RHW.2-Tower in Wien

Biogas-BHKW, Geothermie, Bauteilaktivierung, Abwärmenutzung und Photovoltaik

An der Stelle, wo einst die Zentrale der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) ihren Sitz hatte und sich fast 30 Jahre lang alles um den Rohstoff Erdöl drehte, zeigt ein neuer Büroturm, dass der fossile Brennstoff für die Gebäudeenergieversorgung nicht notwendig ist. Denn der in der Wiener Leopoldstadt gelegene, RHW.2-Tower genannte Bau wird zu einem Großteil mit Strom und Wärme aus regenerativen Quellen versorgt – und das auch noch sparsam. Nur die Hälfte an Primärenergie soll er im Vergleich zu anderen Hochhäusern verbrauchen. Damit ist er das bislang erste Gebäude weltweit, das den Namen Passivhaus-Hochhaus tragen darf. Bauherr ist die Raiffeisen-Holding, geplant wurde es von den Architekten Dieter Hayde, Radovan Tajder und Ernst Maurer.

Das Hochhaus erreicht den Passivhausstandard vor allem wegen seiner doppelschaligen Glasfassade
RHW.2-Tower in Wien
5.500 LED-Leuchten lassen das Gebäude bei Dunkelheit erstrahlen

Auf einem eher kleinen Grundstück direkt am Donaukanal errichtet, grenzt das 78 Meter hohe Hochhaus mit seiner geschwungenen Fassade an ein bestehendes, zehn Meter niedrigeres Gebäude der Bankengruppe. Über einen Verbindungsbau ist es an dieses angeschlossen. Der gläserne Neubau selbst besitzt 21 oberirdische und sechs unterirdische Geschosse, die als Weiße Wanne ausgeführt bis zu 20 Meter tief in den Boden reichen; seine Nutzfläche beträgt rund 27.000 Quadratmeter. Er bietet Platz für 1.200 Mitarbeiter, die hier nicht nur ihren Schreibtisch haben, sondern auch soziale Infrastruktureinrichtungen nutzen können. Im Erdgeschoss gibt es eine Cafeteria, eine Bankfiliale, eine Betriebsarztpraxis und einen Fitnessbereich. Ein Mitarbeiterrestaurant befindet sich im ersten Obergeschoss, im zweiten betreuen Erzieher die Zöglinge der Angestellten in einem Betriebskindergarten, der auch für Anwohner offen steht. Zu ihm gehören vier Gruppenräume sowie eine Terrasse. Die Büros sind in den Etagen drei bis 19 angeordnet, in den obersten beiden Geschossen befinden sich großzügige Veranstaltungs- und Besprechungsräume.

Das Hochhaus erreicht den Passivhausstandard unter anderem wegen seiner doppelschaligen Glasfassade. Sie misst etwa 11.000 Quadratmeter und besteht aus einer inneren Schicht Dreifach-Isolierverglasung und einer zweiten vorgelagerten Glashülle. Nach innen hin sorgen massive Betonbrüstungen unter den Fensterbändern für die notwendige speicherwirksame Masse; im Fassadenzwischenraum sind Sonnenschutzscreens installiert. Insgesamt gewährleistet die sogenannte Klimafassade eine gute Tageslichtlenkung, reguliert den Wärmeeintrag und ermöglicht eine teilweise natürliche Belüftung.

Energiekonzept
Der Energieverbrauch des Hochhauses konnte gegenüber eines Gebäudes mit konventioneller Gebäudetechnik halbiert werden. Der Primärenergiebedarf beträgt unter 120 kWh/m²a. Herzstück ist ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) mit Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung (KWKK). Mit einem COP-Wert von über 5 erzeugt es nicht nur Strom (300 kW) und Wärme für die Heizung (440 kW), sondern auch Kälte. Möglich macht das eine nachgelagerte Absorptionskältemaschine, welche die Abwärme des BHKW-Motors in Kälte umwandelt.
 
