Umbau und Erweiterung eines Büros in Tübingen

Platz und Ruhe inmitten historischer Umgebung

Unweit des historischen Pfleghofs in der Tübinger Altstadt, dessen baulicher Ursprung bis ins 14. Jahrhundert  zurückreicht, steht ein Wohn- und Geschäftshaus, das im Zuge der Stadtrekonstruktion nach dem großen Altstadtbrand 1789 errichtet wurde. Die in das Holz des Eingangstürrahmens eingearbeitete Inschrift „Dannien Roller Architekten und Partner 2020“ verrät, dass sich hinter der spätklassizistischen Fassade des über 230 Jahre alten Hauses neue Architektur verbirgt. Das Architekturbüro um Maren Dannien und Matthias Roller baute die Räumlichkeiten im Erdgeschoss des historischen Gebäudes behutsam zur eigenen Nutzung um und erweiterte diese gartenseitig um einen zeitgemäßen Anbau.

Das Projekt umfasst den Umbau des Erdgeschosses des Altbaus sowie einen eingeschossigen Erweiterungsbau, der sich über einen Teil der Schulbergterrassen winkelförmig erstreckt.
Die historischen Grünanlage Schulbergterrassen wird im Osten von der mittelalterlichen Stadtmauer begrenzt und ist von einem steilen Hang gekennzeichnet.
Mit dem Neubau ist es dem planenden Team gelungen, die Vergangenheit des Ortes aufzugreifen, ohne dabei auf architektonische Eigenständigkeit zu verzichten.

Behutsame Integration
Das Projekt umfasst den Umbau des im Nordosten gelegenen Erdgeschosses des Altbaus sowie einen eingeschossigen Erweiterungsbau, der sich im Südwesten winkelförmig Richtung Mühlstraße erstreckt. Während im Bestand zusätzlicher Platz durch das Absenken von einem Teil des Bodens und dem Einfügen einer Zwischenebene geschaffen wurde, bestand beim Neubau die Herausforderung in der Anbindung und Einbettung.

Aus historischer wie topographischer Perspektive handelt es sich bei dem Umfeld um einen aufgeladenen Kontext. Das Grundstück ist Teil der Schulbergterrassen, einer historischen Grünanlage, die im Osten von der mittelalterlichen Stadtmauer begrenzt wird und von einem steilen Hang gekennzeichnet ist. Bei der Planung mussten sich die Architekturschaffenden mit denkmalpflegerischen Fragen hinsichtlich des Bestands und dem Thema der innerstädischen Verdichtung auseinandersetzen.

Mit dem eingeschossigen Neubau ist es dem Planungsteam gelungen, die Vergangenheit des Ortes aufzugreifen ohne dabei auf architektonische Eigenständigkeit zu verzichten. Das Gebäude schmiegt sich flach an die Topographie des Hanges und verschmilzt nahezu mit seiner begrünten Dachfläche mit den Schulbergterrassen. Die grobe, dezent mehrfarbige Putzoberfläche der Außenwände korrespondiert mit der Struktur der mittelalterlichen Stadtmauer aus Naturstein. Auch die Formensprache des Anbaus greift den Verlauf der Mauer auf. Durch die Erweiterung des bestehenden Gebäudes gliederten die Planenden eine brach liegende Fläche in das Tübinger Stadtgefüge ein. Im Innenraum wird ebenfalls auf das Alter des Bestands Bezug genommen. Dies geschieht beispielsweise durch die Restaurierung der historischen Holztreppe im Empfangsbereich im Bestandsbau, oder durch die Neuinterpretation des Fachwerks aus Holz.

Ausweitung der Innenräume

Der Einangsbereich befindet sich im Bestandsgebäude und wird straßenseitig über eine verglaste Eingangstür in der breiten Fensterfront mit Holzrahmen betreten. Die großflächigen, von geöltem Eichenholz gerahmten Fenster gewähren passierenden Personen Einblicke in den Ladenraum mit neuer Zwischenebene, der neben dem Empfang das Sekretariat des Architekturbüros beherbergt. Im Eingangsbereich werden durch freigelegtes Fachwerk Blickachsen in darüber- und darunterliegende Ebenen ermöglicht.

