Sanierung und Erweiterung eines Mehrfamilienhauses in Bern

Laubentreppe statt Außentoilette

Wie komplex die Modernisierung denkmalgeschützter Gebäude sein kann, zeigt ein Projekt in der Berner Jurastraße. Das Fachwerkhaus wurde im Jahr 1877 durch den Baumeister Johann Carl Dähler erstellt und gehört zu einem Gebäude-Ensemble in Hanglage. Dieses besteht größtenteils aus kleinmaßstäblichen, ländlich-spätklassizistischen Fachwerkbauten, die in der Schweiz Riegbauten oder Riegelbauten genannt werden. Das Haus mit der Nummer 58 ist das Einzige in der Gebäudegruppe, dessen Fachwerkkonstruktion auch heute noch vollständig sichtbar ist. Eigentümerin des in die Jahre gekommenen Gebäudes ist die Stadt Bern. Mit der Sanierung beauftragt wurde das ortsansässige Architekturbüro Kast Kaeppeli. Ziel der Sanierung war die energetische Ertüchtigung des Hauses sowie die Beseitigung von baulichen Mängeln.

Als charakteristisches Element verfügt das Haus über eine überdachte Laubentreppe.
Die Kassettierung der Fassade setzt Bezüge zu den Fachwerkfeldern des Altbaus.
Helle, zurückhaltende Farben prägen die Innenräume.

Schwierige Ausgangslage

Das Fachwerkhaus orientiert sich giebelständig zur Straße hin. Diese weitet sich hier wegen einer Abzweigung und eines Wendebereichs zu einer kleinen Platzsituation. Über eine überdachte Laubentreppe werden die oberen Geschosse erschlossen. Neben der energetischen Sanierung sollte auch die Wohnqualität durch eine neue Raumanordnung verbessert werden. Dieses galt es in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege umzusetzen, welche das Projekt begleitete.

Die Ausgangslage erwies sich auch aufgrund der komplexen Topografie und limitierten Platzverhältnisse als schwierig. Auf jedem der drei Wohngeschosse befand sich vor der Sanierung eine kleine Zweizimmerwohnung. Auf jeweils 34 Quadratmetern drängten sich eine Küche sowie ein Schlaf- und Wohnzimmer. Gänzlich unzeitgemäß waren Lage und Ausstattung der sanitären Einrichtungen: In einem an die Außentreppe angebauten separaten Abortturm befanden sich zwei Toiletten und eine Dusche für die Bewohnerschaft. Zusätzlich waren zwischen dem Gebäude und der hangseitigen Stützmauer auf engem Raum mehrere einfache Kleinbauten mit Nebennutzungen untergebracht, die sich um einen Vorplatz gruppierten. Südlich davon befand sich ein recht großzügiger Garten.

Mehr Raum, klüger ausgenutzt

Um die Raumsituation für die Bewohner zu verbessern, beschlossen die Planenden, eine quartierverträgliche Verdichtung vorzunehmen, indem man das Fachwerkhaus mit einem Anbau versah. Auf diese Weise wurden die drei Apartments zu zwei Wohnungen zusammengefasst, die heutigen Anforderungen an Größe und Wohnqualität entsprechen. Im Erdgeschoss befindet sich nun eine 3,5-Zimmerwohnung, über die beiden oberen Geschosse erstreckt sich eine 4,5-Zimmerwohnung, die wie zuvor über die historische Laubentreppe erschlossen wird.

Der Erweiterungsbau wurde passgenau im rückwärtigen Bereich zwischen Bestand und Hangstützmauer eingefügt und orientiert sich zur Straße und zum südlich gelegenen Garten. Beim Umbau siedelte man aufgrund der kleinteiligen Struktur des kreuzförmig unterteilten Altbau-Grundrisses hier allein die Schlafräume und Nasszellen an. Wohnen, Kochen und Essen findet nun im offenen und großzügigen Anbau statt.

Über eine Öffnung in der ehemaligen Fachwerkfassade verbindet ein Entrée den Altbau- mit dem Neubaubereich. Zusätzlich zu den gedeckten Eingangsbereichen der Laube erhielten beide Wohnungen einen eigenen Außensitzplatz. Gestalterische Herausforderungen stellten die Absturzsicherungen bei den Fenstern und auch der aufgrund zusätzlicher Dämmung breiter gewordene Dachrand dar. Diese wurden denkmalgerecht detailliert. Die Fachwerkfassade wurde sorgfältig saniert und mit einem Anstrich in der ursprünglichen Farbgebung versehen.

