Wohn- und Atelierhaus in Berlin

Verzerrt spiegelnde Edelstahlpaneele

Wenn aus Kasernen Kreativstandorte werden, dann ist das an sich heute keine Neuheit mehr. Wenn aber am Königlichen Corps-Bekleidungsamt in Berlin-Moabit nach 120 Jahren unerwartet neue Spiegel auftauchen, vielleicht schon: Die Architekten Sauerbruch Hutton haben hier nach einer Bestandsaufstockung für die eigenen Büroräume nun auch ein viergeschossiges Wohn- und Atelierhaus für insgesamt zehn Parteien einer privaten Baugruppe errichtet, das als Haus 6 bezeichnet wird. Mit seiner Kubatur und Dachform vermittelt der kristalline Baukörper zwischen den Nachbargebäuden: einem kubischen Sichtbeton-Neubau (über das Ateliergebäude von Augustin und Frank Architekten haben wir in der Rubrik Beton berichtet, siehe Surftipps) und einem um 1900 entstandenen dreigeschossigen Backsteinbau mit Walmdach. Mit seiner spiegelnden Metallfassade hebt sich Haus 6 zugleich von beiden ab.

Das alte Kaserenegelände hat sich zum Kreativstandort entwickelt. Bauherr von Haus 6, dem Wohn- und Atelierhaus ist eine private Baugruppe mit zehn Parteien
Signet des Neubaus ist seine spiegelnde Edelstahlfassade
Durch gewolltes Wellen und Beulen des Blechs wird die Umbebung verzerrt reflektiert

Moabits Ostteil war seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein ausgedehnter preußischer Militärstandort. Auf dem rechtwinklig angeordneten Areal nördlich des heutigen Hauptbahnhofs befanden sich mehrere Garnisonskasernen, von denen nur noch Reste erhalten sind. Der Exerzierplatz im Zentrum wurde zum „Sportpark Poststadion“, wo in den 1980er Jahren kurzzeitig auch Berlins Fußballclub Hertha BSC spielte. Nördlich davon, auf dem Grundstück Kruppstraße 17-18 / Lehrter Straße 57-58 entstand um 1900 das Corps-Bekleidungsamt mit Werkstätten für Schneider und Schuhmacher, Wohn- und Verwaltungsbauten und einer Handwerker-Kaserne. Vor gut zwanzig Jahren dann haben Handwerker, Designer, Künstler, Architekten und andere Firmen, die schon seit längerem hier ansässig waren, das Areal gemeinsam mit einem Projektentwickler für rund 10 Millionen DM erworben und so den kleinteiligen Gewerbemix vor Ort gesichert. Seither sind weitere Kreative und mehrere Neubauten zum sogenannten Werkhof L57 hinzugekommen.

Das Erdgeschoss des viergeschossigen Wohn- und Atelierhauses liegt 50 Zentimeter unter Geländeniveau, um hinreichend Raum- bei gleichzeitig begrenzter Gebäudehöhe zu gewährleisten. Aus der Fußgängerperspektive von der Kruppstraße aus scheint die unregelmäßig durch stehende Fensterformen gegliederte Fassade in ein einfaches Walmdach überzugehen. Auch die Dachgeschossfenster überwinden die Traufkante, indem sie bodentief in den Kniestock eingeschnitten sind. Tatsächlich handelt es sich um eine Mischform aus Mansard- und Walmdach mit tiefer gezogenem First, in den einzelne Atelierfenster eingebaut sind. Dadurch hat das Dachgeschoss unterschiedliche Raumhöhen von rund drei bis fast fünf Metern.

Stützenfrei eingebaute Spannbetondielendecken und die Platzierung der Leitungsschächte in der Fassadenebene erlauben auf 1.951 Quadratmetern Bruttogeschossfläche flexible Grundrisse. Erschlossen sind die maximal acht Einheiten pro Etage über Laubengänge an der hofseitigen Südfassade, die auch als Balkone dienen und an ein mittig angeordnetes Treppenhaus mit Aufzug angebunden sind. Im ersten und zweiten Obergeschoss sind sie zwei Meter breit, der Dachgeschoss-Gang springt etwas zurück.

