Umbau Frohbotschaftskirche in Hamburg-Dulsberg

Betonsole-Speichersystem und Solarthermie sorgen für Wärme

Seit vielen Jahren zwingen schwindende Mitgliederzahlen Kirchengemeinden zum Umdenken bei der Nutzung ihrer Häuser. So auch bei der Frohbotschaftskirche im Hamburger Stadtteil Dulsberg, in der nach einem weitreichenden Umbau nach Plänen von WRS Architekten und Stadtplaner zusätzlich die Kirchengemeinde sowie eine Kita Platz gefunden haben. Der Kirchenraum wurde dabei nach dem Haus-im-Haus-Prinzip umgestaltet. Die Wärme im Innenraum wird durch ein Betonsole-Speichersystem bereitgestellt.

Der Bau war zu seiner Entstehung eine Mischung aus Neoklassizismus und Moderne mit streng gegliederter Backsteinfassade und Satteldach, innen jedoch als moderne Saalkirche in reduzierter Formensprache ausgeführt.
Der Kirchturm und ein neues, vor der Nordfassade angeordnetes Treppengerüst dienen als Fluchtwege.
Auf dem Dach des Seitenschiffs befinden sich die Solarkollektoren für die Beheizung der Innenräume.

Das Gotteshaus wurde von Friedrich Dyrssen und Peter Averhoff von 1935 bis 1937 erbaut, in einer Zeit des politischen wie gesellschaftlichen Umbruchs, der sich auch auf die Architektursprache auswirkte. Ein paar Jahre zuvor war das 1919 gegründete Bauhaus von den Nationalsozialisten zwangsgeschlossen worden. Politisch gewollt erlebten dafür historisierende Baustile wie der Klassizismus eine Renaissance. Dieses schwierige Spannungsfeld zwischen im Keim ersticktem Aufbruch und Rückwärtsgewandtheit ließ sich an der Frohbotschaftskirche gut ablesen. Sie war eine Mischung aus Neoklassizismus und Moderne mit streng gegliederter Backsteinfassade und Satteldach, innen jedoch als moderne Saalkirche in reduzierter Formensprache ausgeführt. Das Traggerüst der Haupthalle besteht aus einem biegesteifen Stahlgerüst, eine damals noch recht junge Baumethode. Im Krieg wurde das Bauwerk schwer beschädigt, 1953 von denselben Architekten jedoch wiederaufgebaut, leicht verändert und mit einer flachen Decke im Innenraum.

Bauwerk mit Identifikationswert

Als man sich aufgrund ausbleibender Gottesdienstbesucher zur Umnutzung des Gebäudes entschied, wies die Frohbotschaftskirche gravierende bauliche Mängel auf, ein Erhalt war eigentlich nicht mehr finanzierbar. Nicht zuletzt der engagierte Einsatz einer Bürgerinitiative führte letztendlich dazu, dass das Gebäude in einem gemeinsamen Kraftakt durch Denkmalschutzbehörde, Stadt Hamburg, der Bund-Länder-Förderung Städtebaulicher Denkmalschutz sowie der Kirchengemeinde und des evangelischen Kirchenkreises Hamburg-Ost gerettet werden konnte. Die Planung hierfür übernahmen WRS Architekten und Stadtplaner aus Hamburg, aus deren Feder zuvor bereits die ausschlaggebende Machbarkeitsstudie stammte.

Ihre Idee: In das bestehende Kirchenschiff werden zwei dreigeschossige, freistehende Baukörper gestellt, die die Räumlichkeiten der Kita sowie der Kirchengemeinde beherbergen – eine Art Haus im Haus oder Raum im Raum, wodurch die historische Gebäudehülle erhalten bleiben konnte. Die beiden durch Brücken verbundenen, neuen Quader werden über ein gemeinsames Treppenhaus mit Aufzug erschlossen. Der Kirchturm und ein neues, vor der Nordfassade angeordnetes Treppengerüst dienen als Fluchtwege. Der Haupteingang befindet sich nun an der Längsseite, am der Kirche vorgelagerten Straßburger Platz.

