Synagoge und Gemeindezentrum in Regensburg

Die stehend vermauerten Ziegel erinnern an Bücher einer Bibliothek

In der Reichspogromnacht von 1938 gab der Regensburger Oberbürgermeister Otto Schottenheim die Anweisung, die brennenden Gebäude der historischen Altstadt zu löschen – nicht aber die Synagoge. Seitdem mahnte die Leerstelle in der Altstadt des Unesco-Kulturerbe an die NS-Zeit. Das jüdische Gemeindezentrum in Regensburg blieb zwar erhalten, doch der eigentliche Sakralbau fehlte fast achtzig Jahre lang. Mit einem Architekturwettbewerb für eine neue Synagoge und die Sanierung des Gemeindezentrums wagte man 2015 einen Neuanfang für die wachsende jüdische Gemeinde von Regensburg. „Wir haben etwas wieder gut zu machen“, schrieb der damalige Oberbürgermeister Joachim Wolberg bei der Grundsteinlegung ins Stammbuch. Staab Architekten aus Berlin haben einen schlichten, aber markanten Bau geschaffen, der den Spagat zwischen Offenheit und notwendigen Sicherheitsvorkehrungen ebenso meistert wie den zwischen Anpassung an den historischen Bestand und zeitgemäßer Formensprache.

Die Bibliothek ist öffentlich zugänglich und lockt mit dem Einblick durch die Verglasung Neugierige an.
Die Fassade aus geschlämmten, hochkant vermauerten Ziegeln prägt die Straßenecke maßgeblich.
In dem kleinen Vorhof befindet sich eine Installation des Künstlers Tom Kristen: Eine vergoldete Bronzespirale zitiert Rose Ausländers Gedicht „Gemeinsam“ in der Handschrift der Dichterin.

Ein Stück Jerusalem in Regensburg

Der Neubau wurde an derselben Stelle wie die niedergebrannte Synagoge errichtet und vervollständigt damit das „Sakrale Dreieck“ aus katholischem Dom im Norden, protestantischer Neupfarrkirche im Westen und jüdischer Synagoge im Süden. Gemeindezentrum und Synagoge sind in einem gestaffelten Baukörper untergebracht, dessen Fassade aus geschlämmten, hochkant vermauerten Ziegeln die Straßenecke maßgeblich prägt. Das Hauptvolumen, das den Andachtsraum beherbergt, erhebt sich über einem quadratischen Grundriss und wird von einer flachen, metallgedeckten Kuppel bekrönt. Ein L-förmiges, dreigeschossiges Volumen schließt das Ensemble nach Norden ab und fasst einen Innenhof. Der Neubau ist mit dem vormaligen Gemeindehaus von 1912 verbunden, das im Rahmen der Bauarbeiten saniert wurde.

Der zurückversetzte Haupteingang liegt an der Ostseite. Raumhohe Verglasungen im Erdgeschoss gewähren den Passanten hier Einblicke in die öffentliche Bibliothek. In dem kleinen Vorhof befindet sich eine Installation des Künstlers Tom Kristen: Eine vergoldete Bronzespirale zitiert Rose Ausländers Gedicht „Gemeinsam“ in der Handschrift der Dichterin. Nach dem Passieren der Zugangskontrolle gelangt man in den Synagogenraum im ersten Obergeschoss. Er wurde als filigrane, hölzerne Raumschale in die massive Steinhülle eingesetzt und leicht zu dieser verdreht, um ihn nach Osten auszurichten.

Ein Bau mit Leuchtkraft

Die Verkleidung und sämtliche Möbel des Synagogenraums sind aus Holz gefertigt. Die Holzlamellen an den Wänden verstecken alle technischen Einrichtungen und ziehen sich bis zur Kuppel, wo sie zum atmosphärischen Lichtfilter werden. Auf dieser Innenschale lagert auch die Kuppel, die aus gekrümmtem Brettsperrholz gefertigt wurde und außen mit einer Metalldecke bekleidet ist. Das Spiel mit dem Licht ist nicht nur innen von Bedeutung, sondern auch im Außenraum. Die metallene Kuppel reflektiert am Tage das Sonnenlicht. Bei Dunkelheit hingegen leuchtet der über das Dach des Massivbaus ragende Synagogenraum wie eine Laterne über die Stadt hinaus.

Fassade: Wie steinerne Bücher

Der Neubau wurde in Massivbauweise aus Stahlbeton mit tragenden Außen- und Innenwänden sowie einzelnen Stützen errichtet. Die Fassade ist eine kerngedämmte Vorsatzschale, die auf auskragenden Streifenfundamenten aufliegt. Die Vollklinker wurden stehend im Halbverband vermauert und passen sich dem Farbkanon der Umgebung an. Die Klinker im Format 36,5 x 11,5 x 4 cm wurden vor dem Brand mit einer hellen Tonschlämme überzogen und besandet. Die unregelmäßige Oberfläche des Klinkers und die Struktur des Mauerwerkverbands ergeben ein lebendiges und je nach Lichteinfall wechselndes Bild, das an Gewebe oder Buchrücken erinnert. Zudem verweist das Material auf traditionelle Bauten in Jerusalem. Der helle Stein, aus dem seit der Zeit von König Herodes die Gebäude in der heiligen Stadt errichtet wurden, nennt sich Meleke.

Da das Überbindemaß des Halbverbands nicht der Mauerwerksnorm entspricht, mussten die Architekten vor der Erstellung eine Zustimmung einholen, bei der auch Ermittlungen mit Hilfe von Probewänden von Nöten waren. Die Außenecken des 11,5 cm starken Sichtmauerwerks wurden aus vertikalen Betonfertigteilen mit eingelegten Riemchen gefertigt. Diese wirken wie Buchstützen als Widerlager gegen die horizontalen Kräfte der stehenden Klinker. Die Horizontalkräfte an den Innenecken und Dehnfugen werden durch vertikale Stahlkonsolen aufgenommen. In die Fassaden sind im Erdgeschoss große Fenster mit breiten Eichenholzrahmen außenbündig eingelassen, die Öffnungen der Obergeschosse hingegen mit tiefen Laibungen ausgeführt. -sh

Bautafel

Architekten: Staab Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: IB Drexler + Baumruck, Straubing (Tragwerksplanung); Dr. Gollwitzer – Dr. Linse, München (Tragwerksplanung Holz Dachschale); Ernst2 Architekten, Stuttgart (Bauleitung); Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin und Wamsler Rohloff Wirzmüller FreiRaumArchitekten, Regensburg (Freiraumplanung); WBP Winkels Behrens Pospich, Münster und Melzl Planung, Pentlin (Haustechnik); ASW Wolf + Partner Architekten, Regensburg (Brandschutz); Arup Deutschland, Berlin (Wärmeschutznachweis und Akustik); Licht Kunst Licht, Bonn (Lichtplanung)
Bauherr: Jüdische Gemeinde Regensburg
Fertigstellung: 2019
Standort: Am Brixener Hof 2, 93047 Regensburg
Bildnachweis: Marcus Ebener, Berlin

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