Restaurierung und Umbau: Kaufhaus Samaritaine in Paris

Das Denkmal und die Welle

Was hat ein Luxuskaufhaus mit einem Pumpwerk gemein? Antwort: den Namen. Der Pont Neuf in Paris, 1607 fertiggestellt, hatte außen an der Westseite einen Pumpturm, der die Brücke um zwei Geschosse überragte und die Tuilerien mit Seine-Wasser versorgte. Das Pumphaus wurde 1813 abgerissen, doch die Erinnerung an ein Wandrelief, das Jesus und die Samariterin zeigte, war geblieben. 1870 hatte der Straßenhändler Ernest Cognacq seinen ersten kleinen Laden direkt nördlich der Brücke eröffnet. Er nannte ihn „La Samaritaine“. Das Geschäft florierte schnell. Cognacq und seine Frau kauften mehr und mehr Ladenflächen auf. La Samaritaine avancierte zum Luxuskaufhaus verteilt über mehrere Gebäude. Bis 1910 entstand ein großer Jugendstilbau von Frantz Jourdain mit Glaskuppel und eiserner Treppenanlage. 1932 – nach dem Tod der Gründer – erhielt das Ensemble seinen südlichen Abschluss zur Seine mit einem Art-déco-Anbau von Henri Sauvage.

Einen Großteil des Kaufhauses nimmt Franz Jourdains Jugendstilbau von 1910 ein.
Der Name leitet sich von einem ehemaligen Pumphaus am Pont Neuf ab.
Jetzt wurde der 1932 von Henri Sauvage geschaffene Art-déco-Anbau im Süden zum Luxushotel umgestaltet.

Jetzt hat das Tokioter Büro SANAA (Sejima And Nishizawa And Associates) zusammen mit mehreren anderen Architekten umfangreiche, über fünfzehn Jahre dauernde Restaurierungs- und Umbaumaßnahmen durchgeführt. Nachdem der Komplex 2005 nach Umsatzeinbußen und wegen Sicherheitsmängeln geschlossen werden musste, hatte SANAA sich 2008 in einem Wettbewerb durchgesetzt. Das Gesamtprojekt konzentrierte sich auf den leicht trapezförmigen Block zwischen Rue de Rivoli und Quai du Louvre im Norden und Süden sowie der Rue de l´Arbre Sec und der Rue de la Monnaie im Westen und Osten. 

Aus drei mach vier: Umbauplanung mit Hürden

Mit vorher insgesamt 70.000, jetzt immer noch 65.000 Quadratmetern Nutzfläche gliederte sich dieser Block ursprünglich in drei Teilbereiche. Daraus sind jetzt jetzt vier geworden: Der südliche Art-déco-Anbau von Henri Sauvage – über Jahrzehnte die Schauseite der  Samaritaine – wurde nun vom Pariser Büro Édouard François, zusammen mit Peter Marino und OAL zum Luxushotel mit 26 Zimmern, 46 Suiten und einem 1.000-Quadratmeter-Apartment umgebaut. Der große Schriftzug zur Seine hin ist weg, sonst ist außen das historische Erscheinungsbild erhalten geblieben.

Ganz anders beim nördlichen Viertel des Blocks, das die schmale Rue Baillet vom Rest der Baumasse trennt: Hier haben SANAA einen Neubau mit Glasfassade in der Rue de Rivoli realisiert, der um einen Lichthof Einzelhandelsflächen in den unteren drei Geschossen und sechs darüberliegenden Büroetagen kombiniert. In diesem Teilbereich sind Reste historischer Wohnbauten an der Rue de l´Arbre Sec erhalten geblieben. Die Glasfassaden im Haussmannschen Paris hatten Proteste hervorgerufen, Denkmalvereine einen zeitweiligen Baustopp erwirkt. 

Weniger Konsum, mehr sozial

Zwischen SANAA-Neubau und Sauvages Art-déco-Bau liegt der größte und älteste Teil der „Samaritaine“: Der 1910 fertiggestellte Jugendstilbau von Frantz Jourdain mit seine langen Fassadenfronten nach Ost und West wurde in zwei Bereiche unterteilt: Der südliche mit großem historischen Lichthof blieb über alle Geschosse hinweg dem Einzelhandel vorbehalten. Im nördlichen dagegen wurden die Landeflächen auf die unteren Ebenen reduziert, während die oberen sechs Geschosse durch Francois Brugel Architectes Associes (FBAA) aus Paris zu Büros, Sozialwohnungen und einer Kinderkrippe um einen neuen, dritten Lichthof herum umgebaut wurden. Eine Fußgängerbrücke mit tragender Stahlkonstruktion und Rundum-Verglasung verbindet SANAA- und Jourdain-Bau.

