Theater in Lappeenranta
Akustische Trennung durch Raum-in-Raum-Prinzip
Auf halber Strecke zwischen Helsinki und Sankt Petersburg liegt die finnische Stadt Lappeenranta, rund 25 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Die 70.000-Einwohner-Stadt am Saimaasee hat sich beim Bau ihres neuen Theaters für die pragmatische Verbindung von Kultur und Kommerz entschieden und es auf dem Dach eines mehrgeschossigen Shoppingcenters platziert. Man kann das als kulturellen Niedergang deuten oder aber als zeitgenössische Form der uralten Idee, dass das Theater seinen Ursprung auf dem Marktplatz hat und dorthin gehört, wo sich das Volk trifft. In das Shoppingcenter von Lappeenranta kommen jährlich Millionen von Menschen; sie können den Einkauf nun mit einem Theaterbesuch verbinden, im Haus in zahlreichen Restaurants essen und im ebenfalls hier untergebrachten Hotel nächtigen.
Nach Plänen von Juho Grönholm, Antti Nousjoki, Janne Teräsvirta und dem Projektleiter Samuli Woolston (ALA Architects, Helsinki) entstanden oberhalb des Shoppingcenters auf einer Fläche von rund 5.300 Quadratmetern zwei Bühnen, ein Probensaal, das Foyer und die zahlreichen notwendigen Nebenflächen eines Theaterbetriebs. Mit einfachen Mitteln schufen die Architekten einen atmosphärischen Gegensatz zu der bunt leuchtenden Konsumwelt, ohne sich rigoros davon zu distanzieren. In klarer und übersichtlicher Anordnung sind entlang dreier Fassaden sämtliche Nebenräume wie Requisite, Kostümverleih und Umkleiden aufgereiht und nehmen die Bühnen in ihre Mitte. Ein U-förmig verlaufender langer Flur dient als Puffer und Erschließung, ein breites Foyer schließt den Kreis. Es wird aus einem Luftraum heraus von den darunter liegenden Einkaufsebenen erreicht – wahlweise über eine weiß lackierte Stahltreppe oder über zwei Aufzüge.
Das Foyer vermittelt zu der hier oben beginnenden inszenierten Theaterwelt durch einen halbtransparenten gewellten Metallvorhang und durch den verwischenden, dämpfenden Effekt von Spiegelfolien, mit denen die Wand- und Deckenflächen ausgeschlagenen sind. Tagsüber bricht sich darin das Tageslicht und bringt die Folie zum Leuchten, am Abend reflektieren die Spiegelflächen die flirrenden bunten Lichter der Einkaufsetagen darunter. Die Theaterräume selbst sind mit einfachen Mitteln technisch optimierte Funktionsmaschinen. Die Bühnenbilder kommen mit einem frachtcontainergroßen Aufzug aus dem Keller direkt in den Backstage-Bereich und können nach der Montage auf eine der beiden Bühnen oder in den Probensaal geschoben werden.
Akustik
Mittels umlaufender baulicher Fugen sind die
beiden Bühnen wie Räume-im-Raum als akustische Einheiten von der
Rahmenkonstruktion des Gebäudes getrennt. Diese zweischalige Bauart
sorgt dafür, dass die Tragkonstruktion keinen Ton von den Bühnen
zum Shoppingcenter und umgekehrt transportiert. Die innere Schicht
der Oberflächen ist schwimmend akustisch getrennt von der
Rahmenkonstruktion des Gebäudes. Hierzu dienen bei den Balken und
Decken Polyurethan-Elastomer-Streifen und bei den Bodenplatten
Steinwolle-Lagen.
