Gemeinschaftshaus und Fahrzeughalle im Westonbirt Arboretum

Paraboloide Dachform und Hängewerk aus 140 Jahre alten Kiefern

Die Architekten von Invisible Studio entwarfen das Dach des Gemeinschaftshauses als hyperbolischen Paraboloid
Die südliche Giebelseite springt zurück und bildet mit der Terrasse einen geschützten Außenbereich
Die südliche Giebelwand wurde aus Polycarbonat-Platten erstellt, die für Tageslicht im Inneren sorgen und den Gesamteindruck des Baus auflockern

Ein Arboretum ist eine zu Studienzwecken angelegte Pflanzung unterschiedlicher Baumarten. Eines der wichtigsten und bekanntesten ist das Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Westonbirt Arboretum nahe der Kleinstadt Tetbury in der englischen Grafschaft Gloucestershire. Mit seiner Vielfalt seltener Bäume und Sträucher aus verschiedenen Kontinenten gehört es zu den schönsten weltweit. Auf 27 Kilometern markierter Wege lassen sich über 16.000 Exemplare erkunden, darunter auch 79 sogenannte „Champion trees" – die höchsten, stärksten oder ältesten Bäume einer Gattung.

Um die Pflege und den Unterhalt des Arboretums zu gewährleisten, die Sammlung zu erforschen, die Besucher zu informieren und die hohe Attraktivität der 240 Hektar großen Anlage zu halten, sind regelmäßige Um- und Ausbauten notwendig, die durch die zuständige Forstbehörde veranlasst werden. Zu den jüngsten Erweiterungen gehört ein holzverkleidetes Besucherzentrum aus dem Jahr 2014, demnächst wird ein Baumwipfelpfad folgen, auf dem Naturliebhaber die Bäume aus der Höhe bestaunen können. Gerade fertig gestellt sind eine Maschinen- und Fahrzeughalle sowie ein Gemeinschaftshaus für Mitarbeiter und Helfer. Geplant wurden beide von Invisible Studio, einem von Piers Taylor gegründeten Architekturbüro, das seine Adresse nicht preisgibt.

Die zwei Neubauten liegen entfernt vom Besucherzentrum und dienen in erster Linie funktionalen Zwecken. Vorgabe für die Planer war, die Kosten gering zu halten und möglichst wenige Ressourcen zu verbrauchen. So setzten sie auf einfache Materialien und Bauweisen und realisierten die Häuser mit Hilfe zweier erfahrener Holzrahmenbauer, denen man viele freiwillige Helfer zur Seite stellte. Als Baumaterial wurde das ohnehin bei Pflegearbeiten anfallende Holz aus dem Arboretum verwendet. Die Bäume konnten in der Nähe des Bauplatzes gefällt, zurechtgeschnitten und bearbeitet werden. Darüber hinaus passten die Architekten ihre Entwürfe dem vorhandenen Material an und nicht umgekehrt.

Das Gemeinschaftshaus besitzt einen rechteckigen Grundriss und beherbergt einen großen Aufenthaltsraum mit angeschlossener Küche für die Mitarbeiter und Helfer, außerdem ein WC sowie einen Lager- und Trockenraum für nasse Ausrüstungen. An der südlichen Giebel- und der östlichen Längsseite ist je eine aufgeständerte Terrasse angeschlossen. Das steile Satteldach ist als hyperbolischer Paraboloid ausgebildet. Diese Form wurde nach dem Stand der Wintersonne entwickelt, damit auch in den dunklen Monaten Tageslicht in den dahinter liegenden Hof fällt. Wie die Fassaden und die Terrassen ist es mit horizontal montierten Eichenbrettern bekleidet. Lediglich die südliche Giebelwand besteht aus transluzenten Polycarbonatplatten. Sie springt deutlich zurück und verhindert ein zu monolithisches Erscheinungsbild des Baukörpers. Ein Einschnitt an der Nordwestecke markiert den Eingang. Die schlichten Innenräume sind bis unters Dach offen und vollständig mit Fichtensperrholz ausgekleidet. In Küche und Bad finden sich einfache Kupferarmaturen.

