Sanierung der Cité du Lignon in Vernier

Nachträgliche Dämmung an Glasfassade und Laubengängen

Sie stehen im Fokus unzähliger Debatten um Versorgungs- und Wohnstandards, Sanierung und Denkmalschutz sowie Mischung und Entmischung von Stadtgesellschaften: Großwohnsiedlungen. In vielen Gegenden Europas sind sie zu finden, selbst in der Schweiz, die eher für ihre malerisch alten Ortskerne bekannt ist. Eine der größten Großwohnsiedlungen ist die 1971 fertiggestellte Cité du Lignon in Vernier unweit von Genf. Von 2011 bis 2021 wurde der üppige Komplex von Jaccaud + Associés in Zusammenarbeit mit seinen vielfältigen Eigentümerinnen und Eigentümern und dem Denkmalschutz erneuert.

Westlich von Genf befindet sich die Großwohnsiedlung bestehend aus zwei Türmen, einem mehrfach geknickten, bandartigen Gebäude und einem Stadtteilzentrum.
Dem 1,6 Kilometer langen Gebäude ist kaum anzusehen, dass es aus 84 einzelnen Häusern mit über einem Dutzend Eigentümern besteht.
Die verbindenden Laubengänge, von den Architekten einst als Ort für nachbarschaftliches Treiben entworfen, sind heute unterteilt und nur kontrolliert zugänglich.

Lebendiges Spiel farbiger Lamellenstore

Wie eine schier endlose Wand ragt die Cité du Lignon auf. Die zunächst monoton anmutende Fassade mit ihren tausendfach identischen Fenstern offenbart bei genauem Hinsehen ein lebendiges Spiel weißer, gelber, orangener, grüner und blauer Lamellenstore zwischen den grau emaillierten Glaspaneelen. Jedes vierte Geschoss wird von einer durchgängigen Betonbrüstung markiert, hinter der die Fassade zurücktritt und Laubengänge die 84 einzelnen Häuser verbinden, aus denen die lange Wohnscheibe besteht. Ganz ähnlich ist der Rücksprung im Erdgeschoss, wo ein gedeckter Weg an den Hauseingängen entlangführt.

Die Idee Laubengang als Treffpunkt

Als die Architekten um Georges Addor die riesige Reihenhaussiedlung in den 1960er-Jahren entwarfen, stellten sie sich vor, dass sich auf den Laubengängen einmal Nachabrinnen und Nachbarn tummeln und Kinder spielen würden. Wie bei ähnlichen Konzepten der Nachkriegsmoderne, etwa der „Rue Intérieure" in Le Corbusiers Unité d’Habitation oder den „Streets in the Sky” vor den Wohnungstüren in Robin Hobin Gardens von Alison und Peter Smithson, erfüllte sich der Traum von der Promenade in luftiger Höhe jedoch nicht. Stattdessen ist das Betreten der sogenannten „galeries couverts“ in Vernier heutzutage streng geregelt: Sie sind nicht öffentlich zugänglich und dürfen ausschließlich zum Erreichen der Wasch- und Trockenräume und der Lastenaufzüge sowie im Brandfall benutzt werden. Gittertore unterteilen die Laubengänge in einzelne Abschnitte, die allein gehbehinderte Personen passieren dürfen, um einen für sie gut gelegenen Lift zu erreichen.

Satellitenstadt im Westen von Genf

Das 1,6 Kilometer lange, je nach Topographie zwölf- bis achtzehngeschossige Wohngebäude dominiert die Großwohnsiedlung. Als mehrfach geknicktes Band erstreckt es sich über ein durchgrüntes Plateau hinweg von einem benachbarten Gewerbegebiet hin zu einer Flussschleife und rahmt dabei zwei Kirchen, mehrere Kindergärten, ein Schulhaus und ein Einkaufszentrum mit Supermärkten, Post und Polizei ein. Darunter befinden sich Tiefgaragen mit 2.400 Plätzen. Richtung Ufer dem Gelände folgend endet das Gebäude am esplanadenartigen Deck eines Parkhauses, das von zwei ebenfalls zur Cité gehörenden, flachen Türmen flankiert wird.

Besonders an dem Wohnband ist auch seine Bauweise: Das monolithische Betonskelett hinter der Glashaut wurde vollständig in Ortbeton erstellt. Dazu wurden zum beschleunigten Abbinden beheizte Eisenschalungen verwendet, mit denen Wände und Decken in einem Schritt gegossen werden konnten, in Form von einem umgedrehten U. Die 14.000 vorfabrizierten Elemente der Vorhangfassade wurden damals mithilfe eines Krans und eines hängenden mobilen Gerüsts montiert. Ursprünglich wechselten sich opake Paneele, zweiflüglige Fenster und Loggien ab, letztere sind heute jedoch mehrheitlich mit Schiebefenstern abgeschlossen.