Die beiden Bühnen sind auf unterschiedliche Nachhallzeiten hin konzipiert. Die große Hauptbühne hat mit durchschnittlich T20 = 1,1 Sekunden die längere Nachhallzeit und die kleinere Studiobühne mit T20 = 0,8 bis 0,9 Sekunden einen trockeneren Klang. Der Probensaal vermittelt mit einer Nachhallzeit von durchschnittlich 0,9 Sekunden zwischen beiden. Die Bühnenräume sollen mit ihrer Raumakustik grundsätzlich für jede Form von Musik geeignet sein, aber optimiert ist der große Saal für akustische Musik und wörtliche Rede, der kleine Saal hingegen für elektrisch verstärkte Musik. Zudem ist die Raumakustik des Hauptsaales auf der Basis einer dauerhaften Bestuhlung ausgelegt worden. Anders als beim klassischen Proszeniumstheater ist das Auditorium hier allerdings nicht halbrundförmig angeordnet, sondern schließt ohne Vorbühnenbereich direkt an die Bühne an und verläuft in geraden ansteigenden Sitzreihen. Der Bühnenraum selbst ist mit Dreh-, Senk-, Seiten- und Hinterbühne ausgestattet sowie einem mittigen Bühnenturm mit Zügen und Beleuchterbrücken.
Die Wände haben akustisch reflektierende Paneele aus nicht brennbaren MDF-Platten, um ein diffuses Klangbild zu schaffen. Dahinter sind neben der Technik stark schalldämpfende Materialen angebracht, sodass sich durch einfaches Verdrehen der Platten und Vergrößerung der Zwischenräume steuern lässt, in welchem Maße das Material raumakustisch wirksam wird. Entlang der Gänge zu den Sitzreihen sind gekurvte Reflektoren aus Gipskarton mit elastischen Polyurethan-Streifen von der Tragkonstruktion abgehängt und sorgen dafür, dass es durch doppelt gekurvte Reflektor-Oberflächen nirgends zu akustischen Hotspots kommt und alle Sitzpositionen gleich beschallt werden. Oberhalb der Gänge sind die Deckenoberflächen teilweise schalldämpfend ausgebildet oder mit gestaffelten Boxen bestückt, die vereinzelte lange Echos von den Sitzplätzen fernhalten. Die mit Wollfilz bespannten Oberflächen und modulierten Elemente der rückwärtigen Wand sind so konfiguriert, dass sie diffusiv auf lange Wellenlängen wirken und Echos, Verzögerungen und Dröhnen minimalisieren.
Im Gegensatz zur präzise justierten großen Bühne ist die
Studiobühne in Bestuhlung und Gebrauch frei konfigurierbar. Hier
liegt die Betonung auf elektrisch verstärktem Klang. Da hier eine
Platzierung der Klangquelle an jeder Stelle des Raumes möglich sein
soll, kam für die Steuerung der Raumakustik bevorzugt die Decke
infrage. Zusätzlich zu allen ohnehin notwendigen technischen
Installationen sind gleichzeitig schallabsorbierende und diffus
reflektierende perforierte Gipsplatten montiert worden. Die Wände
sind mit mikroperforierten Elementen homogen moduliert, die sowohl
ein Echo verhindern als auch den Nachhall
verkürzen. Wegen der bereits intensiv genutzten Deckenfläche ist
hier das Lüftungssystem in der untersten Reihe der Wandelemente
installiert worden. In der Regel werden in diesem Raum bei
Bühnenperformances zusätzlich absorbierende Vorhänge eingesetzt,
die für einen gezielten ausbalancierten Klang der verstärkten Musik
sorgen.
Bautafel
Architekten: ALA Architects, Helsinki
Projektbeteiligte: Finnmap Consulting, (Tragwerksplanung); Insinööri Studioo (Technische Gebäudeausrüstung); Pöyry Finland (Elektroingenieure); Akukon (Akustikingenieure); Akumek (Bühnenmechanik)
Bauherr: Stadt Lappeenranta
Fertigstellung: Ende 2015, Eröffnung Anfang 2016
Standort: Kaivokatu 5, 53100 Lappeenranta, Finnland
Bildnachweis: Tuomas Uusheimo, Helsinki