Behagliche Innenraumatmosphäre

Bei der Gestaltung des Innenraums haben sich die Architekten zunächst vom reduzierten Bestandsvorbild leiten lassen. Zu den überwiegend hellen Oberflächen bilden die kräftig goldgelbe Stirnseiten der Quader einen starken, raumprägenden Akzent. Sie bestehen aus neun Meter langen, horizontal geschichteten Filzstreifen, die durch ihre Materialität eine angenehme Wärme und Behaglichkeit ausstrahlen. Der nicht brennbare Filz wirkt außerdem schallschluckend, wodurch eine gute Raumakustik erzeugt wird. Bei Bedarf lässt sich der Gemeinderaum im Erdgeschoss mit dem Chorbereich durch Öffnen einer großen Faltwand verbinden.

Heizung: Solare Wärme von unten

In Kirchengebäuden ist es wegen des großen Raumvolumens und der üblicherweise nicht vorhandenen Heizung meistens eher kühl. Die neue Nutzung erforderte daher eine zusätzliche Beheizung des Innenraums. Umgesetzt wird das durch ein Betonsole-Speichersystem. Es macht sich die Speicherfähigkeit von Beton zunutze: Wärme, die über einen rund siebzig Quadratmeter großen Solarkollektor auf dem Dach gewonnen wird, wird ohne Umwege in einen insgesamt 8,5 km langen Schlauchkreislauf in der neuen, ohnehin benötigten Bodenplatte bzw. Betonsole des Gebäudes geleitet, die ihrerseits mit einer Perimeterdämmung nach unten gegen das Erdreich gedämmt ist. Der Beton nimmt die Wärme auf und gibt sie zeitversetzt wieder ab. So erreicht das System aus Betonspeicher und Solarthermie, dass im Gebäude trotz eher strengen Hamburger Wetters immer eine angenehme Grundtemperatur von mindestens rund 21 Grad Celsius herrscht – auch bei bedecktem Himmel und im Winter.

Bauteilaktivierung plus

Das Prinzip ähnelt einer Bauteilaktivierung, allerdings wird bei diesem System das Bauteil nicht ausschließlich zur Kühlung oder Beheizung aktiviert, sondern auch zur Speicherung der Wärme. Ein Wasser-Pufferspeicher ist damit nicht mehr nötig. Die Wärme wird dort gespeichert, wo sie gebraucht wird, nämlich direkt unter der zu erwärmenden Fläche. Eine Technik-Regelung und rund achtzig Sensoren im Gebäude sorgen schließlich dafür, dass die durchschnittliche Temperatur in den Innenräumen stets vorhanden ist. Lastspitzen werden durch eine Gastherme abgefangen, die jedoch nur selten benötigt wird. Mit dem System sei es sogar gelungen, die zuvor angenommene Leistung noch um zehn Prozent zu übertreffen. Im ersten Jahr lief die Anlage zudem noch ohne die Gastherme – was problemlos funktionierte. Der Betonsole-Speicher in der Frohbotschaftskirche ersetzt einen Wasser-Speicher mit einem Volumen von 102.000 Liter. Im Vergleich zu einer Beheizung mit Heizöl konnten im ersten Betriebsjahr bereits 9.185 kg CO2 eingespart werden. Die Steuerung ist über das Internet mit dem Hersteller des Betonsole-Speichersystems verbunden, der seinerseits so immer kontrollieren kann, ob alles richtig läuft, und gegebenenfalls nachregulieren kann, ohne dass der Nutzer beeinträchtigt wird. -tg

Bautafel

Architektur: WRS Architekten und Stadtplaner, Hamburg
Projektbeteiligte: Kloock Solar- und Systemtechnik, Seevetal (Solar); Ingenieurbüro Otto und Partner, Hamburg (Heizung, Sanitär, Raumlufttechnik); Büro für Elektrotechnik, Hamburg (Elektro); Ingenieurbüro T.Wackermann, Hamburg (Brandschutz), Luetkens Stark Ingenieure, Hamburg (Statik); Bauplanlung Buhl, Schwerin (Projektsteuerung, Controlling); Hunck + Lorenz Freiraumplanung, Hamburg (Landschaftsarchitektur)
Bauherrschaft: Ev.-luth. Kirchengemeinde Hamburg-Dulsberg
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: Jürgen Schmidt, Köln; Kloock Solar- und Systemtechnik, Seevetal; WRS Architekten und Stadtplaner, Hamburg

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