Stadtteilbibliothek Bima Microlibrary in Bandung

Fassade aus recycelten Eiscremebehältern

Essen ist in Bibliotheken in aller Regel verboten. Das gilt auch für Eis und vermutlich auch in Indonesien. Dass Bücher trotzdem gut zu der erfrischenden Süßspeise passen, zeigt das deutsch-niederländisch-indonesische Büro SHAU. In Bandung ist eine Stadtteilbibliothek mit einer Fassade aus 2.000 Eisverpackungen entstanden. Die Hauptstadt der Provinz Westjava ist eigentlich bekannt für ihre vielen erhaltenen Gebäude der Kolonialzeit und wird mitunter als „Paris von Java“ bezeichnet. Den prestigeträchtigen Titel „Creative City of Design" bekam die Stadt 2015 durch die UNESCO. Dazu beigetragen hat ihre Vielzahl an Universitäten, die lebendige Kreativszene und nicht zuletzt die ambitionierten Stadterneuerungsprojekte der letzten Jahre. Die Bima Microlibrary passt zu Bandung.

Die Fassade des aufgeständerten, eingeschossigen Baukörpers setzt sich aus 2.000 gebrauchten Eisverpackungen zusammen
Die Bibliothek befindet sich auf einem kleinen Platz, der schon vorher Quartierstreffpunkt mit einer offenen Bühne war
Die Eisverpackungen boten eine günstige Möglichkeit, mit einem lokal verfügbaren Material Luftzirkulation, Sonnenschutz und diffuses Tageslicht zu gewährleisten

Das Gebäude befindet sich nahe des Flughafens an der schmalen Straße Jalan Bima auf einem kleinen, halbkreisförmigen Platz. Östlich der Straße grenzt ein bürgerliches Wohngebiet an, westlich eine gewachsene, kleinteilige Dorfstruktur mit ärmeren Bevölkerungsschichten. Um dem Analphabetismus vor Ort zu begegnen, initiierten die Architekten mit Unterstützung der Hilfsorganisation Dompet Dhuafa die stationäre Bibliothek als Lern- und Begegnungsraum für ein Quartier, in das zuvor nur ein mobiler Bücherwagen kam. Die Institution wird von einem örtlichen Jugendverein betrieben und unter anderem von einer nahen Schule genutzt.

Der kleine Bau hat sich – vielleicht auch wegen seiner experimentellen Fassade bei einer insgesamt reduzierten Form – zu einem Besuchermagnet entwickelt. Der 80 Quadratmeter große Leseraum wird getragen von vier Stahlstützen, die auf einem Betonsockel fußen. Von dort führt seitlich eine einläufige Treppe hinauf. Die Bibliothek bietet Platz für halbhohe Bücherregale, Sitzplätze und eine Liegefläche zum Schmökern auf dem Boden. Die Wand am Treppenaufgang ist als transluzentes Regal ausgebildet. Die Betondecke wurde auf einer gerippten Stahlblechunterkonstruktion als verlorene Schalung vor Ort gegossen. Die Ähnlichkeit zu Le Corbusiers Konstruktionsschema „Maison Dom-Ino" ist augenscheinlich, hier jedoch mit ausgebautem Obergeschoss. Dieses überdacht einen allseitig offenen Bühnenraum an einem Ort, der zuvor als Freilichtbühne diente. Der Platz ist durch einen Zaun neu gefasst. Eine breite Treppe führt auf den Betonsockel mit dem weiteren Aufgang zur Bibliothek.

Fassade

Die gebrauchten Eiscremebehälter aus transluzentem Polykarbonat sind beidseitig an vertikal angeordnete Stahlschwerter geschraubt. Zur Außenseite sind sie leicht nach unten geneigt, was den Regen- und Sonnenschutz begünstigt. Bei einem Teil der Behälter ist der Boden nach außen gewandt, bei den übrigen die Öffnung. Bei diesen wurde der Boden ebenfalls ausgeschnitten, sodass ein Wechselspiel von offenen Modulen, die Durchblick und Luftzirkulation erlauben, und geschlossenen Modulen entsteht. Die Anordnung folgt einem binären Code, den die Architekten entwarfen: Offene Elemente repräsentieren die Null, geschlossene die Eins (Abb. 14). Diesem Schema gemäß versteckt sich eine Nachrichtenschleife in den Fassadenflächen: „Buku adalah Jendela Dunia“ – „Bücher sind Fenster zur Welt.“ Die Botschaft hat der jetzige Bürgermeister und vormals praktizierende Architekt Ridwan Kamil dem Projekt mitgegeben. Zum Schutz vor Schlagregen befinden sich hinter dieser wirkungsvollen Low-Tec-Medienfassade Schiebetüren mit transluzenten Doppelstegplatten.

Ziel der Architekten war es, in der tropischen Zone auch ohne den Einsatz von Klimatechnik angenehme Raumbedingungen zu schaffen. Auf der Suche nach günstigen Fassadenmaterialien, die lokal verfügbar waren und zugleich Sonnenschutz, diffuses Tageslicht und hinreichend Luftzirkulation ermöglichen, sahen die Planer zunächst weiße, gebrauchte Plastikkanister vor. Kurz vor Baubeginn waren diese aber nicht mehr in der notwendigen Stückzahl verfügbar. Die Eisboxen erwiesen sich schließlich als noch besser geeignet und sind zudem positiver besetzt. Die Recyclingfassade macht die Bibliothek zum Designobjekt und fügt sich zugleich in die Logik des Quartiers mit vielen Selbstbauelementen ein. Die Bima Microlibrary in Bandung ist die erste von einer Reihe kleiner Bibliotheken, die das Architekturbüro an verschiedenen Orten in Indonesien umsetzt.

Bautafel

Architekten: SHAU Architecture and Urbanism, Büro Indonesien, Bandung
Projektteam:
Florian Heinzelmann, Daliana Suryawinata, Yogi Ferdinand with Rizki Supratman, Roland Tejo Prayitno, Aditya Kusuma, Octavia Tunggal, Timmy Haryanto, Telesilla Bristogianni, Margaret Jo, Angga Rosiawan, Aistyara Charmita (Architekten); Yogi Pribadi, Pramesti Sudjati (Bauausführung), Nusae Design, Bandung (Signaletik)
Bauherr:
Hilfsorganisation Dompet Dhuafa und Stadt Bandung
Fertigstellung:
2016
Standort:
Jalan Bima No.103, Taman Bima, Bandung, Jawa Barat 40172, Indonesien
Bildnachweis: Sanrok Studio, Bandung

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