Als Schuppen getarnt

Der neue Anbau zeigt sich zurückhaltend, was sowohl in seiner Kubatur als auch in der einheitlichen farblichen Gestaltung mit brauner Lasur begründet liegt. Die kassettierte Fassade stellt Bezüge zu den Fachwerkfeldern des Altbaus her, indem sie deren Kleinteiligkeit aufgreift. Der Neubau verfügt über Schiebeläden als Sonnenschutz. Sind sie geschlossen, wirkt der Anbau wie ein an das Fachwerkhaus angrenzender Schuppen. Innen sorgen die Läden für eine spezielle Lichtstimmung. Jede Fassadenseite verfügt über eine Fensteröffnung entweder im Erd- oder im Obergeschoss.

Im Außenraum wurde der Bereich zwischen Gartentor und Laubentreppe neu gepflastert. Die Terrassen haben einen Kiesbelag und sind durch Stufen im Hang miteinander verbunden. Der straßenseitig ausgerichetete schmale Garten erhielt ein Holunder- und ein Obstbäumchen, während man den südlichen terrassierten Garten naturnah als Blumenwiese gestaltete. Der bestehende Palisadenzaun wurde mit alten Palisaden ausgebessert.

Innen übernahm man weitgehend die ursprüngliche Materialität aus dem Bestandsgebäude und ergänzte diese. So wurden die Innenseiten der Außenwände mit einer grauen Kassettentäfelung verkleidet. Auch sämtliche Einbauten wie Fenster, Türen, Schränke und auch die Küche sind in dem hellgrauen Farbton gefasst. Die mit einem Glasvlies tapezierten Innenwände wurden weiß gestrichen. Sockelleisten und -bretter dienen als verbindendes Element zwischen den Türen und bilden den Übergang zum Boden. Alle vorhandenen Dielenböden wurden geschliffen und geölt. Im Erdgeschoss baute man einen hochwertigen alten Dielenboden aus einem anderen Haus ein. Das Entrée und die Badezimmer wurden mit Plattenbelägen ausgestattet. Für den Neubau verwendete man sowohl für Wände als auch Decken eine weiß gestrichene Holzschalung, während man für den Boden ein großformatiges Eichenparkett wählte.

Dach: Historisches Satteldach und zeitgenössische Neuinterpretation
Bei dem Dach des Neubaus übernahm man die Satteldachform des denkmalgeschützen Bestandsgebäudes. Das Sparrendach des neuen Anbaus ist allerdings niedriger; es schließt unterhalb des bestehenden Hauptdaches an die Dachkonstruktion der Laubentreppe an. Damit bleibt der Altbau in seinen Proportionen ablesbar. Die geringere Firsthöhe und die schlichte Blecheindeckung tragen dazu bei, dass der Neubau unaufdringlich wirkt wie ein Nutzbau und dem Fachwerkhaus optisch den Vortritt überlässt.

Dachaufbau (von außen nach innen):

  • Blecheindeckung
  • 27 mm Schalung N+K roh, b max 120 mm
  • 60 mm Konterlattung 60/60mm,
  • Unterdachbahn
  • 35 mm Weichfaserplatte, trittfest, Lambda <= 0.044W/mK
  • Rippenplatte verleimt, bestehend aus: Sparrenlage 80/240 mm, dazwischen Mineralfaserdämmung, d = 240 mm, Lambda <= 0.032W/mK
  • 19 mm Dreischichtplatte, luftdicht abgeklebt
  • 24 mm Bretterschalung

Bautafel

Architektur: Kast Kaeppeli Architekten, Bern
Projektbeteiligte: WAM Planer & Ingenieure, Bern (Bauingenieure); Indermühle Bauingenieure, Thun (Holzbauingenieure); Elektroplanung Schneider, Münchenbuchsee (Elektroplanung); Ingenieurzentrum Riederer & Partner, Gümligen (Heizungsplanung); Grünig & Partner, Bern-Liebefeld (Sanitärplanung); Marc Rüfenacht Bauphysik & Energie, Bern (Bauphysik); Donatsch + Partner, Landquart/ Bad Ragaz/Poschaivo (Gebäudevermessung); Büchi Bauunternehmung, (Bauunternehmer)
Bauherrschaft:
Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik der Stadt Bern, vertreten durch Immobilien Stadt Bern
Fertigstellung: 2019
Standort:
Jurastraße 58, 3011 Bern, Schweiz
Bildnachweis: Rolf Siegenthaler, Bern

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