Wohnhaus in Belgrad

Do-it-yourself-Avantgarde

Wie aus knappen Mitteln und handwerklicher Kompetenz des lokalen Umfelds eine attraktive Wohnform mit avantgardistischen Zügen erwachsen kann, will das serbisch-schweizerische Architekturkollektiv Ten Studio mit dem Wohnhaus Avala House unter Beweis stellen. Gestaltet haben sie den aufgeständerten Bungalow aus Stahl, Glas und Beton am Fuße des Bergs Avala in der Nähe Belgrads für einen Handwerker, der mit eigenem Know-how und wertvollem Wissen um die Ressourcen der Region intensiv in die Bauausführung involviert war.

Der Bungalow aus Stahl, Glas und Beton ragt über das abschüssige Grundstück.
Der Bauherr war mit eigenem Know-how und wertvollem Wissen um die Ressourcen der Region intensiv in die Bauausführung involviert.
Mit dem nördlichen Ende liegt die Konstruktion auf der Hangkuppe auf, die südliche Gebäudeseite wird von zwei keilförmigen Stützelementen getragen.

Die eingeschossige und offenliegende Konstruktion aus schwarz beschichtetem Stahl ist auf einem sanft abfallenden Grundstück in idyllischer ländlicher Umgebung errichtet. Mit dem nördlichen Ende auf der Hangkuppe aufliegend, überragt die südliche Gebäudeseite, getragen von zwei keilförmigen Stützelementen aus Ortbeton, die sattgrünen Obstwiesen des abschüssigen Hangs.

Gerasterter Grundriss

Der Grundriss hat die Form eines quadratischen Rahmens, der sich um einen offenen Innenhof legt. Grundlage des Entwurfs ist ein Gitter, dem ein 3,20-Meter-Raster zugrunde liegt. Der Rahmen hat die Breite und Höhe eines Rasterquadrates und eine Seitenlänge, die jeweils fünf dieser Einheiten entspricht. Verwendet wurden quadratische Stahlprofile mit einer Stärke von 80 mm. So entsteht eine Skelettkonstruktion mit vier von den Architekturschaffenden als Terrassen bezeichneten Plattformen, die sich in luftiger Höhe um eine Grünfläche des abschüssigen Terrains legen. Nur die südliche Plattform – der Wohnraum – verfügt über eine thermisch abschließbare Gebäudehülle. Die rigide Stahlkonstruktion wurde dort mit Wandelementen ausgefacht: zum Tal hin mit Glasscheiben, zum Berg hin mit Edelstahltüren.

Die übrigen drei Plattformen unterscheiden sich durch jeweils eigene Bodenbeläge voneinander. So besteht die dem Wohntrakt gegenüberliegende und erdberührende nördliche Plattform aus Holzelementen und lässt sich als Sonnendeck interpretieren. Erreicht wird der Wohnriegel von hier über die östliche Plattform, die wie der Wohnbereich über Bodenplatten aus Fertigbetonteilen verfügt. Ihr gegenüber ragt der nicht begehbare westliche Arm der Stahlkonstruktion über den Abhang, in dessen Bodenöffnungen Netze eingehängt sind.

Reduktion bei Material und Trennwänden

Wichtig war dem Planungsteam bei der Umsetzung des Gebäudes ein aufrichtiger Umgang mit Material und Bautechnik. So wurden ausschließlich Rohmaterialien aus der Region verwendet. Verkleidungen gibt es keine, Bauteilverbindungen, etwa zwischen dem Stahlrahmen und den Betonstützen, sind sichtbar, konstruktive Elemente, wie die aussteifenden Stahlbänder in den Planquadraten, legen die Statik offen.

Das Wohnhaus besteht aus einem gut fünfzig Quadratmeter großen Raum, in dem Küche, Ess- und Wohnbereich, Bad und Schlafbereich offen nebeneinander angeordnet sind. Einzelne Bereiche, wie der Schlafplatz und die Toilette mit Dusche, lassen sich durch dunkle Vorhänge lediglich visuell abtrennen. Durch die erhöhte Position des Wohnraums geht der Blick von hier in die umgebende Vegetation. Auch in den Stützen aus Ortbeton sind Räume untergebracht: Im Größeren befindet sich ein vom Garten erreichbares Badezimmer, der andere wird als Abstellraum verwendet.

