Skulpturales Eingangselement in Edmonton

Zweischalige Aluminiumhaut aus 1.800 Einzelteilen

Was ist nötig, um einen Raum zu definieren? Ab wann ist ein Objekt ein Gebäude? Wo liegen die Grenzen zwischen Architektur und Kunst – und zwischen Form, Struktur und Raum? Diesen Grundsatzfragen geht das New Yorker Büro Marc Fornes / Theverymany nach und bietet Antworten mit einer Reihe von dünnschaligen, amorphen Pavillons und Installationen – meist in Pastell- oder Signalfarben, mitunter aber auch in Weiß oder Gold gehalten. In Edmonton, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Alberta, hat das Büro am Eingang zum neuen Nordwestcampus des Edmonton Police Service (EPS) ein orangefarbiges Objekt realisiert mit dem Titel: Agent Crystalline. The Art of Speed.

Die orangefarbene Struktur mit dem Titel Agent Crystalline markiert den Eingang zum neuen Nordwestcampus der Polizei.
Das Objekt basiert auf der Geometrie eines Tetraeders und berührt den Boden nur an drei Punkten.
Die Form friert die Dynamik fließender Verkehrsbewegungen vor Ort ein.

Einflüsse aus Natur, Kunst und Geschichte

Skulpturale Pavillons und Installationen entwirft das New Yorker Büro seit gut zehn Jahren für den Außen- und Innenraum. Sie erinnern an mikroskopische Zell- oder Gewebestrukturen, an Wurzeln, Korallenriffe, Kakteen oder Schlingpflanzen. In ihrer räumlichen Aussage scheinen einige davon entfernte Verwandte von Alexander Calders roten Skulpturen in den Stadträumen der 1960er- und 70er-Jahre zu sein.

Doch mit ihren meist komplexeren Geometrien, ihrer größeren Leichtigkeit und ihren glatten Oberflächen offenbaren sie sich eindeutig als Entwürfe einer anderen Zeit und Denkart. Tatsächlich aber sind zumeist Designelemente verschiedener Epochen eingeflossen, darunter auch die „Groovy Seventies“ oder der Jugendstil (siehe unten: Objekte zum Thema). Zephyr, Traumsäulen, Pinienheiligtum, gewölbte Weide oder Harmonie der Meere sind die assoziationsreichen Namen einiger Werke.

Fließendes Tetraeder mit Sog

Das filigrane Element im kanadischen Edmonton legt sich über den Zugangsweg zum EPS-Campus. Es ist achtzehn Meter lang, rund elf Meter breit und fast neun Meter hoch. Basierend auf der Geometrie eines Tetraeders ist es nur an drei Punkten mit dem Erdboden verbunden und ragt mit einem Arm schräg in den Himmel. Es erinnert an eine Faserstruktur oder an eine fließende Masse, die von einer gerichteten Kraft verformt wurde. Dadurch zieht es geradezu die Besucher von außen in sein Inneres.

Dort bietet eine Reihe von Bögen und Öffnungen gerahmte Blicke auf Umfeld und Himmel. Torbogen und Skulptur zugleich, friert das Objekt die Dynamik fließenden Verkehrs mit schnellen Fahrbewegungen, mit Leitlinien und Verwirbelungen an einem konkreten Ort ein. Der Entwurf nimmt damit Bezug auf nahegelegene Schnellstraßen des Vorortgebiets, will aber auch eine gelassene Haltung vermitteln an diesem Respekt und Autorität ausstrahlenden Ort.

Konstruktion und Oberfläche

Das Objekt ist nicht differenzierbar in Konstruktion und Fassade bzw. Primär- und Sekundärstruktur. Vielmehr kennzeichnet der Architekt Marc Fornes es als einheitliches System, bei dem die zweischalige Aluminiumhaut zugleich Oberfläche und Tragwerk ist. Das hohle Gebilde ist vollständig selbsttragend und erhält seine Stabilität nicht durch Materialstärke, sondern durch die Geometrie, bestehend aus doppelt gekurvten Elementen und geschlossenen, röhrenartigen Profilen.

Wie ein 3D-Puzzle setzt sich das Objekt aus individuellen Einzelteilen zusammen. Ohne Hilfsmittel wie Matrizen, Schalungen oder Gerüste lässt es sich nach dem Prinzip der progressiven Fügung von einer Person aufbauen, indem Element an Element montiert wird, bis sich alle zur gesamten Form und Struktur zusammensetzen. Die knapp 1.800 Einzelteile aus drei Millimeter dünnem Aluminium sind nur einige Zentimeter breit und im Durchschnitt 1,50 Meter lang und sind mit Edelstahlnieten zusammengehalten.

Die untere Aluminiumschicht ist in einem durchgängigen Pink-Ton gehalten. Die Elemente der oberen Schicht changieren in sechs Orangeschattierungen und sind – passend zum Konzept eingefrorener Bewegung – eine Hommage an den Blutorange-Farbton von Porsche aus den späten 1960er- und frühen 70er-Jahren.

Das Projekt entstand im Rahmen eines städtischen Programms für Kunst im öffentlichen Raum.

Bautafel

Architekten: Marc Fornes / Theverymany, New York City
Projektbeteiligte: Teeple Architects, Toronto (Architekten Police Campus, Gebäude), PCL Construction Management, Edmonton (Generalunternehmer Police Campus)
Bauherr: City of Edmonton
Fertigstellung: 2019
Standort: Edmonton Police Service Northwest Campus, 18350 127 Street NW, Edmonton, Alberta, Kanada
Bildnachweis: NAARO, London

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