Museumserweiterung Nancy and Rich Kinder Building in Houston

Schichtfassade mit transluzenten Glas-Halbröhren

Houston, das ist nicht nur Raumfahrt. Mit dem Museum of Fine Arts, Houston (MFAH) hat die viertgrößte Stadt der USA seit 1924 auch ein bedeutendes Kunstmuseum mit mehr als 60.000 Objekten. Vereint sind hier neben indigener, afrikanischer und asiatischer Kunst auch Werke von de Goya und Turner, Degas und Cézanne, Matisse und Picasso, Pollock und Warhol oder Moholy-Nagy und Man Ray. Der große, tortenstückartige Museumscampus in zentraler Lage ist schon mehrfach erweitert worden, etwa 1958 von Mies van der Rohe und 2000 durch Rafael Moneo.

Die Fassade besteht aus transluzenten Glas-Halbröhren.
Die Entwurfsidee war, das Gebäude wie einen Glasblock erscheinen zu lassen.
Die kühl wirkende Fassade reduziert auch den Wärmeeintrag.

2015 erhielt Steven Holl den Auftrag für einen Masterplan zur erneuten Erweiterung und Umgestaltung des Campus. Bis 2018 konnte das Büro mit der Glassell School of Art bereits einen ersten Neubau realisieren. Danach folgte, finanziert durch das Mäzenatenpaar Richard und Nancy Kinder, ein zweiter Bau für die internationalen Sammlungen der modernen und zeitgenössischen Kunst des Museums. Das Nancy and Rich Kinder Building befindet sich zwischen der neuen Kunstschule, der Mies-Erweiterung des Museumsaltbaus, einer Kirche von 1924 und einem 1986 eröffneten Skulpturengarten von Isamu Noguchi. Es handelt sich um einen dreigeschossigen Baukörper mit trapezförmiger Grundfläche, Betonwänden und Stahldecken, bei dem an Ost-, Nord- und Westseite je zwei kleine rechteckförmige Einschnitte kleine Höfe und Gärten ergeben, während ein größerer, leicht spitzwinkliger Einschnitt an der Südseite den Haupteingang markiert.


Oberlichter mit Deckensegeln

Eine gekurvte Dachlandschaft könnte zunächst an Scharouns Berliner Philharmonie oder ihr späteres Hamburger Zitat erinnern. Doch in Houston sind die überwiegend konkaven Schwünge mit einem komplexen System flacher Oberlichtbänder gekoppelt, das im Inneren konsequent mit dem Motiv abgehängter Segel in Erscheinung tritt. Im zentralen Atrium werden die weichen Kurven der Deckensegel von weißen Treppenbrüstungen aufgenommen und verbinden sich so zur innenräumlichen Entwurfsmetapher heller, weicher Wolkenformationen. Im Erdgeschoss bieten große Glasflächen Ausblicke auf den Campus und seine Umgebung, während die introvertierteren Galerien sich auf die beiden Obergeschosse verteilen. Die weißen Wände werden kontrastiert durch dunkle Werkstein- und Holzpflasterböden.

Transluzente Fassadenhaut aus Glashalbröhren

Der für ein Kunstmuseum überraschend hohe Tageslichtanteil wird nicht nur über die Oberlichter in die Innenräume geleitet, sondern auch durch die Fassade. Entsprechend der Entwurfsidee eines horizontalen transluzenten Glaskörpers hat der Museumsbau eine vorgehängte hinterlüftete Fassadenkonstruktion – eine zweite Haut, die den Eindruck einer Aneinanderreihung stehender Glasröhren vermittelt. Tatsächlich ist die rund 15.000 Quadratmeter große Fläche jedoch aus über 1.000 halbkreisförmig gebogenen Glaselementen mit identischem Biegeradius, aber fast 500 verschiedenen Längen zusammengesetzt.

Cool Jacket zur Minderung des Wärmeeintrags

In die Halbröhren mit matter, alabasterartiger Textur und einer geätzten äußeren Oberfläche wurden vier transluzente PVB-Folien integriert, um die Lichttransmission entsprechend der Vorstellung der Architekten zu steuern. Das gebogene Glas sorgt so für diffuses Tageslicht vor den Fenstern der Innenfassade und bildet zugleich einen kühlenden Mantel, der die opaken Wandelemente schützt und den solaren Wärmeeintrag ins Gebäude mindert. Die Wärme durch die Sonnenstrahlung wird mit der aufsteigenden Luft zwischen Wand und den oben offenen Halbschalen abgeleitet. Dieses Cool Jacket senkt die Kühllast des Gebäudes um 35 Prozent verglichen mit einer herkömmlichen, den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Fassade.

Montage der Fassaden-Glaselemente

Die Glashaut ist so weit von den Wänden abgerückt, dass ein schmaler Revisionsgang aus Gitterrosten im Zwischenraum Platz findet. Die Unterkonstruktion besteht aus Stahlkonsolen, die im Abstand von rund 2,30 Metern von der Wand auskragen. Die Gläser selbst ruhen auf kleinen Edelstahlplatten, während die seitliche Stabilisierung über vier Aluminiumklammern (je zwei oben und unten) erfolgt, die mit Silikon am Glas verklebt und auf die Auflager aufgeschraubt sind. 

Material- und Formstudien zur Lichttransmission

Angefangen bei ersten Experimenten mit halbierten Acrylstäben waren für diese Fassadenlösung mit der gewünschten Lichtwirkung zahlreiche Material- und Formstudien wie auch Tageslichtsimulationen notwendig. Die Gläser mussten im Schwerkraft-Biegeverfahren hergestellt, ihre Tragfähigkeit in einer Reihe von Tests untersucht werden. An einem Teilbereich der Gebäudewestseite wurden auch durchsichtige Halbröhren montiert, um die Lichtbrechungsphänomene im gebogenen Glas zu veranschaulichen.

Bautafel

Architekten: Steven Holl Architects, New York City
Projektbeteiligte: Steven Holl, Chris McVoy, Olaf Schmidt, Filipe Taboada, Rychiee Espinosa, Yiqing Zhao, Lourenzo Amaro de Oliveira, Garrick Ambrose, Xi Chen, Carolina Cohen Freue, JongSeo Lee, Vahe Markosian, Elise Riley, Christopher Rotman, Yun Shi, Alfonso Simelio, Dimitra Tsachrelia, Yasmin Vobis (Projektteam Architekten); Kendall/Heaton Associates, Houston (assoziierte Architekten); Legends Project Development (LPD), New York/Dallas/Los Angeles (Projektmanagement); Guy Nordenson and Associates (GNA), New York (Bauingenieure); ICOR Associates, Woodbridge (TGA-Planung); Transsolar, New York (Klima-Engineering); L'Observatoire International, New York (Lichtplanung); Venue Cost Consulting, St. Petersburg, Florida (Kostenplaner), knippershelbig; Stuttgart/New York (Fassadenplanung)
Bauherr: Houston Museum of Fine Arts
Fertigstellung: 2020
Standort: 5500 Main Street, Houston, TX 77004, USA
Bildnachweis: Iwan Baan, Amsterdam / New York / Hongkong; Richard Barnes, New York City; Peter Molick, Houston; Steven Holl Architects, New York City

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