Testturm für Schnellaufzüge in Rottweil

Welthöchster textilverkleideter Bau

Rottweil, gut eine Autostunde südwestlich von Stuttgart, geht auf eine römische Gründung im Jahr 73 n.Chr. zurück und gilt als älteste Stadt Baden-Württembergs. Jetzt hat die beschauliche Kleinstadt mit historischem Kern noch einen Superlativ mehr. Im Herbst 2017 wurde der 246 Meter hohe Thyssenkrupp Testturm eingeweiht. Er zählt zu den höchsten Gebäuden Deutschlands, ist welthöchster Aufzugs-Testturm und überhaupt das höchste Gebäude mit textiler Fassade. Entwurf und Planung stammen von Werner Sobek gemeinsam mit Helmut Jahn Architekten.  

Der Testturm ist eines der höchsten Gebäude in Deutschland
Zugleich ist der Turm in Rottweil der weltweit höchste Bau mit Textilfassade
Der Testturm dient u.a. der Erprobung und Zertifizietrung von seillosen Expressaufzügen für Hochhäuser

Das Innere des Testturms beherbergt zwölf Aufzugsschächte für unterschiedliche Versuche unter anderem mit Hochgeschwindigkeitsaufzügen, die auf bis zu 18 Meter pro Sekunde beschleunigen können. Das deutsche Forschungs- und Entwicklungszentrum von Thyssenkrupp hat die oberen Etagen bezogen. Sechs Aufzugsschächte enden auf einer Höhe von rund 110 Metern, der Rest auf ca. 230 Metern. Rechnet man die Kellergeschosse hinzu, steht für die Aufzugstests eine maximale Fahrstrecke von rund 260 Metern zur Verfügung. Für Tests und Zertifizierung neuer seilloser Aufzüge sind drei Schächte ausgerüstet. Auf 200 Metern Höhe ist ein Betonpendel eingebaut, das in erster Linie passiv auf Windschwingungen reagiert. Andersherum kann das Pendel den Turm aber auch gezielt in Schwingung versetzen, sodass die Entwicklungsingenieure reale Wind- oder Erdbebenbelastungen simulieren können. Der Turm besteht aus einer insgesamt 276 Meter hohen Stahlbetonröhre, deren untere 30 Meter in den Baugrund eingespannt sind. Im Sockelbereich befindet sich ein kreisförmiger, zweigeschossiger Eingangsbereich, in dem neben der Besucher- und Kundenlobby auch Technik-, Lager- und Sozialräume untergebracht sind.

Der Bau am Standort Rottweil war im Hinblick auf das historische Stadtbild nicht unumstritten. Er befindet sich 1,5 Kilometer nördlich des Altstadtkerns und ist von verschiedenen Standorten aus in der Stadtkulisse sichtbar. Ein Testturm auf dem Thyssenkrupp-Gelände in Neuhausen bei Stuttgart war wegen der Nähe zum Flughafen nicht möglich. Rottweils Stadtpolitik verbindet mit der Standortentscheidung die Hoffnung auf touristische Effekte des Turms, der mit der höchsten öffentlichen Besucherplattform Deutschlands – rund 30 Meter höher als jene des Berliner Fernsehturms – eine weitere Superlative bereithält. Auf 232 Meter gelegen, verfügt sie über einen Außenbereich und bodentiefe Verglasung.

Fassade

Der Turmschaft ist eine Ortbetonkonstruktion, die auf einem Flächenfundament in Gleitbauweise in einem ununterbrochenen, siebenmonatigen Prozess im Schichtbetrieb erstellt wurde. Die äußere Fassade aus weißer PTFE-Membran – einem beschichteten Glasfasergewebe – umhüllt den Betonschaft als semitransparente Konstruktion in einer aufsteigenden Spiralform. Nach oben hin nimmt die Transparenz des Gewebes stufenweise zu und lässt den Schaft zunehmend durchscheinen. Die Membran dieser weltweit größten Textilfassade aus 17.000 Quadratmetern Stoff ist auf sechs gebogene Stahlrohre aufgespannt, die in einer Spitze auf der stadtabgewandten Seite des Turms münden. Somit ragen der mit vertikalen Fensterschlitzen versehene Turmkopf, in dem sich unter anderem ein großer Konferenzraum befindet, und die darüberliegende Besucherplattform aus der Hülle heraus. Die gedrehte Membran ist noch nie in dieser Form gebaut worden. Sie wurde von oben nach unten montiert. Für die Anbringung musste eigens eine Montageplattform erstellt und vom TÜV abgenommen werden.

Neben ihrer gestalterischen Funktion schützt die Membran die Betonkonstruktion vor den ungleichmäßigen Belastungen durch intensive Sonneneinstrahlung und starke Auskühlung. Sie trägt auch zur Reduzierung der Schwankungen des Gebäudes bei, indem sie die Windkräfte zerlegt. Die PTFE-Polymerbeschichtung besitzt einen Selbstreinigungseffekt durch Antihafteigenschaften.

Der Testturm wurde mit dem Industriebaupreis und dem Balthasar Neumann Preis 2018 ausgezeichnet.

Bautafel

Architekten: Werner Sobek, Stuttgart (Entwurf, Objektplanung, Tragwerks- und Fassadenplanung) und Jahn Architekten, Chicago
Projektbeteiligte: Ed. Züblin, Stuttgart (Bauausführung); WSGreenTech­nologies, Stuttgart und Werner Sobek, Stuttgart (Energie-/Nachhaltigkeitskonzept), TechDesign, Frankfurt a. M. (Haustechnik), Breinlinger Ingenieure, Tuttlingen (Prüfingenieure); Taiyo Europe, Sauerlach (Bauausführung Arbeitsbühne und Stahl-/Membranfassade)
Bauherr: Krupp Hoesch Stahl im Auftrag der Thyssenkrupp Elevator
Fertigstellung: 2017
Standort: Berner Feld 60, 78628 Rottweil
Bildnachweis: Thyssenkrupp Elevator, Essen; Werner Sobek, Stuttgart; Rainer Viertlböck, Gauting; Armin Scharf, Tübingen; Detlef Berndt, Zimmern; Stadt Rottweil

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Vorgespannte Kissen aus ETFE-Folie umhüllen die Allianz Arena in München. Architekten: Herzog & de Meuron, Basel

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Materialien

Kunststoffe

Feststehende, mit Keramik bestückte Vertikallamellen am Clay-Museum in Middlefart; Architektur: Kjaer & Richter, Aarhus

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Zusatzelemente

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