Auf den Stand von 1932 restauriert
Verantwortlich für sämtliche Restaurierungsarbeiten waren Lagneau Architectes, ebenfalls aus Paris, und zwar sowohl am Jourdain-Bau mit Treppenanlage von Gustave Eiffel als auch an der Fassade des Sauvage-Baus. Beide Bauten stellen herausragende Denkmäler dar, die jedoch im Laufe ihrer Nutzung kontinuierliche Veränderungen erfahren hatten. Bei der Denkmalrestaurierung galt es daher zuerst, eine relevante Zeitschicht festzulegen, auf deren Zustand beide Bauten zurückgeführt werden sollten. Man entschied sich für 1932, als der Sauvage-Bau fertiggestellt, am Jourdain-Bau aber bereits Veränderungen vorgenommen worden waren, wie etwa erste Vereinfachungen der Fassaden. 

Die Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten umfassten unter anderem die Gesamtwiederherstellung der 1.000 Quadratmeter großen Lichtkuppel, jetzt mit elektrochromem Glas, die Aufarbeitung von 600 Metern Eisenbalustraden sowie unzähliger Lampenhalter und Stuckelemente an der Eisenkonstruktion und eines 400 Quadratmeter großen umlaufenden Wandgemäldes unter der Lichtkuppel. Die von Frantz Jourdains Sohn geschaffenen Pfauen- und Pflanzendarstellungen zählen zu den größten Bildwerken des Jugendstils und waren 1985 von einer Weißübermalung der 1960er-Jahre befreit, aber nicht fachgerecht restauriert worden. Ursprünglich nicht hinreichend elektrifiziert, waren die Galerien des Jugendstilbaus mit Glasböden ausgestattet worden, die man später vor allem aus Brandschutzgründen entfernt hatte. Jetzt wurde auf der obersten Ebene eine neue Glasdecke eingebaut, um den ursprünglichen Raumeindruck zumindest teilweise erlebbar zu machen.

Fassade: Moderne Doppelfassade aus Glas neben historischer Jugendstilornamentik
Bei der Restaurierung der Jugendstilfassade des Jourdain-Baus mussten mehr als 40 Quadratmeter an farbigen Paneelen aus glasiertem Lavastein ersetzt werden, die ab den 1930er-Jahren weiß übermalt oder entfernt worden waren. Hinter Werbebannern versteckte Keramikelemente wurden freigelegt und aufgearbeitet. Dekorelemente aus Holz, geschmiedetem Kupfer und Blattgold an den Stützen im Erdgeschoss wurden restauriert und, wo verlorengegangen, ergänzt. Die Befunduntersuchung hatte elf übereinanderliegende Farbschichten ergeben. Gemäß der Fassung von 1932 dominieren jetzt außen ein Graugrünton und innen ein gedecktes Horizontblau wieder die konstruktiven Bauteile. Vorgesehen ist noch die Wiederherstellung der Markisen nach historischem Vorbild.

Gewellte Glashülle

Am nordseitigen SANAA-Neubau an der Rue de Rivoli bildet die unregelmäßig gewellte Glashülle die äußere Schicht einer Dreifachverglasung. Die Wellenglasfassade besteht aus über 340 im Magnetronverfahren bedruckten Paneelen mit einer Größe von 2,70 x 3,50 Metern. Mit einem Gewicht zwischen 600 und 1.250 Kilogramm sind diese Paneele jeweils nur an vier Punkten an schlanken Edelstahlkonsolen aufgehängt. Bei den beiden neuen Lichthöfen entschieden sich SANAA für einen ovalen Glasschirm mit einer durch Zug- und Druckstäbe unterspannten Konstruktion im Neubau und eine flache Lichtkuppel mit einer 18 x 20 Meter großen, seilunterspannten Freiformkonstruktion im Jourdain-Bau.

Bautafel

Architektur: SANAA Sejima And Nishizawa And Associates, Tokio (Konzept und Entwurf Neubau und Jourdain-Bau)
Projektbeteiligte: SRA Architectes, Paris (Bauleitung Neubau und Jourdain-Bau); Peter Marino and OAL, New York / Maison Edouard François, Paris (Entwurf und Inneneinrichtung Hotel); Jean-François Lagneau, Lagneau Architectes, Paris (Denkmalarchitekt); François Brugel Architectes Associés (sozialer Wohnungsbau und Kinderkrippe); Egis, Guyancourt (Projektmanagement); Vinci Construction France, Rueil-Malmaison (Generalunternehmer); Frener & Reifer, Paris (Glasfassaden Neubau); SMB-CCS (Konsortium) (Stahlkonstruktion Neubau); Viry, Remiremont (Lichtkuppel Jourdain-Bau mit elektrochromem Glas), Socra, Périgueux (Restaurierung von Keramik-, Holz-, Zink-, Lavasteinelementen, Mosaiken); AOF, Hautefort (Metallrestaurierung); Atelier Bouvier, Les Angles (Stuckrestaurierung); Yabu Pushelberg / Agence de création Malherbe Paris / Studio Ciguë (Kaufhauseinrichtung)
Bauherr/in: Grands Magasins de La Samaritaine, Paris / LVMH Hotel Management, Paris / DFS, Paris
Fertigstellung: 2021
Standort: 9 Rue de la Monnaie, 75001 Paris, Frankreich
Bildnachweis: Pierre-Olivier Deschamps, Agence VU', Paris / Takashi Homma, Tokio / Cyrille Thomas, Paris / Vladimir Vasilev, Paris / SANAA, Tokio

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