Umbau Wohn- und Geschäftshaus Le Filigrane in Tourcoing

Ornamentierte Wandverkleidung aus faserverstärktem Beton

Wer erinnert sich noch an den Spirographen - das Spielzeug, bei dem sich mit Hilfe von kleinen Zahnrädern schwungvoll kreisrunde Ornamente zeichnen ließen? Man könnte meinen, die Architekten Vincent D'Houndt und Bertrand Bajart hätten sich bei der Sanierungsaufgabe des Wohn- und Geschäftshauses Le Filigrane in der französischen Stadt Tourcoing von diesem Spiralzeichner aus Kindertagen inspirieren lassen. Tatsächlich standen Guilloche, Muster aus sich überlappenden kreis- und ellipsenförmige Linien als Sicherheitsmerkmal auf Banknoten, Pate für die gestalterische Erneuerung der Fassade. Denn das dreigeschossige Gebäude ist zur Adresse einer Bankfiliale am Marktplatz im Stadtzentrum geworden und ein Umbau des Bestands wurde gewünscht.

Im Erdgeschoss befindet sich nach dem Umbau eine Bankfiliale, darüber die Büros der Bank und acht Sozialwohnungen
Augenfällig ist die Fassade aus filigran ornamentierten Spezialbetonpaneelen
Guilloche, Muster aus sich überlappenden kreis- und ellipsenförmigen Linien als Sicherheitsmerkmal auf Banknoten, standen Pate für die gestalterische Erneuerung der Fassade

Der trapezförmige Platz der Stadt ist räumlich geschlossen, doch architektonisch überaus heterogen bebaut. Umschlossen wird er hauptsächlich von zwei- und dreigeschossigen Häusern mit verschiedenen stilistischen Ausprägungen und auf unterschiedlichen Parzellengrößen. Im Südosten dominiert die Seitenansicht der neogotischen Kirche Saint Christophe. Das Haus Le Filigrane steht auf einem schmalen, langen Grundstück an der Nordseite des Grande Place und hat bereits mehrfache Umbauten hinter sich. Es musste weitgehend entkernt werden, um den Anforderungen des neuen Nutzungsmixes von Gewerbe und Wohnen, verteilt auf 1.352 Quadratmetern Fläche, gerecht zu werden. Im Erdgeschoss befindet sich nach der Sanierung die Bankfiliale, die die Grundstückstiefe weitestmöglich ausnutzt. Straßenseitig sind im ersten Obergeschoss Büroflächen der Bank untergebracht und im zweiten Obergeschoss sowie im hinteren Gebäudeteil insgesamt acht Sozialwohnungen, davon je zwei Drei- und Zweizimmerwohnungen und vier Einzimmerappartments.

Fassade

Auch die Gebäudehülle wurde an die neuen Erfordernisse angepasst. Den Haupteingang ergänzten die Planer um einen separaten Zugang zum Wohnteil, zudem ließen sie Schaufensterflächen verändern. Ein bogenförmiges, postmodern anmutendes Giebelfeld und das verblechte Scheindach wurden entfernt und stattdessen eine geschlossene Attika hochgezogen. Die jeweils vier Fensteröffnungen im ersten und zweiten Obergeschoss blieben erhalten. Vormals schlicht weiß verputzt, überzieht nun die geometrisch ornamentierte Wandverkleidung aus faserverstärktem Beton die Fassade. Das Muster setzt sich in Länge und Höhe aus je vierzehn quadratischen Elementen mit den Linien der Guilloche zusammen.

Die hellgrauen Paneelen mit je 90 Zentimeter Kantenlänge stoßen mit sehr schmaler Fuge aneinander. Das Ornament haben die Architekten folgendermaßen entwickelt: Es basiert auf einem Spiralmotiv, das in einem regelmäßigen Raster dupliziert wurde. Auf einem Quadrat ist der Ausschnitt eines Viertelkreises, sodass jeweils vier Platten einen ganzen Kreis ergeben und sich theoretisch unendlich oft addieren lassen würden. Ausgespart werden die Schaufenster der Bank im Erdgeschoss und die Fensterflächen der Obergeschosse mit ihren Rahmen aus weiß lackiertem Aluminium. Über die Eingangstür zu den Wohnungen setzt sich das Ornament in Weiß jedoch fort.

Die Elemente sind aus besonders widerstandsfähigem Beton gegossen: einem speziellen Zement-Glasfaser-Verbundwerkstoff, der die Herstellung von Bauteilen mit sehr geringen Schichtdicken erlaubt. Die Grundflächen sind nicht dicker als die plastisch vortretenden Ornamentlinien, sodass die Bekleidung insgesamt nur gut fünf Zentimeter stark ist. Für eine nicht sichtbare Befestigung wurden bereits beim Einfüllen des flüssigen Spezialbetons in die Negativformen Montagegurtbänder eingelegt.

Ohne Dominanzgeste behauptet der sanierte Baukörper sich im heterogenen Umfeld der Grande Place von Tourcoing. Die Hülle lebt durch die Spannung aus Regelhaftigkeit, rhythmischer Wiederholung und dem spielerischen Ornament, das filigran wirkt, weil es nur fingerbreit vorsteht. Während sich die feinen Kurvenlinien im Eingangsbereich des Wohnteils fortsetzen, ist das Innere der Bank von Ecken und Kanten geprägt: Abgeschrägte Tresen, Wandverkleidungen und Teile der Einrichtung wecken Assoziationen zur kubistischen Kunst.

Bautafel

Architekten: D'Houndt+Bajart architectes&associés, Tourcoing / Pierre Leleu
Projektbeteiligte: Rabot Dutilleul, Croix (Bauunternehmer), Betsinor Composites, Courrières (Fassadenelemente)
Bauherr: Halbstaatliches Unternehmen Société d’Économie Mixte (SEM) Ville renouvelée, Tourcoing /  Crédit du Nord
Fertigstellung: 2017
Standort: 8 Grande Place, 59200 Tourcoing, Frankreich
Bildnachweis: Maxime Delvaux, Brüssel / D'Houndt+Bajart, Tourcoing

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