Stadthaus in Arnstadt

Sanierung mit Lehm, Schilf, Holz, Kalk und Leinölfarbe

Eine bewegte Geschichte hat das Stadthaus Arnstadt genannte, denkmalgeschützte Gebäudeensemble im historischen Zentrum der gleichnamigen thüringischen Stadt. Es besteht aus einem Fachwerkbau von 1582 und einem Fabrikgebäude von 1903. Vormals unter anderem als Wohnsitz und als Mädchenschule genutzt, diente es über 100 Jahre lang auch als Produktionsstätte der Möller’schen Handschuhfabrik. Nach jahrelangem Leerstand, statischer Ertüchtigung und behutsamer Sanierung nach Plänen der Architektin Jana Bollmann sowie mithilfe von viel handwerklichem Geschick beherbergt der dreigeschossige Komplex heute ein familiäres Hotel sowie Wohn-, Gewerbe- und Veranstaltungsräume.

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Die beiden sehr verschiedenen, schmalen Gebäude sind baulich nicht miteinander verbunden. Beide sind nach Osten zu einem kleinen Platz gegenüber der frühgotischen Oberkirche ausgerichtet. Während das Fachwerkhaus mit Walmdach sich platzseitig mit seiner Längsansicht zeigt, ist der helle, mit Kalk verputzte Mauerwerksbau der Fabrik rechtwinklig dazu gelagert. Durch diese Anordnung der beiden Baukörper zueinander sowie das Entfernen von An- und Einbauten aus dem frühen 20. Jahrhundert wie Treppen, Rampen und Dächer ist rückwärtig im Westen eine geschützte Hofsituation entstanden.

Blickfang des Ensembles ist die zum Platz ausgerichtete Fassade des Fachwerkgebäudes, über dessen hell verputztem Sockelgeschoss sich zwei Stockwerke mit Sichtfachwerk und darüber ein ziegelgedecktes Dach erheben. Zwischen dem rötlich-braunen Holzständerwerk der beiden Obergeschosse sind die Ausfachungen weiß abgesetzt. Weinrot gestrichene Rahmen und Sprossen der aufgearbeiteten Fenster leuchten in grünen Einfassungen. In demselben waldgrünen Farbton ist die Doppelflügeltür gestrichen, die ins Innere leitet.

Gesund Bauen
Möglichst viel historische Substanz zu erhalten, zu restaurieren und durch ökologische Baustoffe zu ergänzen, war das Bestreben bei der umfangreichen Bauaufgabe. So wurde beim Fachwerkhaus beispielsweise das alte Stroh-Lehm-Gemisch aus den Gefachen entnommen, durch Einsumpfen pastos gemacht, anschließend mit frischem Lehm sowie Glasgranulat aufbereitet und wieder in das Weidengeflecht eingebracht. Die Deckschicht der Fassade bildet ein Luftkalkmörtel ohne Zuschlagstoffe. Kalkputze sind diffusionsoffen, feuchtigkeitsregulierend, schadstoffbindend und nicht brennbar. Die hohe Alkalität wirkt zudem Schimmelpilz- und Algenbildung entgegen. Das Holz der Konstruktion schützt eine rostrot pigmentierte, chemiefreie Leinöllasur vor Witterungsschäden. An der Hoffassade, an der sich zuvor die Anbauten befanden, wurde die Konstruktion mit Lehmsteinen ausgefacht und darauf Schilfrohrmatten als Träger für den weißen Kalkputz befestigt.

Um die äußere Ansicht zu bewahren, kam eine Innendämmung der Fachwerkaußenwände zum Einsatz. Die Wahl fiel auf fünf Zentimeter dicke Matten aus dem natürlichen Rohstoff Schilf. Auf der emissionsfreien Dämmung verlaufen als Wandheizung in Lehm eingeputzte Aluverbundrohre. Den inneren Wandabschluss bildet ein zweilagiger Lehmoberputz. Der auf Ton, Sand und Schluff basierende Baustoff hat ein sehr gutes Feuchteverhalten, wirkt schall- und brandhemmend, absorbiert Gerüche und wirkt sich insgesamt positiv auf das Raumklima aus.

Lehm kam auch bei dem ehemaligen Fabrikbau zum Einsatz: Die Innenwände sind mit dem schadstofffreien Material verputzt. Auch hier sorgt eine integrierte Wandheizung (in dem Fall aus Kupferrohren auf Mauerwerk) für behagliche Raumtemperaturen. Die Masse der Wand dient als Speicher und gibt die Wärme gleichmäßig ab. Die Feuchtigkeitsaufnahme bzw. -abgabe des Lehms sowie eine gute Luftverteilung tragen ebenfalls zur wohligen Atmosphäre in den Räumen bei.

Die Fenster des Fachwerkhauses sind ein weiteres Beispiel für die bewahrende Umsetzung bei der Sanierung. Da die vorhandenen, einfach verglasten Fenster in einem guten Zustand waren, musste nur das Holz über- und aufgearbeitet und wo nötig, stellenweise erneuert werden. Um eine bessere Wärmedämmung zu erreichen, montierte man in den Laibungen neue Innenfenster aus Kiefernholz. Zusammen ergeben sie gut dämmende Kastenfenster, die innen und außen mit einer diffusionsoffenen Leinölfarbe in Dunkelrot gestrichen wurden.

Bei Böden und Decken setzten die Bauherren gleichfalls auf Erhalt des Vorhandenen: So wurden Stuck- und Holzkassettendecken freigelegt und die Dielen in den Obergeschossen aufgearbeitet. Im Erdgeschoss wurde ein wiederverwendeter Cottoboden verlegt. Er besteht aus gebranntem Ton, ist robust und kann Wärme speichern und zeitverzögert abgeben. In der Fabrik wurde ein Lehmterrazzo als Bodenbelag eingebaut.

Traditionelle Handwerkskunst und Baumaterialien spielten bei der denkmalgerechten Sanierung eine wichtige Rolle. Ein angenehmes, gesundes Raumklima resultiert beim Stadthaus Arnstadt aus dem Zusammenspiel von historisch orientierter, energetischer und ökologischer Zielsetzung der Bauherren. Für die beispielhafte Sicherung, Restaurierung und Belebung des Gebäudekomplexes wurde der Thüringische Denkmalschutzpreis vergeben. -jb

Bautafel

Architektur: Jana Bollmann, Mötzelbach
Projektbeteiligte: Ingenieurbüro Fronzek und Gutheil, Saalfeld (Statik); Schlegel Holzbau, Kaulsdorf (Zimmererarbeiten); Türen und Fenster, Jörg Mämpel, Plaue (Tischler); Ralf Gleißner, Saalfeld/Saale (restauratorische Malerarbeiten); Mathias Bechstedt, Zella-Mehlis (Kalkputzarbeiten); Peter Multhauf, Ichtershausen (Lehmbau)
Bauherren: privat
Fertigstellung: 2013
Standort: Pfarrhof 1, 99310 Arnstadt
Bildnachweis: Jan Kobel, Arnstadt

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