Wohnensemble Le Stelle di Locarno

Vorfabrizierte Fassadenmodule aus Klinkern

Am Nordufer des Lago Maggiore gelegen, gelten Locarno sowie die angrenzenden Gegenden dank des mediterranen Klimas als wärmste Orte der Schweiz. Die Nähe zu Italien ist allerorts, nicht zuletzt durch die mehrheitlich italienischsprachige Bevölkerung, spürbar. Da verwundert es nicht weiter, dass das Architekturbüro Buzzi studio d’architettura bei dem Wohnungsbauprojekt Le Stelle di Locarno eine für Norditalien typische Grundrissaufteilung wählte. Als Hülle für das Wohngebäude entwarfen die Architekten eine Vorhangfassade aus perforierten Klinker-Modulen, die von Roboterhand präzise wie ein Schweizer Uhrwerk vorgefertigt wurden.

Die Fassade aus vorfabrizierten Klinker-Modulen legt sich wie eine feine, leicht gewellte Gitterstruktur um die Gebäude
Die regelmäßigen Aussparungen in der Nordfassade erzeugen eine maßstabsgerechte Lochfassade vor der ansonsten geschlossenen Wand
Insgesamt entstanden 23 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe und Zuschnitts

Alte Villen, Häuser aus den 1960er-Jahren und einzelnen größeren Wohnanlagen prägen die Umgebung des neuen Bauprojektes, das drei Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 23 Wohnungen umfasst. Das Grundstück wird nördlich von einer Straße begrenzt und geht nach Süden in ein steil abfallendes Gelände zu einem Sportplatz und dem Flussufer der Maggia über. Parallel zur Straße entstand ein sechsgeschossiger, liegender Baukörper, zwei schlankere Wohntürme mit sechs und sieben Geschossen wurden zurückversetzt auf dem Grundstück platziert. Alle drei Bauten sind um einen gemeinsamen Innenhof, zu dem auch die Eingänge angeordnet sind, gruppiert. Während in den beiden hinteren Häusern ausschließlich gewohnt wird, entstanden im Erdgeschoss des vorderen auch gewerbliche Flächen für einen Friseursalon und eine Arztpraxis. Unterhalb des westlichen Wohnturms befindet sich zudem eine zweigeschossige Tiefgarage mit Stellplätzen für alle Bewohner.

Bei der Grundrissorganisation orientierten sich die Architekten an der Mailänder Typologie der bürgerlichen Villa a piani, bei der jeweils eine Wohnung ein Stockwerk einnimmt. Eine Ausnahme bildet hierbei wiederum das vordere Haus, in dem jeweils zwei Wohnungen pro Etage entstanden. Alle Einheiten sind zum Innenhof und der südlich angrenzenden Flusslandschaft ausgerichtet. Die Grundrisse der 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen sind offen angelegt; die Bereiche Wohnen, Essen und Kochen gehen räumlich ineinander über. Um die jeweiligen Funktionen dennoch voneinander abzugrenzen, entschieden sich die Architekten für unterschiedliche Raumhöhen. Die Küche misst in der Höhe nur 2,31 Meter und liegt einige Stufen über dem Wohnsalon mit 2,93 Metern Deckenhöhe. Für die Schlafzimmer wählten die Architekten eine mittlere Raumhöhe von 2,63 Metern. Alle Wohnungen verfügen über eine große Loggia.

Mauerwerk
Die Wohnhäuser sind in Stahlbetonbauweise mit einer zweischaligen Fassadenkonstruktion konzipiert, die aus einer einschaligen Außenwand mit Wärmedämmverbundsystem und einer vorgesetzten Fassade aus vorgefertigten Klinkerelementen besteht. Auf die tragende Wand aus 25 cm Stahlbeton wurden 12 cm starke EPS-Wärmedämmplatten aufgebracht und mit einem dunkelbraunen Kunstharzputz versehen. Dieser Wandaufbau bildet die thermische Gebäudehülle. Mit einem Abstand von 5 cm folgen die an Edelstahlkragankern vorgefertigten Fassadenerelemente aus Klinkern.

Im Vorfabrikationswerk wurden von einem Roboter aus 25 x 11 x 6,5 cm großen Klinkern die Fassadenelemente hergestellt, wobei die Steine einer Reihe mit großen Abständen gesetzt und nur die Lagerfugen vermauert sind. Der durchbrochene Verband soll an die winddurchlässigen Scheunenwände in der Lombardei erinnern, die der Tessiner Architekt Rino Tami bereits in den 1950er-Jahren mit Formsteinen bei Wohnhäusern nachgebildet hat – und die sich beispielsweise am benachbarten Skelettbau mit Klinkerausfachung finden. Der Klinker aus Jura-Ton in der Farbschattierung Wüstensand wurde speziell für dieses Bauvorhaben gebrannt. Durch ihre Anordnung ergibt sich außerdem eine feine, leicht in sich gewellte Gitterstruktur an der Fassade.

Das roboterbasierte Produktionsverfahren ermöglicht es, komplexe Wand und -Fassadenflächen herzustellen, die von Hand nur schwer bis gar nicht zu mauern wären. Hervorgegangen aus Forschungsprojekten der Architekten Gramazio & Kohler an der ETH Zürich ist die Technik seit August 2013 nach europäischen Richtlinien und Normen zertifiziert. Entsprechend einer digitalen Vorlage der Planer entstanden auf diese Weise sechs verschiedene Module für die Fassade, die vor Ort beliebig angeordnet und so aneinandergefügt wurden, dass der Eindruck einer kontinuierlichen Wand entsteht.

In der Vorhangfassade wurden große rechteckige Öffnungen ausgespart, die teilweise zu den dahinterliegenden Fenstern verschoben sind. Eine Ausnahme bildet die Nordfassade des vorderen Hauses. Da diese in den Obergeschossen über keinerlei Fensteröffnungen verfügt, bilden die regelmäßigen Öffnungen eine Scheinlochfassade, um dem Baukörper eine maßstabsgerechte Struktur zu verleihen. Die Module sind an den Rändern der Öffnungen nicht eingefasst oder versäumt.

Bautafel

Architekten: Buzzi Studio d’architettura, Locarno
Projektbeteiligte: Anastasi, Locarno (Statik); Tecnoprogetti, Camorino (Elektroplanung); IFEC Consulenze, Rivera (Bauphysik); Garzoni, Lugano (Generalunternehmen); Keller Ziegeleien, Pfungen (Fassadenelemente)
Bauherr: Giuliano Anastasi, Locarno
Fertigstellung: 2015
Standort:
Varenna 71, 6600 Locarno
Bildnachweis: Marcelo Villada Ortiz; Buzzi Studio d’architettura, Locarno

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