Fassade

Das Signet des Hauses ist seine Edelstahlblech-Hülle, die sich komplett über Wände und Dachschrägen zieht. Die vertikal angeordneten Bahnen mit bis zu vier Metern Länge und rund 90 Zentimetern Breite sind fugenlos aneinander gereiht. Durch das hochglänzende Blech mit einer Stärke zwischen 0,5-1 Millimeter, das sich gewollt wellt und beult, werden Umgebungselemente wie Backsteinfassaden, Bäume und Himmel verzerrt reflektiert. Aus der Nähe betrachtet, entstehen dadurch fast psychedelisch anmutende Fließformen. Die Edelstahlelemente sind auf 2,5 Zentimeter hohe, quer eingebaute Trapezbleche mit Tragschienen montiert, die über senkrecht verbaute Wandwinkelhalter mit der Ortbeton-Tragschicht verbunden sind. Dazwischen befindet sich eine 14 Zentimeter dicke, hinterlüftete, mineralische Wärmedämmung.   

Die dunkelgrau gehaltenen Holzfenster sind fast alle bodentief ausgeprägt, Öffnungsflügel mit verzinkten Stahlgittern gesichert. Daraus ergeben sich fast ausschließlich stehende Fensterformate unterschiedlicher Breite. Lediglich im rückwärtigen Bereich der Stirnseiten finden sich zwei liegende Fenster im Kniestock der Dachgeschosswohnungen. Sie nehmen die Dimensionen der Terrassenverglasungen im Erdgeschoss und der großzügigen Übereckverglasungen in den beiden darüberliegenden Geschossen auf, die alle als Schiebefenster ausgebildet sind. Die Balkon-Laubengänge sind in 85 Millimeter Ortbeton auf 60 Millimeter starken Filigrandecken ausgebildet, die im abstand von 1,80 Metern von Stahlkragträgern gehalten werden.

Bautafel

Architekten: Sauerbruch Hutton, Berlin
Projektbeteiligte: Louisa Hutton, Matthias Sauerbruch, Juan Lucas Young, Vera Hartmann, Falco Herrmann, Amelie Hummel, Meta Popp, Karolina Sznajder, Quirin Dilling, Dianer Ding, Serafin Iannaccone, Abigail Yeadon (Projektbeteiligte Architekturbüro), Söllner Architekten, Berlin (Bauleitung), Sinai Gesellschaft von Landschaftsarchitekten, Berlin (Landschaftsarchitektur), Andreas Külich Ingenieurbüro, Berlin (Tragwerksplanung), Planungsbüro Dernbach, Berlin (TGA), Müller-BBM, Berlin (Bauphysik), Hhpberlin Ingenieure, Berlin (Brandschutz), Schmideg, Berlin (Projektsteuerung), Peter Neß Bauklempnerei, Berlin (Fassade und Dach)
Bauherr: private Baugruppe
Fertigstellung: 2017
Standort: Lehrter Straße 57, 10557 Berlin
Bildnachweis: Jan Bitter, Berlin / Sauerbruch Hutton, Berlin

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Materialien

Metalle

Eine der frühesten Vorhangfassaden aus Stahl und Glas ist die Fassade der Fagus-Werke in Alfeld von Walter Gropius. Die Aufnahme von 1913 zeigt das Gebäude kurz nach Fertigstellung der zweiten Bauphase noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs.

Eine der frühesten Vorhangfassaden aus Stahl und Glas ist die Fassade der Fagus-Werke in Alfeld von Walter Gropius. Die Aufnahme von 1913 zeigt das Gebäude kurz nach Fertigstellung der zweiten Bauphase noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs.

Materialien

Stahl, Edelstahl, Cortenstahl

Surftipps

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