Im Besitz Vieler

Insgesamt 2.787 Wohnungen sind in den Gebäuden untergebracht. In den Reihenhäusern des Wohnbandes gibt es pro Geschoss zwei Wohnungen, erschlossen von einem Treppenhaus mit Lift und Müllschacht. 31 der Häuser des Wohnbandes gehören subventionierten Trägern, die übrigen 53 sind in privater Hand, zum Beispiel von Anlagestiftungen. Hinzu kommen die Eigentumswohnungen in einem der Türme. Sämtliche Hauseigentümerinnen und -eigentümer sind im „Comité Central du Lignon“ organisiert und verwalten so gemeinsam ein Budget von jährlich rund 3 Millionen Franken für den Unterhalt und die Erneuerung der Siedlung.

Bestandsschutz und Bewohnbarkeit trotz Dämmmaßnahmen

In Eigenregie begannen sie kleinteilig, die Energiebilanz der Wohnungen zu verbessern: Die Bestandsfenster mit Holz-Aluminium-Rahmen wurden durch mehrfachisolierte aus Kunststoff ersetzt. Einige der Außenwände an den Laubengängen wurden verputzt. In der Kantonsverwaltung wurde derweil überlegt, wie sich die Siedlung als Denkmal schützen ließe. Entsprechend suchte die kantonale Denkmalbehörde den Kontakt zum Comité Central. 2008 beauftragten sie gemeinsam mit dem kantonalen Energieamt das Labor für Techniken und Schutz der modernen Architektur (TSAM) der EPF Lausanne. Während das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt wurde, entwickelten der Laborleiter Franz Graf und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Giulia Marino bis 2011 mehrere Varianten für eine energetische Optimierung, die allesamt das einheitliche Fassadenbild erhalten sollten. Im sogenannten „tableau de synthèse“ wurden die energetische Wirksamkeit und den Kosten der vier Optionen gegenübergestellt. Gewählt wurde schließlich eine Kombination aus zusätzlichen Dämmschichten und Instandsetzung der Fassadenelemente. Ein großer Vorteil der behutsamen Eingriffe war, dass die Bauarbeiten in bewohntem Zustand, von den Laubengängen und Innenräumen aus durchgeführt werden konnten.

Prozessentwurf für Architekturerhalt
Die unterschiedlichen Bedürfnisse, Kostenvorstellungen und Terminpläne der zahlreichen Eigentümerinnen und Eigentümer schienen einer einheitlich sanierten Gebäudehülle im Weg zu stehen. Um einerseits die architektonische Erscheinung zu sichern und andererseits den Aufwand bei Planung und Bürokratie für alle Sanierungswilligen zu verringern, entwarf das Architekturbüro eine Strategie für eine schrittweise Sanierung des Gebäudes. Dazu entwickelten sie im Austausch mit den Behörden einen Detailkatalog und eine Rahmen-Baubewilligung. So kann der Kanton schnell eine Baufreigabe erteilen, wenn ein vorgelegtes Sanierungsvorhaben den Vorgaben des Detailkatalogs entspricht. Den Zeitpunkt, das Planungsbüro und das Bauunternehmen können die Bauherinnen und Bauherren selbst wählen. Fachleute, unter anderem aus Architektur und Denkmalpflege, sowie Mitglieder des TSAM und des Comité Central überwachen die Arbeiten.

2012 wurde zunächst ein Prototyp saniert, das Haus 49. Das damals noch als Jaccaud Spicher bekannte Büro übernahm hierbei zu Kontroll- und Dokumentationszwecken auch die Bauleitung. Bisher wurden 35 Abschnitte des Wohnbandes sowie das Hochhaus mit den Mietwohnungen ertüchtigt, geplant und betreut von Jaccaud + Asosociés und dem Bauunternehmen Losinger Marazzi. Zwei Mitarbeitende betreuten die Mieterinnen und Mieter, die während der gut zweiwöchigen Sanierung ihrer Wohnung nicht nur neue Fenster erhielten, sondern auch neue Wohnungstüren und Steigleitungen für die Bäder.

