Charles House in Melbourne

Vier verschiedene Deckungsarten am Wohnhaus einer Großfamilie

Ein auf mindestens 25 Jahre angelegtes, wechselnden Anforderungen genügendes und wandelbares Zuhause für eine fünfköpfige Familie und die Großeltern – so lautete die Aufgabenstellung für das Charles House in Melbouren. Und deshalb entwarfen Austin Maynard Architects für einen Standort im Stadtteil Kew ein Bauwerk, das sich aus unterschiedlichen Einzelhäuschen zusammenzusetzen scheint und an eine Familie denken lässt. Die Baukörper haben unterschiedliche Formen und Höhen, stehen zumeist dicht beisammen und werden durch das gleiche Fassadenmaterial Schiefer vereint. Der Naturstein verleiht jedem „Häuschen" ein individuelles Antlitz, denn die Deckarten und Formate unterscheiden sich.

Inmitten einer Kulisse, in der ein Nachbar den anderen zu übertrumpfen sucht, liegt das Charles House zurückversetzt (Ostansicht)
Generationenübergreifendes Wohnen, in einen Garten gebettet
Der östliche Baukörper mit den Kinderzimmern im OG rückt vom Mittelteil durch eine Fuge mit Wasserbecken ab; unterschiedliche Schieferdeckungen kennzeichnen die verschiedenen Gebäudeteile

Die Umgebung des fünfgliedrigen und zweigeschossigen Wohnhauses ist von sogenannten „McMansions“ geprägt – historisierende, geschmacklose Neubauten, überladen mit Gauben und Giebeln, Säulen und Erkern, sowie Imitate georgianischer Stadthäuser. Inmitten einer Kulisse also, in der ein Nachbar den anderen zu übertrumpfen sucht, liegt das Charles House zurückversetzt und eingebettet in einen Garten. Es soll weder die Silhouette dominieren, noch sich der Öffentlichkeit verschließen. Sein Bauvolumen erstreckt sich am südlichen Rand des Ost-West ausgerichteten Grundstücks bzw. Baublocks, die Grünfläche verbindet den Straßenraum mit der Rückseite einer Schulsportanlage, sodass ein durchgehender Freiraum als Blickachse entsteht. Die Wohnräume haben direkten Zugang zum Garten und erhalten viel Sonnenlicht.

Durch die Aufgliederung erscheint das Wohnhaus kleiner als es ist. Der westliche und östliche Gebäudeteil sind jeweils ein Stück abgerückt, dazwischen befindet sich ein Wasserbecken bzw. eine Treppe, überbrückt durch einen Steg. Das Erdgeschoss ist besonders flexibel konzipiert, was die Raumnutzung und -größe betrifft. Der große Wohnraum an der Westseite lässt sich zum separaten Apartment umfunktionieren, mit eigenem Bad und barrierefreiem Gartenzugang. Die übrigen Räume zum Arbeiten, Wohnen, Essen und Kochen gehen zumeist offen ineinander über, lassen sich jedoch auch abtrennen. Nur die Waschküche und der Lagerraum sind dauerhaft abgetrennt. Im Obergeschoss verfügen die Eltern über einen eigenen Bereich mit Schlafraum, Ankleide und Bad, zu dem nur eine Brücke über das Wasserbecken führt. Im Mittelteil ist ein großer Gemeinschaftsraum mit Bad und Treppe flexibel mit einem weiteren Schlafraum und einem Arbeitsplatz verbunden. An der Ostseite sind zwei Kinderzimmer gekoppelt; sie verfügen über eine gemeinsame Spielfläche, die über eine Brücke mit dem Gemeinschaftsraum verknüpft ist. Zahlreiche Trennwände auf dieser Ebene sind verschiebbar.

Errichtet als Holzständerkonstruktion mit gut gedämmter Gebäudehülle, zweifach verglasten Fenstern, Solarzellen auf dem Dach und einer Regenwassersammelanlage für die Toiletten und die Gartenbewässerung, ist das Wohnhaus nachhaltig konzipiert. Im Sommer sind die nach Norden gerichteten Fenster vor direktem Sonnenlicht und Überhitzung durch Markisen, Raffstore und Jalousien geschützt, im Winter erzielen sie passive solare Gewinne. So lässt sich die für die Beheizung und Kühlung aufzuwendende Energie erheblich reduzieren. Die Wasserbecken tragen durch Verdunstung zur Absenkung sommerlicher Temperaturen bei.

Schiefer
Obwohl die als McMansions bezeichnete Nachbarschaft überwiegt, gibt es einige Altbauten aus der Zeit um 1900. Deren mit Flechten überzogenen Schieferdächer gefielen den Architekten überaus. Sie entschieden sich daher für das gleiche Material als Dach- und Fassadendeckung und stellten damit einen Bezug her, ohne Vergangenes zu kopieren. Mit der Ausführung der Schieferbekleidung beauftragten sie ein Unternehmen, das für die Instandhaltung und Sanierung bedeutender Denkmäler in Melbourne verantwortlich ist. Die verschiedenen Deckungsarten, die am Charles House zur Anwendung kommen, basieren auf Empfehlungen der Handwerker. 

Durch die unterschiedlichen Fassadenmuster erhält jeder Teil des Hauses gleichsam eine eigene Identität. An einigen Stellen zieht sich die Fassadenbekleidung nach innen, verweist auf Unterschiede und Überlagerungen, an anderen geht sie in Holzbretter über. Verwendet wurde ein spanischer Schiefer, der als besonders farb- und witterungsbeständig gilt. Die Platten sind als Spitzwinkel-, Waben- und Rechteckdeckung verlegt – letztere in zwei Varianten, einmal mit langen, schmalen Ansichtsflächen, einmal in deutlich kürzerem und höheren Format. Die Rechteckdeckungen erzeugen ein ruhiges, horizontales Fassadenbild und stehen im Wechsel mit der lebendigen, schuppenartigen Waben- und Spitzwinkeldeckung, deren Linien wellenartig bzw. diagonal verlaufen. Die blauschwarzen Schieferplatten erscheinen abhängig von Tageslicht und Witterung sehr unterschiedlich, von mattem Dunkelgrau über mittlere bis dunkle Blautöne hin zu hellem Silber und annähernd Weiß. us

Bautafel

Architekt: Austin Maynard Architects, Melbourne
Projektbeteiligte:
Overend Constructions, Healesville; Hive Engineering, Melbourne (Statik); Slate Roof Service Company Melbourne (Schieferdeckung)
Bauherr:
privat
Fertigstellung:
2016
Standort:
Melbourne
Bildnachweis: Peter Bennets, Melbourne

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Schiefer ist ein verwitterungsbeständiges und ideal spaltbares Gestein, dessen vorherrschende Bestandteile Blattsilikate sind (Abb. Wilde Deckung mit Moselschiefer auf einem Wohnhaus)

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Einführung

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Spitzwinkel

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Deckungsarten

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Rechteck-Deckung an einem Geschosswohnungsbau in Kopenhagen

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Rechteck-Deckung an der Fassade

Übertage-Abbau in Galizien

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Schieferarten

Spanischer Schiefer

Fassade mit Spitzwinkel-Deckung

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Deckungsarten

Spitzwinkel-Deckung

Durch die Anbringung der Schiefer mit der gestutzten Ecke nach unten entstehen wabenähnliche Ansichtsflächen

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Deckungsarten

Wabendeckung an der Fassade

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