Schlaues Haus Oldenburg

Brandschutz mit Hochdruck-Wassernebel-Löschanlage im Gasdruck-Antrieb

Hinter der beschaulichen Bürgerhausfassade aus dem 16. Jahrhundert würde niemand eines der derzeit ehrgeizigsten Projekte der niedersächsischen Universitätsstadt vermuten. Nicht nur soll das Schlaue Haus ein Ort des Dialogs zwischen Wissenschaft und Bürgern werden, der gleichzeitig die Wahrnehmung Oldenburgs als Forschungs- und Studienstandort fördert und die Weiterentwicklung der Metropolregion Bremen/Oldenburg vorantreibt. Auch das Gebäude selbst soll als gelungenes Anschauungsobjekt zu den Themenschwerpunkten „Energie & Klima" dienen.

Die „Rückseite“ zum Schlossgarten hin mit dem gläseren Erweiterungsbau zwischen den Nachbargebäuden mit roter Eternit- und Sichtbetonfassade
Die gefaltete Glasfassade des Erweiterungsbaus
Einer der Vortragsräume hinter der vorgewölbten Glasfassade

Für Umbau und Erweiterung des Baudenkmals zum Modellprojekt beauftragten die Betreiber, die sich aus Universität Oldenburg und Jade Hochschule zusammenschlossen, die Stuttgarter Behnisch Architekten. Das Bürgerhaus ist das älteste Gebäude der Stadt und liegt am Schlossplatz zwischen dem Oldenburger Schloss im Norden und dem Schlossgarten im Süden. Neben Räumen für Vorträge, Filmvorführungen und wechselnde Ausstellungen soll das Schlaue Haus auch eine Touristeninformation sowie einen speziellen Ausstellungsbereich zum allgegenwärtigen Leitthema „Energie & Klima" beherbergen.

Um genügend Raum für diese Nutzungen zu schaffen, ergänzten die Architekten den Altbau durch einen rückwärtigen Anbau in Richtung Schlossgarten, um so die gesamte Fläche des 10 x 35 Meter kleinen Altstadtgrundstücks auszunutzen. Der neue Gebäudeteil greift die Proportionen des Bürgerhauses auf, setzt sich jedoch durch seine Materialität und Formgebung deutlich davon ab. Die neue Glasfassade fügt sich in die Straßenflucht der Nachbargebäude aus neuerer Zeit ein, ist jedoch mehrfach gefaltet, wodurch sie sich vorwölbt und so zusätzlichen Raum in den Obergeschossen schafft. Die gefaltete Außenhülle geht in eine verglaste Dachschräge über und hebt so die Trennung von Wand und Dach auf.

Die äußere Formgebung des Neubaus spiegelt die Organisation der Innenräume wider. Im Kontrast zu den niedrigen Räumen mit kleinen Öffnungen im Altbau sollte der Anbau für mehr Großzügigkeit und vor allem für eine möglichst gute natürliche Belichtung des tiefen Gebäudegrundrisses sorgen. Dies erreicht neben der vollverglasten Fassade ein Oberlichtband entlang der einen Gebäudeseite und über die gesamte Länge des Erweiterungsbaus. Darüber fällt Tageslicht in einen Luftraum, der sich über alle oberirdischen Geschosse erstreckt. Dieser Lichtspalt zeichnet sich in der Fassade ab, so wie das Oberlichtband in der Dachform. Großzügig wirken auch die größeren Deckenhöhen und ein sich daraus ergebender weiterer Luftraum an der Schnittstelle von Alt- und Neubau.

Das Energiekonzept bedient sich zum einen passiver Maßnahmen wie einer natürlichen Belüftung über den durchgehenden Luftraum und Lüftungsklappen im Oberlichtband. Zum anderen kommt moderne Technologie in Form einer in die Gebäudehülle integrierten Photovoltaikanlage zum Einsatz. Zusätzlich nutzt eine Geothermieanlage mit reversibler Wärmepumpe lokale Ressourcen und deckt den gesamten Wärmebedarf für Heizung und Lüftung. Mithilfe von Computersimulationen wurde die Neigung der Glasfassade optimiert, sodass sich eine bestmögliche Bilanz zwischen sommerlichem Wärmeschutz und winterlichem Wärmeeintrag ergibt. Da aus Gründen des Denkmalschutzes das Dach des Bürgerhauses nicht zur Stromerzeugung genutzt werden konnte, verfehlt das Projekt knapp den Standard des Nullenergiegebäudes.