Die Maschinen- und Fahrzeughalle wurde in Holzrahmenbauweise erstellt und hat ebenfalls einen rechteckigen Grundriss. Ein großes Satteldach mit Wellblechdeckung überspannt als Leichtdachkonstruktion den Innenraum, der ohne störende Pfeiler auskommt. Als Fassadenmaterialien wählten die Architekten eine vertikal angebrachte Holzlattung und Polycarbonatplatten für die östliche Giebelseite, wo sie bis auf Traufhöhe verbaut wurden. Einige transluzente Platten sind außerdem in die Dachflächen integriert. Über große Rolltore mit Plexiglaseinsätzen an beiden Längsseiten lässt sich die Halle vollständig nach außen öffnen.

Dach
Beim Dach des Gemeinschaftshauses liegen die Firstpunkte der beiden Giebel unterschiedlich hoch. Die Giebelflächen neigen sich, wie bei einem Walmdach, jeweils leicht nach hinten. Der First fällt von beiden Giebeln aus zur Mitte hin ab und bildet ungefähr im Goldenen Schnitt einen Knickpunkt aus. Die Traufe verschwenkt und liegt am Giebel vor und im Knickpunkt hinter der innenliegenden Rinne. So formt sich die Dachfläche zum hyperbolischen Paraboloid.

Für das Satteldach der Halle verwendete man rund 140 Jahre alte Schwarzkiefern, die zu 20 m langen Balken mit einem Querschnitt von 300 x 425 mm verarbeitet wurden, die man für das einfache Hängewerk einsetzte. Anders als bei traditionellen Hängewerken üblich, wurde hier eine Leichtdachkonstruktion umgesetzt. Sie hat allerdings den Nachteil, dass sie bei Wind und im Zusammenspiel mit den großen Öffnungen in den Seitenwänden starke Sogkräfte verursacht. Zudem barg das frische, nicht abgelagerte Holz das Risiko, dass durch den Trocknungsprozess entstehende Risse die Tragfähigkeit beeinträchtigen können. Aus diesem Grund und wegen der Sogkräfte waren die traditionellen Holzverbindungen, die zunächst vorgesehen waren, nicht möglich. Stattdessen setzte man Verbindungen ein, die eine Mischung aus alten Techniken mit moderner Ingenieurtechnik darstellen, um größere Belastbarkeit und Stabilität zu erlangen.

Dachaufbau Gemeinschaftshaus (von außen nach innen):

  • Holzverkleidung 25 mm, mit Befestigungen aus Stahl an den Dachlatten angebracht
  • EPDM Dichtungsbahnen, die bis in die Dachabläufe fortgeführt sind
  • Dachlatten 50 x 50 mm
  • 11 mm äußere Verkleidung
  • Holzstützen (in der errechneten Stärke), dazwischen 150 mm Dämmung
  • OSB-Verkleidung
  • Installationsebene 25 mm mit Holzlatten 
  • Fichtensperrholzplatten 12 mm
Dachaufbau Maschinenhalle (von außen nach innen):
  • verzinkte Wellblechplatten, die innen mit Betauungsschutz behandelt sind, sowie als Lichtquelle Dachplatten aus Polycarbonat (im gleichen Profil wie die aus Blech)
  • Dachpfetten, Holzträger entsprechend der vom Statiker errechneten Stärke

Bautafel

Architekten: Invisible Studio
Projektbeteiligte: Buro Happold, Bath (Statik); Nick Perchard und James Symon (Holzrahmenbau)
Bauherr: Forestry Commission England / Westonbirt Arboretum, Gloucestershire
Fertigstellung: 2016
Standort: Westonbirt, Tetbury, England
Bildnachweis: Andy Matthews

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