Das BHKW produziert mehr als die Hälfte des Heizbedarfs. Die restliche Wärme erzeugt eine Geothermieanlage. Bei Spitzenlast liefert das Fernwärmenetz der Stadt Wien den benötigte Restwärme. Die Geothermieanlage besteht aus einer Sole-Wasser-Wärmepumpe, welche die Erdwärme nutzt. Die insgesamt 40 Kilometer langen Rohrregister (Erdkollektor) für die Wärmeaufnahme sind innerhalb der Schlitzwände und unterhalb der Bodenplatte verlegt. Die Wärmepumpe arbeitet reversibel und kühlt im Sommer anteilig (rund 10%) das Gebäude. Flächenheizungen, Heizkörper und über die Lüftungsanlage verteilen die Wärme im Hochhaus. Die Warmwasserversorgung in den Sanitärbereichen und Teeküchen erfolgt dezentral über elektrische Durchlauferhitzer.

Einen Teil der Gebäudekühlung (30%) übernimmt Flusswasser aus dem Donaukanal. Es fließt unter der Straße in einen Tunnel mit einem Durchmesser von 1,00 Meter. Pumpen befördern es zu einem Wärmetauscher im Gebäude, der die Zuluft der zentralen Lüftungsanlage kühlt. Den restliche Kühlbedarf decken eine Kompressionskältemaschine bzw. die an das BHKW angeschlossene Absorptionskältemaschine. Mehrere zentrale Lüftungsgeräte mit Wärmerückgewinnung (WRG) versorgen acht Hauptzonen im Haus. Sie sind auf die unterschiedlichen Nutzerprofile (intermittierender Betrieb) ausgelegt. Die Temperierung des Gebäudes wird durch eine Bauteilaktivierung unterstützt, deren wasserdurchflossene Kälteschläuche in den Decken und -brüstungen einbetoniert sind. Da wegen ihr keine abgehängten Decken möglich sind, wurden schallabsorbierende Wände und Bodenbeläge eingebaut.

Mehr als die Hälfte des Strombedarfs, rund 300 kW, erzeugt das Hochhaus selbst mit der Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung-Anlage (KWKK) sowie einer Photovoltaikanlage mit 420 m² Modulfläche auf dem Hochhausdach. Den Restbedarf liefert der lokale Stromversorger. Um diesen möglichst gering zu halten und auch das Einspeisen von Fernwärme zu verringern, sind die Nutzer angehalten, ihr Verhalten zu optimieren. Dafür erhielten alle Mitarbeiter eine ausführliche Einweisung in die Bedienelemente der Haustechnik. Ein Multimediasystem im Foyer dokumentiert in Echtzeit das Nutzerverhalten; Jeder kann hier sein persönliches Energiesparverhalten ablesen.

Das Bürohochhaus erhielt im Sommer 2013 das Zertifikat als Passivhaus mit Nicht-Wohnnutzung nach den Kriterien des Passivhaus Instituts Darmstadt und des österreichischen Instituts für Baubiologie und Ökologie (IBO). Zusätzlich verlieh ihm die Österreichische Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (ÖGNB) einer Zertifizierung in Gold.

Bautafel

Architekten: Atelier Hayde Architekten, Wien; Radovan Tajder, Wien; Maurer & Partner, Hollabrunn
Projektbeteiligte: Vasko + Partner, Wien (Projektmanagement, Generalplanung, Tragwerksplanung, Gebäudetechnik, Bauphysik, Controlling, Bauleitung); Prajo & Co, Wien (Abbrucharbeiten); Strabag, Wien (Bauausführung); Cofely Gebäudetechnik, Wien (Ausführung HKLS); Arge Elektro EOD-Tower, Wien (Elektrotechnik); Multivision LED-Systeme, Marchtrenk (LED-Lichtkonzept/Fassadenbeleuchtung)
Bauherr: Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien
Fertigstellung: 2012
Standort: Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Platz 1 (Obere Donaustraße 87-89), 1020 Wien, Österreich

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