U-Bahn-Zugang am Willy-Brandt-Platz in Frankfurt

Absturzsichernde Verglasung mit permanentem Lastabtrag

Mit täglich mehr als 300.000 Fahrgästen ist die Frankfurter U-Bahn eines der wichtigsten Verkehrsmittel der Mainmetropole. Einer ihrer zentralen Knotenpunkte ist der Umsteigebahnhof am Willy-Brandt-Platz. Im Zuge der städtebaulichen Umgestaltung des Platzes, bei welcher der U-Bahn-Zugang in das Konzept der nächtlichen Platzbeleuchtung einbezogen werden sollte, wurde die alte Überdachung durch eine dreiseitige Glasumhausung nach Plänen des Frankfurter Architekturbüros Scheffler und Partner ersetzt. Die Tragwerksplanung übernahm das ebenfalls in Frankfurt ansässige Ingenieurbüro Bollinger und Grohmann. Die technische Besonderheit des Entwurfes ist das Prinzip des Lastabtrags durch die absturzsichernde Glaskonstruktion.

Die Glasscheiben übernehmen den Lastabtrag ständiger und veränderlicher Lasten
Sensible Kantenbereiche sind durch Edelstahlprofile geschützt; in den Stoßstellen zwischen den Scheiben ist ein Zugglied aus Stahl angeordnet, welches das Abheben der Scheibenecken unter Horizontallast verhindert
Zwei Rolltreppen und eine Treppe führen in den U-Bahnhof

Der Zugang in die unterirdische Station befindet sich in der Fußgängerzone unmittelbar vor den Städtischen Bühnen. Er besitzt ein als Stahlgitterrost ausgeführtes Flachdach, dessen Grundfläche etwa 12,20 m x 5,40 m misst. Die Stahlkonstruktion ist auf drei Seiten auf Glaswänden aus Verbundsicherheitsglas (VSG) gelagert, über die veränderliche und ständige Lasten abgetragen werden. Da in der Glasecke eingeleitete Horizontallasten unweigerlich zu einem Abheben auf einer Seite der Glasscheiben führen würden, ordneten die Planer Zugglieder in den Stoßstellen zwischen den Scheiben an.

Der wesentliche Beitrag der Glasscheiben am Lastabtrag der Gesamtkonstruktion erforderte eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE). Innerhalb dieses Verfahrens wurden die Ergebnisse aus der statischen Berechnung anhand von Bauteilversuchen am Institut für Werkstoffe und Mechanik der Technischen Universität Darmstadt verifiziert. Der Versuchsablauf umfasste Nachweise hinsichtlich der Gebrauchstauglichkeit unter Horizontal- und Vertikallast (in Scheibenebene) und einer Holmlast. Bei der Prüfung wurde nachgewiesen, dass durch die entstehende Verformung das Einklemmen von Fingern nicht möglich ist, auch wenn nur eine Scheibe mit einer Holmlast belastet wird. Nachweise zur Tragfähigkeit der Lasteinleitung und der Stabilität der einzelnen Glasscheiben wurden mit Teilsicherheitsbeiwerten erhöhten Diagonallasten in Scheibenebene nachgewiesen. Weitere Stabilitätsnachweise wurden unter charakteristischer Diagonallast in Scheibenebene und gleichzeitiger Anpralllast (Doppelringpendelkörper, 50 kg, Fallhöhe 900 mm) mit intaktem und vorgeschädigtem (Resttragfähigkeit) Scheibenaufbau untersucht.

Da es sich bei dem U-Bahn-Zugang um ein öffentliches Gebäude in einem stark frequentierten Bereich handelt, waren weitere Überlegungen hinsichtlich Vandalismus und der Resttragfähigkeit des Glases notwendig. Schließlich muss die Standsicherheit auch bei Ausfall einer oder mehrerer Scheiben gewährleistet sein. Anhand statischer Berechnungen und verschiedener Bauteilversuche konnte nachgewiesen werden, dass sowohl die Standsicherheit als auch die Absturzsicherheit selbst bei Ausfall mehrerer VSG-Elemente sichergestellt ist. Bis zum Austausch der beschädigten Scheibe sind somit keine weiteren Vorkehrungen zu treffen. Bei Ausfall einer weiteren Scheibe oder eines kompletten Glaselementes ist die Bruchstelle temporär abzusichern. In diesem Fall wird sie durch Holzplatten übergangsweise ersetzt. Weiteres Vorgehen erfolgt analog bei Ausfall einer weiteren VSG-Einheit.

Glas
Insgesamt 15 gläserne Wandelemente bilden die absturzsichernde Umrandung des U-Bahn-Zugangs. Die Glasscheiben bestehen von außen nach innen aus 12 mm Einscheibensicherheitsglas (ESG) und  2 x 12 mm teilvorgespanntem Glas (TVG). Als Verbundmaterial kam eine 1,52 mm dicke PVB-Folie zum Einsatz. An stoßgefährdeten Kanten ist das Glas durch ein Edelstahlprofil geschützt. Auf die Außenscheiben (ESG) ist ein Siebdruck aufgebracht, der den gläsernen Baukörper als U-Bahn-Zugang ausweist. Aufgedruckte Streifen sorgen dafür, dass ihn Passanten als Hindernis wahrnehmen.

Die Scheibenbreite beträgt durchgehend 1,25 m. Die Scheibenhöhe variiert aufgrund der Neigung des Geländeniveaus zwischen 3,07 m und 3,50 m. Die Lasteinleitung der Diagonalkräfte in Scheibenebene erfolgt in den Scheibenecken durch Klotzungsbereiche aus Aluminium. Innerhalb eines Klotzungsprofils wird die einwirkende Last in horizontale und vertikale Komponenten konstruktiv aufgeteilt: Vertikalkräfte werden über eine steife Mörtelklotzung, Horizontalkräfte über eine dehnbare Silikonfuge übertragen. Um einen Kontakt zwischen Mörtel und Glas zu vermeiden, wurde zwischen beiden Materialien eine Polytetrafluorethylen-Folie (PTFE) als Trennlage verwendet. Aufgrund des modularen Anschlusses in den Lasteinleitungsbereichen lässt sich jedes VSG-Element schnell montieren bzw. demontieren.

Bautafel

Architekten: Scheffler + Partner Architekten, Frankfurt
Projektbeteiligte: Bollinger und Grohmann, Frankfurt (Tragwerksplanung); Gartner Steel and Glass, Würzburg (Fertigung und Montage Stahl- und Glasbau); Technische Universität Darmstadt - Institut für Werkstoffe und Mechanik im Bauwesen, Darmstadt (Versuchsdurchführung); Planungsbüro Röhrig, Frankfurt (Haustechnik); Kress & Adams, Atelier für Tages- und Kunstlichtplanung, Köln (Lichtplanung)
Bauherr: Stadt Frankfurt vertreten durch die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main
Fertigstellung: 2010
Standort: Willy-Brandt-Platz, 60311 Frankfurt am Main
Bildnachweis: Julia Bergfeld, Frankfurt; Scheffler + Partner, Frankfurt; Bollinger und Grohmann, Frankfurt

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Resttragfähigkeitsversuche

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Absturzsichernde Verglasungen, wie hier an einer Glasbrücke benötigen dann ein ZiE, wenn sie nicht durch ein abP beurteilt werden können.

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Nachweise und Normen

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