Ferienhaus Wandering Walls in Taiwan

Schwungvolle Betonformation

Im äußersten Süden der Insel Taiwan befindet sich mit dem Nationalpark Kenting ein artenreiches und landschaftlich eindrucksvolles Naturjuwel auf der vom Meer und tropischen Klima beherrschten Hengchun-Halbinsel. Auf einem Berggipfel in Küstennähe fern der touristischen Agglomeration rund um Hengchun, schuf das Büro Xrange Architects aus Taipei ein expressives Ferienhaus. Der Name Wandering Walls nimmt Bezug auf die geschwungene Formgebung: Mit jeder Ebene scheren die massiven Betonwände wellenförmig und versetzt zueinander aus und erzeugen ein scheinbar den Kräften der Natur geschuldetes, organisches Volumen.

Hohe Gräser und Akazienwälder säumen das Ferienhaus.
Form und Einbettung folgen scheinbar den Vorgaben der natürlichen Umgebung.
Der Entwurf sieht ein durchgängig heterogenes Fassadenbild vor.

Den abgelegenen Standort des dreigeschossigen Gebäudes prägen hohe Gräser und Akazienwälder. Stürmische Winde und die salzhaltige Meeresluft hinterlassen eine bewegte, raue und sich ständig verändernde Naturumgebung. Der Weg zu dem neu erschlossenen Gelände führt durch einen Akazienwald, der als Windbarriere eine wichtige Funktion einnimmt. Die besonders empfindlichen und anfälligen Wurzeln der Akazienbäume gaben die Route zum Eingang und die Position des Bauwerks vor.

Spiel mit Offenheit und Massivität

Bis zu drei Geschosse stapeln sich auf der unregelmäßigen Grundfläche, darauf verteilen sich insgesamt acht Gästezimmer mit Bädern. Gemeinschaftlich nutzbare Bereiche befinden sich im Erdgeschoss und auf der nach Norden ausgerichteten Dachterrasse mit Pool. Auf der windzugewandten Seite gibt sich das Bauwerk größtenteils fensterlos und geschlossen, die ondulierten Geschossbänder fügen sich passend übereinander und bilden durchgängige Wandflächen aus. Einzelne Wandpartien und Brüstungen zu den offenen Erschließungswegen beziehungsweise an den Treppen sind aus quadratischen, hohlen Betonziegeln gemauert. Nach Westen öffnet sich das Fassadenbild: Raumhohe Verglasung und weite Schiebetüren, Balkone und Terrassen sowie die unregelmäßig ausschweifenden Wandabschlüsse prägen hier die Ansicht.

Annäherung an die raue Landschaft

Das System aus Bodenplatten und tragenden Wänden erlaubt es, unabhängig von der Grundrissstruktur jeder Ebene, einzelne Außenwände individuell auszubilden. Wie im Wind flatternde Bänder scheren die vertikalen Raumabschlüsse aus der regelmäßigen Struktur teilweise aus, die Ausbuchtungen folgen ihren eigenen Regeln. Im Erdgeschoss etwa treten die zylinderförmigen Wandausbildungen über die Bodenplatte und formen kleine, bepflanzte Innenhöfe. Im Treppenhaus kragen die Wandbereiche der einzelnen Geschosse bis zu 4,50 Meter über der Bodenplatte aus und bilden Schlingen mit unterschiedlichen Radien und versetzten Positionen, ohne sich zu berühren. Dabei entsteht neben einem markanten visuellen Element auch ein Schalltrichter, der das Rascheln der Akazienblätter oder das Rauschen des Meeres verstärkt und die Verzahnung von Natur und Architektur noch deutlicher macht.

Hochtolerantes Schalungssystem

Bereits früh im Entwurfsprozess stand fest, dass der raue Naturkontext ein robustes Konstruktionsmaterial bedingt. Die Wahl fiel nicht nur aus funktionalen und gestalterischen, sondern auch aus pragmatischen Gründen auf Ortbeton. Denn der Mangel an qualifizierten Handwerkern und ausreichend Budget bedingte eine minimalistische Materialpalette: Stahl, Glas, Holz und Fliesen alternieren geringfügig das allgegenwärtige Formenspiel aus Beton.

Für die Schalung wurde ausschließlich recyceltes oder minderwertiges Holz für die unterschiedlich breiten Platten verwendet. Größere Wandbögen sind mit 30 cm breiten Platten geschalt, engere mit 20 cm breiten Platten und sehr enge Bögen mit nur vier cm breiten Stäben. Das kleinteilige Schalungssystem und das morphologische Designkonzept erlaubte es, Ausrichtungsfehler und Ungenauigkeiten bei der Ausführung zu tolerieren. So entstanden laut Xrange Architects innen die grob strukturierten „Lo-Res“-Kurven, die das Gebäude letztendlich charakterisieren. An der windzugewandten Seite sorgte inzwischen der raue Wind für eine allmähliche Glättung der Wandflächen. -sab

Bautafel

Architektur: XRANGE Architects: Grace Cheung, Royce Hong, Emily Lin, Peihsuan Hsu, Jason Chen, Norince Lee, HaoChun Hung, Joey Hsieh, Yourue Wang, Miriam Park, Sonia Pan, Beatrice Cordella, Edgar Navarrete
Projektbeteiligte: XRANGE Architect (Landschaftsarchitektur und Innenarchitektur); Top Technic Engineering Consultants (Tragwerksplanung), Unolai Lighting Design & Associates (Lichtplanung)
Bauherr/in: privat
Standort: Stadtgemeinde Hengchun, Landkreis Pingtung, Taiwan
Fertigstellung: 2020
Bildnachweise: Kuo-Min Lee, Lorenzo Pierucci Studio, Studio Millspace

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Die Beschaffenheit der Schalhaut hat großen Anteil am späteren Aussehen des Betons.

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