Über die historische Holztreppe wird die obere Ebene erschlossen, auf der sich Büro- und Besprechungszonen befinden. Eine abwärts führende Treppe dient der Erschließung eines Zwischengeschosses, das als Verbindung zwischen Altbau und Erweiterungsgebäude fungiert. Um diese Verbindung realisieren zu können, wurde im Rahmen der Umbaumaßnahmen die Bodenplatte des Altbaus abgesenkt. Das Mezzanin beherbergt Technik, Sanitärräume und die Küche mit einem markanten leuchtend gelben Tresen, während eine Bibliothek, der Konferenzbereich und Büros im Neubau untergebracht sind. Der Großteil der Arbeitsplätze befindet sich im südwestlichen, neu errichteten Bereich des Gebäudes, der winkelförmig eine Terasse einschließt, auf der bei gutem Wetter im Freien gearbeitet werden kann.

Akustik: Konzentriertes Arbeiten auf offenem Grundriss

Die räumliche Gliederung des Büros spiegelt eine zeitgemäße egalitäre Arbeitskultur in Form einer offenen Bürolandschaft wider. Diese ist in vier Arbeits- und zwei separate Besprechungszonen gegliedert, sodass unterschiedliche Projektteams gebildet werden können, die sich gegenseitig nicht stören. Raumteiler mit mikroperforierten Oberflächen dienen dabei zum einen der Gliederung des Raumes, zum anderen fungieren sie als akustische Maßnahme. Auf diese Weise werden trotz offenem Grundriss Möglichkeiten für konzentriertes Arbeiten geschaffen. Eine weitere Maßnahme hinsichtlich der Raumakustik ist die Oberflächenbeschaffung der massiven Bauteile, die nicht schallhart ausgeführt ist. Rauer Putz und eine offene Verfugung sorgen zudem für eine Verringerung der Nachhallzeit.

Nicht nur die Beschaffenheit der Wände, sondern auch ihr Verlauf trägt maßgeblich dazu bei, wie sich Schall im Raum ausbreitet. Die Wände des Erweiterungsbaus sind schräg zueinander angeordnet, wodurch die Streuung der Schallreflektionen so beeinflusst wird, dass es der Raumakustik zugute kommt. Ähnlich verhält es sich mit der abgehängten Decke, die nicht parallel zum Fußboden verläuft, sondern eine leichte Neigung aufweist. Des Weiteren tragen mit Akten befüllte Einbauregale an den Wänden dazu bei, dass störende Geräusche absorbiert werden. Vor störendem Hall, aber auch vor Blendung und erhöhtem Wärmeeintrag schützen die akustisch wirksamen Vorhänge mit einem Schallabsorbtionsgrad von αw 0,60. Die zarten silbernen Streifen auf hellem halbtransparenten Grund setzen auch gestalterisch einen dezenten Akzent. -np

Bautafel

Architektur: Dannien Roller Architekten + Partner, Tübingen
Projektbeteiligte: Ingenieurbüro Schneck Schaal Braun, Tübingen (Statik und Bauphysik); Dagmar Hedder, Tübingen (Landschaftsarchitektur); Pro Natur, Metzingen (Dachbegrünung); Walddörfer, Tübingen (HLS);  Pfeffer Fensterbau, Starzach (Fenster); Schreinerei Klink, Tübingen (Möbelschreinerei, Türen); Stephan Potengowski, Tübingen (Restauration Treppe); Wörner Eletroanlagen, Bad Urach (Elektro); Hecht, Tübingen (Möblierung); Création Baumann, Langenthal (akustisch wirksame Textilien: halbtransparenter Stoff Reflectacoustik in der Farbe Silber 0123)
Bauherr/in: privat
Fertigstellung: 2020
Standort: Pfleghofstraße 4.1, 72070 Tübingen
Bildnachweis: Dietmar Strauß, Besigheim; Dannien Roller Architekten + Partner, Tübingen

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