Wohn- und Bürohaus in London

Papierknittereffekt und raumhohe Glaserker

Shoreditch ist ein Londoner Trendviertel mit Kreativszene im Stadtbezirk Hackney rund drei Kilometer nördlich der Tower Bridge. Früher als heruntergekommenes Viertel mit Drogen, und Bandenkriminalität berüchtigt, setzte vor gut zehn Jahren ein umfassender Wandel ein. Heute ist der weitgehend gentrifizierte Stadtteil ein angesagter Design-, Kunst-, Mode- und Medienstandort. Das im Quartier ansässige Büro Droo, Da Costa Mahindroo Architects hat hier in einem Erhaltungsgebiet in direkter Nachbarschaft eines Hochschulcampus ein viergeschossiges Wohn- und Bürohaus mit an zerknülltes Papier erinnernder Fassade errichtet. Dabei wurde ein dreigeschossiges, viktorianisches Lagerhaus an der Ecke Kingsland Road und Falkirkstreet durch Anbau und Aufstockung einbezogen.

Das Projekt setzt sich zusammen aus einem weißen Neubau und dem Umbau eines viktorianischen Lagerhauses.
Der Neubauteil nimmt Bezug auf die Vorgeschichte des Altbaus als Künstlerbedarfsladen und Papierwerkstatt.
Raumhohe, quaderförmige Glaserker wurden wie Bilderrahmen vor die Wandflächen gestellt.

In direkter Nachbarschaft eines Hochschulcampus gelegen, befand sich im Erdgeschoss des Altbaus mit gelber Backsteinfassade zuletzt ein Geschäft für Künstlerbedarf und Papierbilderrahmen. Im darüberliegenden Geschoss wurden sie in einer Werkstatt hergestellt. Wie die Fassade des Neubaus erinnert auch der Projektname Paintworks Apartments an die Vorgeschichte der Immobilie. Im quaderförmigen Neubau wurden auf 1.550 Quadratmetern Fläche zwei Büros im Erdgeschoss sowie in den darüberliegenden Geschossen insgesamt acht Ein- bis Dreizimmerwohnungen realisiert. Das Grundstück wurde bestmöglich ausgenutzt. Unter- und Erdgeschoss nehmen eine größere Fläche ein als die oberen Etagen, die an der rückwärtigen Südseite zurückgestaffelt sind.

Fassade: Bildhafter Dialog zwischen Alt und Neu

Auf Höhe der Deckenkanten sind thermisch entkoppelte und weiß verblendete Betonkonsolen mit rund 15 Zentimeter Stärke und 50 Zentimeter Tiefe vor die Gebäudekante des Neubauteils gehängt, die gegenüber dem Altbau zurückspringt. Einschließlich der Dachkante mit Attika sind somit vier Horizontalen ausgebildet, die bündig an die Flucht des Bestandsgebäudes anschließen. Außerdem korrespondieren sie mit dessen weißen Fensterstürzen und gliedern die Neubaufassade.

Durch den leichten Rücksprung der Neubaufassade gegenüber dem alten, viktorianischen Lagerhaus ist dem zur Straßenecke hin orientierten Altbau auch weiterhin ausreichend Präsenz eingeräumt worden, wenngleich der Flächenanteil des Neubaus in der Nordansicht zur Falkirk Street deutlich größer ist. Neben den Erhaltungsvorgaben waren im Rahmen des Projekts aber auch zahlreiche weitere Anforderungen wie Sichtachsen, Ausblicke und Privatsphäre der Bewohner und der Nachbarn miteinander in Einklang zu bringen.

Zeichenpapier aus Beton, Leinwände aus Glas

Während das Erdgeschoss eine großflächige Verglasung aufweist, wurden in den Obergeschossen raumhohe „Bay Windows“ (Glaserker) in zwei stehenden Formaten unregelmäßig vor die Fassadenebene gesetzt, sodass die Gliederung der Fassade in Vertikalachsen schwer fällt. Diese reduzierten, kubischen Erker, in denen man auch zum Sitzen Platz hat, sollen an Malerei-Leinwände erinnern, vor die weißen Wandflächen gehängt wurden. Öffnungselemente wurden hier seitlich über schlanke, weiß gestrichene Quadratstahlrohre integriert. Bei den festverglasten Erkern sind die Scheiben ohne Rahmenprofile gegeneinandergestoßen.

Der Papierknittereffekt an den geschlossenen, weißen Wandflächen ist der direkteste Hinweis auf die Vorgeschichte der Paintwork Appartments. Bewerkstelligt wurde er über Paneele aus dem mineralischen Verbundstoff eines französischen Herstellers. Das robuste, wetterresistente und vergleichsweise leichte Kompositmaterial besteht zu 90 Prozent aus mineralischen Zuschlägen sowie aus recyceltem Kunstharz und einem transparenten Fixiermittel. Um eine realistische Textur zu erzielen, wurde die Form von echtem, zerknülltem Papier digitalisiert und auf eine Gussform für die Paneele übertragen.

Bautafel

Architektur: DROO, Da Costa Mahindroo Architects, London / Paris / Melbourne 
Projektbeteiligte: Nofax Enterprises, London (Projektentwickler), Fairhurst Structural Engineers, London / Carnell Warren Associates, Woking (Beratende Ingenieure), Carea Façade, Combrée, Ombrée-d’Anjou (Kompositfassade), Delta Light, Moorsele (Beleuchtung)
Bauherrschaft: Paintworks Property, Maldon
Fertigstellung: 2019
Standort: 99-101 Kingsland Road / Falkirk Street, Shoreditch, Hackney, London; Vereinigtes Königreich
Bildnachweis: Naaro, London

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Vorgehängte hinterlüftete Fassaden (VHF)

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