Brandschutz
Für das Brandschutzkonzept stellte der alle Geschosse übergreifende Luftraum und der Raumverbund über beide Gebäudeteile eine Herausforderung dar. Die Brandweiterleitung von Geschoss zu Geschoss sowie das Eindringen von Rauch verhindert ein sogenanntes Verfahren zur Brandkontrolle mithilfe von Düsen in den an den Luftraum angrenzenden feuerbeständigen Geschossdecken. Sie versprühen im Brandfall einen Hochdruck-Wassernebel nach oben, welcher den Brand eingrenzt. Der Nebel erzeugt gleichzeitig einen vertikalen Luftstrom, der den Abzug von Rauchgasen unterstützt. Die Gase werden über automatische Öffnungen im Oberlicht ins Freie transportiert. Dies sorgt gleichzeitig für ein Nachströmen von Frischluft in die Rettungswege über Öffnungen in den Giebelfassaden. Aufgrund des innen liegenden, druckbelüfteten Treppenraums (siehe RDA) konnte auf den geforderten zweiten baulichen Rettungsweg verzichtet werden. Und die gesamte Giebelfläche kann für die Belichtung der Innenräume genutzt werden. Eine flächendeckende Rauchmeldeanlage sorgt für die frühzeitige Erkennung einer Brandentwicklung und aktiviert im Notfall eine Hochdruck-Wassernebel-Löschanlage mit Gasdruck-Antrieb.

Um die Wirksamkeit des neuartigen Verfahrens nachzuweisen, für das derzeit noch keine Prüfnorm existiert, wurden Realbrandversuche im Rohbau durchgeführt. Dazu wurden künstlich Feuer und Rauch erzeugt und so verschiedene, möglichst ungünstige Brandszenarien nachgestellt, die zuvor mit der Genehmigungsbehörde und der Feuerwehr abzustimmen waren. Die Versuche konnten zeigen, dass alle brandschutztechnischen Schutzziele erreicht werden. -sm

Bautafel

Architekt: Behnisch Architekten, Stuttgart
Projektbeteiligte: Architekten Simon - Exner - Kersten, Oldenburg (Objektüberwachung); Transsolar Energietechnik, Stuttgart (Klimakonzept); TPG, Berlin (Brandschutz); IB Bröggelhoff mit Oltmanns & Partner, Oldenburg (Tragwerksplanung); Ingenieurbüro Ahrens, Oldenburg (HLS); Ingenieurbüro von Kiedrowski, Oldenburg (Elektro); Schmitz + Beilke Ingenieure, Oldenburg (Geologie); Höfker Nocke Bückle, Backnang (Bauphysik); Akustikbüro Oldenburg (Akustik)
Bauherr: Schlaues Haus Oldenburg
Standort: Schlossplatz 16, 26122 Oldenburg
Fertigstellung: 2012
Bildnachweis: Behnisch Architekten, Stuttgart; Fotos: Meike Hansen, Hamburg

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Fachwissen zum Thema

Betondecken, wie z.B. in der Zollverein School of Management and Design in Essen, sind horizontale, raumabschließende Bauteile, die im Brandfall ausreichend lange standsicher sein müssen.

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Baustoffe/​Bauteile

Decken

Rettungswege im strengen Sinn sind Zugänge und Wege für Einsatzkräfte wie der Feuerwehr, über die die Bergung (= Fremdrettung) von z.B. verletzten Personen und Tieren sowie die Brandbekämpfung (Löscharbeiten) möglich sind (siehe § 14 MBO).

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Flucht-/​Rettungswege

Definition Flucht- und Rettungswege

Rauchfreihaltung von Treppenräumen (RDA)

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Notwendige Treppen und notwendige Treppenräume bilden zusammen das System der vertikalen Flucht- und Rettungswege.

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Treppen und Treppenräume

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