Stadtbibliothek in Birmingham

Filigranes Metallgitter aus Kreisornamenten

Die Anfänge der englischen Metallindustrie reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Als ihr Zentrum gilt die Stadt Birmingham, die am östlichen Rand des „Black Country“ mit der Industrialisierung einen gewaltigen Boom erlebte. Die Produktion von Waffen, Uhren, Schmuck, Eisenbahnen und Dampfmaschinen ließ die Stadt bis 1850 zur zweitgrößten des Landes wachsen – eine Stellung, die sie mit knapp über einer Million Einwohnern noch heute einnimmt. Gewandelt hat sich Birmingham indessen von der reinen Industriestadt zum Dienstleistungszentrum mit Banken, Verwaltung und dem größten Messegelände Englands. Davon zeugen zahlreiche markante Einzelgebäude ebenso wie die Umstrukturierung ganzer Quartiere. Bis 2031 will die Kommune zu einer der 20 lebenswertesten Städte der Welt werden.

Eine weite Auskragung formuliert den Eingang am Platz
Das Fassadengitter ist auch im Inneren präsent
Den oberen Abschluss der Bibliothek bildet ein goldener Zylinder

Jüngster Baustein der Stadterneuerung ist die Library of Birmingham, die mit erwarteten 10.000 Besuchern am Tag und einer Fläche von rund 35.000 m² die größte Bibliothek Europas sein soll. Am Centenary Square, dem westlichen Ende der Fußgängerzone, ergänzt der vom niederländischen Architekturbüro Mecanoo geplante Neubau das Civic Centre, eine Gruppe großmaßstäblicher Solitäre. Unmittelbar neben der Bibliothek und mit dieser ebenerdig verbunden, liegt das 1971 errichtete Repertory Theatre, das im Zuge der Neubaumaßnahmen renoviert und erweitert wurde. Zusammen mit dem neoklassizistischen Baskerville-House bilden die Baukörper entlang der nördlichen Platzkante einen Dreiklang unterschiedlicher „Palazzi“, von denen die Bibliothek als offener „Palast für das Volk“ wirken soll.

Der 60 Meter hohe Baukörper verändert sich nach jedem zweiten Geschoss in seiner Ausdehnung oder Erscheinung. Das hohe Sockelgeschoss ist vollständig verglast, sodass die beiden darüber auskragenden Ebenen zu schweben scheinen. Die extra weite Auskragung zum Platz nimmt die Flucht der benachbarten Theaterfassade auf und bildet einen einladenden Zugang. Ab dem dritten Geschoss springt der Baukörper an der Ost- und Südseite zurück und wiederholt dies ab der siebten Etage an den gegenüberliegenden Seiten. Den oberen Abschluss der Bibliothek bildet ein goldener Zylinder, der wie eine Schmuckdose den Shakespeare Memorial Room birgt, einen kunstvoll gestalteten Bibliothekssaal aus viktorianischer Zeit, der 1986 in die Musikschule verlagert wurde und nun ein weiteres Mal umzog.

Das glänzende Rund auf dem Dach ist Hinweis auf den runden Luftraum, der die Bibliotheksgeschosse in der Vertikalen verbindet: drei im Grundriss gegeneinander versetzte Kreise, die sich nur partiell überschneiden und über eine von außen kaum sichtbare Dachlaterne Licht bis ins Erdgeschoss fallen lassen. Im Gegensatz zum zentrierten Lesesaal in Gunnar Asplunds Stockholmer Bibliothek beherbergt die Rotunde in Birmingham primär die Erschließung. Rolltreppen und ein gläserner Lift befördern die Besucher auf die einzelnen Ebenen mit Leseplätzen und Ruhebereichen, die weitgehend offen und nur durch drei Kerne und die Radialen halbhoher Regalwände gegliedert sind. An der Peripherie wurden stellenweise Räume für Gruppen, Ausstellungen und Mitarbeiter angeordnet. Entlang der verglasten Fassaden liegen an gebäudelangen Schreibtischen weitere Lese- und Arbeitsplätze.

Die durch die Staffelung des Baukörpers entstandenen Dachflächen sind als geometrisch gestaltete Gärten angelegt, sodass man aus zwei Etagen den Ausblick ins Grüne genießt. Auch der Außenraum vor der Bibliothek erfuhr einen gestaltenden Eingriff: Ein kreisförmiger Ausschnitt deutet darauf hin, dass sich das Gebäude weit unter die Platzfläche schiebt. Der abgesenkte Hof, von den Architekten auch Amphitheater genannt, belichtet im Untergeschoss die Kinder- und Musikbibliothek.

Fassade
Mit Ausnahme des gläsernen Erdgeschosses und der Fronten entlang der Dachterrassen ist der gesamte Baukörper von einem filigranen Gitter überzogen: Kleine silberne Kreisornamente mit einem Durchmesser von 1,80 Meter und große schwarze Kreisornamente mit einem Durchmesser von 5,40 Meter überlagern sich zu einem flirrenden Muster, das aus der Ferne wie ein Metallgewebe wirkt. Die Architekten wollen mit dieser „Ode an den Kreis“ an Birminghams Erbe der Stahlindustrie und des Goldschmiedehandwerks erinnern. Da die raumabschließende Gebäudehülle mit Ausnahme der goldfarbenen Archivgeschosse überwiegend aus Glas besteht, ist das alle Oberflächen zusammenfassende Gitter auch im Inneren sehr präsent. Der Panoramablick in die Stadt wird durch das Muster gefiltert – und bei Sonne zeichnet es einen lebhaften Schattenwurf auf das Interieur.

Die Ringe wurden aus Aluminiumhohlprofilen (80 x 40 x 3 mm bzw. 175 x 75 x 3 mm) segmentweise gefertigt, pulverbeschichtet und im Bereich der Knotenpunkte mittels Konsolschwertern an die Vertikalprofile der Vorhangfassade gehängt. Zusätzliche Stäbe dienen der Windaussteifung. Die dahinter liegende Verglasung ist flächenbündig als Structural Glazing verklebt, Deckenstirnseiten und Attiken sind mit Aluminiumlamellen bekleidet. -pn

Bautafel

Architekten: Mecanoo, Delft
Projektbeteiligte:
Buro Happold, Birmingham/Glasgow (Tragwerksplanung Fassade), Theateradvies, Amsterdam (Theaterberatung), GVA Grimley, Birmingham (Planungsberatung)
Bauherr:
Birmingham City Council
Fertigstellung:
2013
Standort:
Centenary Square/Broad Street, Birmingham
Bildnachweis: Christian Richters, Berlin

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