Sanierung und Erweiterung Schloss Grimma

Filigrane Ganzglaskonstruktionen in historischem Gemäuer

In den vergangenen Jahren haben Überflutungen durch Hochwasser verheerende Schäden in Mitteleuropa angerichtet. Schwer davon betroffen war unter anderem die sächsische Stadt Grimma. Sie liegt am Ufer der Mulde, einem eigentlich beschaulichen Nebenfluss der Elbe, der im Jahr 2002 mehrere hundert Häuser zerstörte oder beschädigte. Davon betroffen war auch das Schloss Grimma, dessen Ursprünge bis in das frühe 13. Jahrhundert zurückreichen. Nahe der Pöppelmannbrücke im Norden der Innenstadt gelegen, überflutete das Hochwasser den Keller und das Erdgeschoss des denkmalgeschützten Profanbaus. Die erforderlichen Baumaßnahmen zur Behebung der Schäden begannen 2003 und dauerten zehn Jahre; geplant wurden sie vom Architektur- und Ingenieurbüro Bauconzept aus dem sächsischen Lichtenstein. Neben der Sanierung gestalteten sie die Außenräume neu und ergänzten die Schlossanlage um drei Glasanbauten.

Schlosshof mit Glasgang, neuem Eingang sowie Treppen- und Aufzugsturm
In dem 16 Meter hohen Glasturm am nördlichen Kornhaus befindet sich eine Treppe und ein Aufzug
Der gläserne Verbindungsgang zwischen Kornhaus und Schloss

Der gesamte Gebäudekomplex besteht aus mehreren Baukörpern: Auf der Flussseite steht der Ostflügel, das sogenannte Schloss, gegenüber das Kornhaus, das zusammen mit der Turmruine und dem Kornhausanbau den westlichen Trakt bildet. Schildmauern verbinden die beiden Flügel und begrenzen den Schlosshof nach Norden und Süden. Im Zuge der Sanierungsmaßnahmen zogen das Amtsgericht Grimma und der Staatsanwaltschaft Leipzig in die Schlossanlage ein. Sie beherbergt heute u.a. 65 Büros, drei Sitzungssäle, drei Archive, zwei Asservatenkammern, mehrere Vorführräume, eine Zahlstelle und eine Bibliothek.

Ziel der Architekten war es, die wertvolle historische Bausubstanz so weit wie möglich zu erhalten und die ergänzenden Neubauten deutlich als solche erkennbar zu machen. Mit Bedacht fügten sie drei filigrane Ganzglaskonstruktionen in das historische Gesamtensemble ein. Sie dienen als Foyer, Treppenturm und Verbindungsgang.

Glas
Die Neubauten sollten Durchblicke nicht nur auf die Schlossfassaden, sondern auch auf das darunter liegende Tragwerk ermöglichen, weshalb die Planer sie gänzlich aus Glas konzipierten. Zentrales Element ist das neue Foyer, das mit einem Glasdach und unterspannten Glasträgern ausgebildet ist. Der gläserne Trägerrost, der den Raum stützenfrei überspannt, ist aus einem quadratischen Raster entwickelt. Er setzt sich aus 7,00 Meter langen Hauptträgern zusammen, in welche in einem Abstand von 1,40 Meter die Nebenträger angeschlossen sind. Alle Glasträger bestehen aus einem vierfach Verbundsicherheitsglas und besitzen eine einheitliche Bauhöhe von 35 cm. Die Verankerung der Glaskonstruktion mit dem Bestand erfolgt über Randträger aus Stahl.

Ein Verbindungsgang, ebenfalls komplett aus Glas, ermöglicht die barrierefreie Verbindung zwischen Kornhaus und Schloss. Die Konstruktion ist 25,00 Meter lang und 2,50 Meter breit. Auch hier wurde das Tragwerk als Ganzglaskonstruktion ausgebildet: 17 Halbrahmen aus Verbundsicherheitsglas, die in den Eckbereichen biegesteif durch eine transparente Verklebung verbunden sind (Structural Glazing), trägt die Fassade und das Dach aus Einscheibenverglasung. Jeder Halbrahmen besteht somit aus einer Glasstütze und einem Glasträger. Die Verklebung wurde im Nut und Federsystem mit einer hochfesten, lastabtragenden Acrylatklebung ausgebildet. Unebenheiten im Boden und der historischen Randbebauung erforderten für jeden Halbrahmen individuelle Abmessungen. Toleranzen konnten im Bauzustand zusätzlich durch Langlöcher und frei justierbare Stahlbolzen ausgeglichen werden. Die Fassade ist ebenfalls über eine Klebeverbindung mit den Halbrahmen verbunden. Die gesamte Konstruktion bedurfte einer Zustimmung im Einzelfall.

Ein 16,00 Meter hoher Glasturm am nördlichen Kornhaus bildet den Abschluss der neuen Glasanbauten. Er dient als zweiter Rettungsweg und ist mit einer Aufzugsanlage ausgestattet. An Rundkonsolen montierte Punkthalter tragen bis zu 2,00 x 4,00 Meter große Isoliergläser mit Sonnenschutzbeschichtung. Um die Raumkanten hervorzuheben, wurden die Gläser mit einem Siebdruck versehen, bei dem sich durchsichtige mit opaken Abschnitten abwechseln.

Drei Monate nach Fertigstellung der Baumaßnahmen stand das Schloss übrigens wieder unter Wasser. Bei dem Hochwasser im Sommer 2013 kam das neue Foyer zu Schaden, Treppenturm und Verbindungsgang blieben jedoch weitgehend verschont.

Bautafel

Architekten: Bauconzept Planungsgesellschaft, Lichtenstein/Sachsen
Projektbeteiligte: Bauconzept, Lichtenstein (Tragwerksplanung und Bauleitung); GSK - Glas Statik Konstruktion, Haltern am See (Glas Statik); Technische Universität Dresden - Institut für Baukonstruktion (Bauteilprüfung Glasbau); Glaswerke Arnold, Remshalden (Verglasung); Restaurierungswerkstatt Volkmar Voigt, Dresden (Restaurierungsarbeiten); Unit 4, Stuttgart (Projektsteuerung)
Bauherr: Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement Niederlassung Leipzig
Nutzer: Amtsgericht Grimma und Staatsanwaltschaft Leipzig, Zweigstelle Grimma
Fertigstellung: 2013
Standort: Klosterstraße 9, 04668 Grimma
Bildnachweis: Glaswerke Arnold, Remshalden; Steffen Spitzner, Gera; Bauconzept Planungsgesellschaft, Lichtenstein/Sachsen

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Absturzsichernde Verglasungen, wie hier an einer Glasbrücke benötigen dann ein ZiE, wenn sie nicht durch ein abP beurteilt werden können.

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Nachweise und Normen

Zustimmung im Einzelfall und vorhabenbezogene Bauartgenehmigung

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