Starke Involvierung der Bauherrschaft

Der Bauherr war als ortskundiger Handwerker stark in den Entwicklungsprozess eingebunden. So konnten etwa die Bauteile aus Stahl in einer nahegelegenen Metallwerkstatt hergestellt werden. Nach Abschluss des Gestaltungsprozesses wurden viele Schritte der Bauausführung erst vor Ort und in Zusammenarbeit mit dem Bauherrn umgesetzt. So wurde sichergestellt, dass dieser ideal über sein eigenes Wohnhaus informiert ist und Reparaturen langfristig selbst vornehmen kann.

In dieser Übersetzung eines nach international gängigen Prinzipien der modernen Architektur erstellten Entwurfes in eine handwerkliche Umsetzung mit lokal verfügbaren Mitteln sehen die Architekturschaffenden Parallelen zur jugoslawischen Moderne. Diese Bewegung habe zu ihren Pionierzeiten einen Transformationsprozess in der Gesellschaft ausgelöst, der auf lokaler Anpassung fortschrittlicher Technologien und Selbstbestimmung in Design und Konstruktion beruhte.

Sonnenschutz: Handgefertigte Fallarmmarkisen

Die Stahltüren auf der nördlichen Wohnraumseite ersetzen Fensterscheiben aus Glas und lassen sich an warmen Tagen nach außen hin öffnen. Lange Stahlaussteller arretieren die Flügel in einem Öffnungswinkel von 90 Grad. Durch die Transformation von opak zu transparent weitet sich der Raum und profitiert von einem Größtmaß an Tageslicht aus allen Richtungen. Auch fungieren die geöffneten Flügel als vertikale Sonnenschutzelemente, die seitlich einfallendes Sonnenlicht vom Eindringen abhalten.

Alle übrigen Fensteröffnungen des Wohnraums verfügen über außenliegende Fallarmmarkisen mit filigranem Gestänge. Passend zur Farbgebung der Stahlkonstruktion ist das Markisentuch in für Sonnenschutztextilien unüblichem Schwarz gehalten. Die Markisen sind perfekt in die Stahlprofile der Konstruktion integrierte Spezialanfertigungen, die sich in das hochwertige Gesamterscheinungsbild des Bauwerks einfügen. Hergestellt und vor Ort an die Architektur angepasst wurden sie von einer nahegelegenen Metallwerkstatt.

Betätigt werden die Fallarmmarkisen elektrisch über eine Fernbedienung einzeln oder in Gruppe. Auf Wunsch können sie die geschosshohen Glaselemente in herabgelassenen Zustand vollständig verdecken. Der Wohnraum kann somit vollkommen blickdicht verschlossen werden. Verschattung bietet auch der Wohnriegel selbst, unter dem sich einladende, vor der Sonne geschützte Aufenthaltszonen, etwa zum Essen, ergeben. -sr

Bautafel

Architektur: TEN, Zürich / Belgrad
Projektbeteiligte: Ganz Landschaftsarchitekten, Zürich (Landschaftsarchitektur); TRI MB Univerzal, Belgrad (Werkzeug und Werkstatt)
Bauherrschaft: privat
Fertigstellung: 2020
Standort: Kragujevački Put 82c, 11000 Belgrad, Serbien
Bildnachweis: Maxime Delvaux, Brüssel; Miloš Martinović, Belgrad

Fachwissen zum Thema

Bei Fallarmmarkisen wird der Behang durch seitliche, um einen Drehpunkt bewegliche Arme geführt.

Bei Fallarmmarkisen wird der Behang durch seitliche, um einen Drehpunkt bewegliche Arme geführt.

Markisen

Fallarmmarkisen

Textiler Sonnenschutz am Astrup Fearnley Museum in Oslo

Textiler Sonnenschutz am Astrup Fearnley Museum in Oslo

Materialien

Textilien und Membranen

Kontakt Redaktion Baunetz Wissen: wissen@baunetz.de
Baunetz Wissen Sonnenschutz sponsored by:
MHZ Hachtel GmbH & Co. KG
Kontakt: 0711 / 9751-0 | info@mhz.de