Schlesisches Museum in Katowice

Lichtkörper aus Eisblumenglas über unterirdischen Ausstellungsräumen

Ergiebige Kohle- und Erzlagerstätten haben das oberschlesische Katowice einst zu einem wichtigen Industriezentrum heranwachsen lassen. Als mit dem Strukturwandel das Ende der Schwerindustrie kam, hat die Stadt reagiert und ein weitreichendes Revitalisierungsprogramm ins Leben gerufen. Es umfasst Infrastrukturmaßnahmen genauso wie den Bau neuer Kultureinrichtungen. Eine ist das Schlesische Museum (Muzeum Śląskie). Die geschichtsträchtige Institution, deren Anfänge bis in das Jahr 1924 zurückreichen, war ein zentrales Projekt der damals gegründeten Hauptstadt der „Autonomen Wojwodschaft Schlesien“, als Katowice vom Deutschen Reich abgetrennt und an Polen angegliedert wurde. Der Friede war jedoch nicht von Dauer. Kurz vor Fertigstellung des ersten Museumsgebäudes im Jahr 1939 besetzte die deutsche Wehrmacht die Stadt und zerstörte den Bau als kulturpolitisches Symbol des Polentums. Dann geschah lange Zeit nichts, bis 1984 auf Druck der Bevölkerung die Neugründung des Museums in einem ehemaligen Hotel im Zentrum der Sadt erfolgte.

Durch die lockere Anordnung der Glasboxen auf dem Areal ergeben sich vielfältige Blick- und Wegebeziehungen
Von dem Museum sind lediglich einzelne Glaskörper zu sehen, die sich locker auf dem 2,7 Hektar großen Areal verteilen
Statt das Industrieareal und seine historischen Gebäude mit einem dominanten Neubau abzuschotten, ordneten die Architekten die Ausstellungsfläche unterirdisch an

Nun hat das Schlesische Museum eine neue Heimstatt auf dem ehemaligen Zechengelände gefunden. Geplant wurde es vom Grazer Architekturbüro Riegler Riewe, das den 2007 ausgelobten Wettbewerb gewonnen hatte. Statt das Industrieareal und seine historischen Gebäude mit einem dominanten Neubau zum nahen Stadtzentrum hin abzuschotten, ordneten die Architekten einen Großteil der rund 26.000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche unterirdisch an. Oberirdisch sind lediglich einzelne kleine Glaskörper auf dem 2,7 Hektar großen Museumsareal auszumachen, die sich mit ihren einfachen Formen auf die Plattenbauten der Nachbarschaft beziehen. Sie entstanden alle im südlichen Teil des Geländes, wo nur wenige Zeugnisse der industriellen Vergangenheit vorhanden waren. Neben dem augenfälligen Förderturm Warszwawa II, der um einen Aufzug ergänzt wurde und künftig als Aussichtsturm dient, sind dies einige Backsteingebäude, in die unter anderem ein Restaurant und das Polnische Bühnenbildzentrum einziehen werden.

Mit ihren schimmernden Fassaden wirken die unterschiedlich großen, verschieden genutzten Glasboxen fast wie eine Kunstinstallation. Der größte Quader im Osten beherbergt die Verwaltung, die kleineren im Westen sind lediglich Laternen, die den ausgedehnten unterirdischen Museumsbau mit Tageslicht versorgen. Durch ihre lockere Anordnung auf dem Areal und die Ausweitung eines angrenzenden Parks ergeben sich vielfältige Blick- und Wegebeziehungen zur Stadt.

Die Erschließung der 15 Meter tiefer liegenden Ausstellungsräume ist auf verschiedenen Wegen möglich: Über den südlichen Eingangspavillon geht es auf einer langen Rampe hinab in die Dauerausstellung, der östlich benachbarte bringt die Besucher auf Rolltreppen in die Konferenzräume. Im Norden des Geländes führt der dritte Zugang in den großen Wechselausstellungssaal mit gewaltiger Lichtkassettendecke und rauer Betonwand, in die kleine Fenster asymmetrisch eingeschnitten sind. Rückgrat des Museums ist der lange Flur entlang der Südseite der Ausstellungs- und Tagungsräume, an dem die Technik- und Lagerräume angeordnet sind. Ein wesentliches Element in allen Ausstellungsbereichen ist das Licht. Es sorgt nicht nur für Helligkeit, sondern gliedert auch die teils sehr großen Räume. Die oberirdischen Glasboxen durchdringen an verschiedenen Stellen die Decken – ihr Gegenstück sind kleine Lichthöfe, die von transluzentem Glas umschlossen, die Haustechnik und Brandentlüftung verbergen.

Im Museum zu sehen sind Exponate aus der umfangreichen Sammlung, die unter anderem Gemälde von polnischen und schlesischen Malern des 19. und 20. Jahrhunderts umfasst, aber auch Dokumente der Zeitgeschichte und Alltagskultur Schlesiens.

Glas
Die Pfosten-Riegel-Fassaden der oberirdischen Baukörper sind von einer geschuppten Strukturglashülle umschlossen, die nur schemenhaft und bei Beleuchtung den Blick auf die dahinter liegende Konstruktion freigibt. Diese Transluzenz lässt die Glasquader leicht und fast immateriell erscheinen. Dagegen hätte eine reflektierende Oberfläche ihre Körper zu stark betont. Bei der Herstellung des Glases wurden kleinste Teilchen aus der Oberfläche herausgelöst. Die dabei entstandenen unregelmäßigen Muster erinnern an Eiskristalle, die im Winter einfache Verglasungen überziehen, weshalb das Glas auch unter der Bezeichnung Eisblumenglas bekannt ist. Unterstützt wird dieser Eindruck durch das verwendete Weißglas, das aufgrund des geringen Eisenoxidanteils nicht den glastypischen Grünstich aufweist.

Die Anbringung der einzelnen Scheiben an der Tragkonstruktion erfolgte mittels Klemmhaltern, die speziell für die einfache Montage von überschuppten Glasfassaden entwickelt wurden und keinerlei Bohrungen oder sonstige Bearbeitungen des Glases erforderlich machen. Das Ergebnis ist eine von der Unterkonstruktion gelöste, rahmenlose Ganzglashülle, die für eine Hinterlüftung der Fassade sorgt, gleichzeitig aber vor Witterungseinflüssen wie beispielsweise Schlagregen schützt.

Bautafel

Architekten: Riegler Riewe Architekten, Graz
Projektbeteiligte: Budimex S.A. (Generalunternehmer); Firma Inżynierska Statyk, Katowice (Tragwerksplanung); Mapie; Metaldomus sp. z.o.o. und Knauf, Rehau (Dach); Glas Marte, Bregenz und Längle Glas, Götzis (Glasfassade)
Bauherr: Muzeum Śląskie Katowice
Fertigstellung: 2013
Standort: ul. Tadeusza Dobrowolskiego 1, Katowice, Polen
Bildnachweis: Wojciech Krynski, Warschau und Paolo Rosselli, Mailand

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