Dämmstoffe: nicht sichtbar

Auf den Bildern sind die Ergebnisse der von Jaccaud + Associés geplanten Dämmmaßnahmen kaum auszumachen: Wer genau hinschaut, sieht die etwas stärker glänzenden Glasfelder und Aluminiumprofile. Sie wurden nicht ausgetauscht, sondern lediglich gereinigt. Bei den Fensteröffnungen wurde die Lamellenjalousie ausgetauscht und die innere der beiden einfachen Glasscheiben durch ein Isolierglasfenster ersetzt. Hinter den emaillierten Paneelen wurde eine 80 mm starke Dämmschicht aus Glaswolle mit einer Wärmeleitfähigkeit λD von 0,03 W/mK, eine Dampfsperrbahn und eine 15 mm dicke, lackierte Gipskartonplatte mit einer Wärmeleitfähigkeit λD von 0,4 W/mK als raumseitiger Abschluss angebracht. Entlang der Laubengänge befindet sich hingegen eine 10 mm dünne Aérogel-Dämmschicht mit einer Wärmeleitfähigkeit λD von 0,015 W/mK hinter den emaillierten Paneelen.

Wärmebrücken reduzieren

Die Ränder der neuen Abdeckbleche entlang der Laubengänge verraten, dass sich auch hier etwas getan hat: Obwohl nur sporadisch genutzt, mussten die „galeries couverts“ ebenso isoliert werden, da sie Teil der durchgehenden Boden- bzw. Deckenplatte der darüber- und darunterliegenden Geschosse sind und somit eine Wärmebrücke bilden. Unterhalb der auskragende Betonplatte über dem Laubengang wurde eine 160 mm dicken Glaswolleschicht mit einer Wärmeleitfähigkeit λD von 0,035 W/mK aufgebracht und anschließend wieder die bereits vorhandene Spanplatte sowie die Verkleidung aus Zedernholzdielen, die einen neuen Anstrich mit mattem Holzschutzlack erhielten. Der bestehende Plattenbelag der Laubengänge wurde für die Dämmmarbeiten entfernt und zum Schluss neu verlegt. Jetzt befinden sich unter ihm das für die Bodenplatten nötige Sandbett auf einem Geotextil, darunter einer zweilagige Abdichtungsbahn, zwei Schichten von je 20 mm starken Hartschaumplatten mit einer Wärmeleitfähigkeit λD von 0,007 W/mK und eine Dampfsperre. -ml

Bautafel

Architektur Sanierung (2011-2021): Jaccaud + Associés, Genf
Architektur Bestand (1963-1971): Georges Addor, Dominique Julliard, Louis Payot, Jacques Bolliger, Willy Wetz, Werner Rutz, Genf
Projektbeteiligte: Comité Central du Lignon, Vernier (Eigentümervereinigung); Office du patrimoine et des sites OPS (ehemals SMS), Genf (Denkmalpflege); Office cantonal de l'énergie OCEN, Genf (Kantonales Energieamt); Techniques et sauvegarde de l'architecture moderne TSAM, Lausanne (Sanierungsstrategien); BCS Façades, Neuchâtel (Sanierungsstrategien, Fassadenplanung); SORANE, Lausanne (Sanierungsstrategien); Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein (Fassadenplanung); Effin’Art, LaUsanne (Bauphysik); Buclin Ingénieurs-conseils, Petit-Lancy (Bauphysik); ESM Ingénierie (Bauningenieure, Ausführungsplanung); Atelier Saint-Dismas, Genf (Bauuntersuchung, Restauration), Sinopie, Vevey (Bauuntersuchung, Restauration); Jean-François Dedominici, Vaud (Farbberatung, Malerarbeiten); Losinger Marazzi, Köniz (Generalunternehmen)
Bauherr/in: Anlagestiftung Pensimo, Zürich; Bellerive Immobilien, Zürich; BVK, Zürich; Comité Central du Lignon, Vernier; Anlagestiftung Turidomus, Zürich; Imoka Immobilien-Anlagestiftung, Zürich; La Fondation HBM Camille Martin, Genf; La Rente Immobilière, Genf; Marconi Investment, Les Acacias; Swissinvest Immobilien, Zürich
Fertigstellung Sanierung: 2021
Standort: Avenue du Lignon 1 bis 84, 1219 Vernier bei Genf, Schweiz
Bildnachweis: Paola Corsini, Genf (Fotos); Joël Tettamanti, Genf (Fotos); David Grandorge, London (Fotos); Jaccaud + Associés, Genf (Pläne)

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Innerhalb der Außenflächen weisen die Fensterflächen in der Regel die größten Wärmeverluste auf

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Geometrische Wärmebrücken treten häufig in Kombination mit konstruktiven Wärmebrücken auf.

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Zwischen der Großsiedlung Cité du Lignon, einer Schule und dem bewaldeten Rhoneufer befindet sich das Gelände samt neuen Gemeindehaus der Jardin Robinson du Lignon.

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Sport/​Freizeit

Freizeitzentrum Jardin Robinson du Lignon in Vernier

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