so zurückhaltend in den Gefängnisbau ein- oder angefügt, dass dessen typischer Charakter bewahrt bleibt. Die das Areal umfassende Klinkersteinmauer, einst Ausdruck der Machtverhältnisse in der Diktatur, wurde auf der Südwestseite aufgebrochen. Quer dazu sind drei große, graue Wandscheiben aufgestellt, die als einladende Geste Besucher und Passanten auf das Gelände leiten. Gleichzeitig lenken sie den Blick auf einen gläsernen Neubau im Innenhof des ehemaligen Gefängnisses. Er beherbergt einen großen Veranstaltungsraum, der hell und freundlich gestaltet, mit der funktionalen Schäbigkeit kontrastiert, mit der die Insassen des Gefängnisses konfrontiert waren.

Mit seiner schwarz-verspiegelten und darüber hinaus bedruckten Glasfassade hebt sich der eingeschossige, in der Form schnörkellose Neubau deutlich von den rot verklinkerten Bestandsgebäuden ab. Das knapp 40 Meter lange Fassadenbild zeigt Szenen der friedlichen Revolution im Stil einer Graphic Novel. Es entstand nach einem Entwurf des Hamburger Zeichners Simon Schwartz und der ebenfalls in Hamburg ansässigen Agentur Freibeuter auf Grundlage zahlreicher Originalfotos vom Herbst 1989. Die moderne Bildsprache soll das Interesse insbesondere der jüngeren Generation wecken, sich mit der neueren deutschen Geschichte näher auseinanderzusetzen.

Glas
Obwohl die Glasfassade des Neubaus von außen vollkommen plan und geschlossen wirkt, sind darin Öffnungen eingelassen. Insgesamt sieben Fensterflügel und eine Fluchttür verbergen sich in ihr. Alle sind absolut bündig in die Fassade eingefügt und nur von einem geschulten Auge zu erkennen. Nahtlos darüber zieht sich die im digitalen Siebdruckverfahren aufgebrachte Grafik über die gesamte Außenhülle. Möglich war dies durch eine spezielle Befestigung der Isolierglaseinheiten.

Jedes Glaselement besteht aus einer inneren Scheibe aus 8 mm ESG-Wärmeschutzglas, silberfarbenen und 32 mm breiten Abstandhaltern im Scheibenzwischenraum und einer äußeren Scheibe aus 8 mm ESG mit Digitaldruck. Zwischen den beiden Glasscheiben ist eine ebenfalls silberfarbene Sonnenschutzjalousie angeordnet. Die jeweils 40 mm längere äußere Scheibe bildet eine vierseitig umlaufende Stufe, die auf dem Fensterrahmen aufgeklebt und mit mehreren langen Sicherungsschrauben durch den Flügelrahmen in den Isolierglasrandverbund bis zum ins Silikon eingelassene Edelstahl-U-Profil verschraubt ist. Auf der Innenseite der schwarz bedruckten Außenscheibe (Position 2) ist ein Spiegelbelag im Stufenbereich aufgedampft, der für eine absolute Blickdichtheit von außen sorgt. Neben dem zu öffnenden Element ist ein knapp 10 cm breiter Glasstreifen ringsum den Flügel auf den restlichen Teil des Rahmens aufgeklebt – ebenfalls separat bedruckt.

Eine Herausforderung stellte nicht nur die Fassadenkonstruktion des Neubaus dar, sondern auch der Anschluss der bedruckten Glaselemente an die seitlich angrenzende, neue Glasfassade des Altbaus. Schließlich sollte ein stimmiges Erscheinungsbild entstehen – und das ist definitiv gelungen. Den Besuchern bietet sich zu jeder Tageszeit, auch wenn bei Dunkelheit die Räume innen beleuchtet sind, eine harmonische Fassadeneinheit mit einem beeindruckenden Gesamtmotiv.

Bautafel

Architekten: Architekturbüro Stadermann, Hausen
Projektbeteiligte: Ingenieurbüro Bell, Leinefelde-Worbis (Statik); Lithodekor, Netzschkau (Glasfassade Altbau);  Metallbau Möller, Erfurt (Fassadenkonstruktion Neubau); Simon Schwartz, Hamburg und Agentur Freibeuter, Hamburg (Glaskunst); Saint-Gobain Glass, Aachen (Glashersteller); GVG Deggendorf (Glasdruck) und Glaskontor Erfurt (Glasverarbeiter); Kuzman Glas, Kammerstein (Glasintegrierte Sonnenschutzjalousien); Spiegelart Steffen Noack, Weißwasser (Aufgedampfte Spiegelbeschichtung)
Bauherr: Projektgesellschaft Andreasstraße, Erfurt
Fertigstellung: 2012
Standort: Andreasstraße 37a-d, 99084 Erfurt
Bildnachweis: Gerold Grimm, www.foto-grimm.de

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